Unser Ding im All

Voyager Die beiden Raumfähren der Nasa haben den Rand des Sonnensystems erreicht. Ihre bereits 35 Jahre andauernde Reise ist noch lange nicht vorbei
Mit an Bord: Die Goldene Schallplatte. Eine kollektive Flaschenpost der Erdbewohner
Mit an Bord: Die Goldene Schallplatte. Eine kollektive Flaschenpost der Erdbewohner

Foto: HO/NASA/AFP

Was für ein Jahr! 1977 veröffentlichten Fleetwood Mac ihr legendäres Album Rumours. Die Sex Pistols stürmten mit ihrer LP Never Mind the Bollocks die Charts. Elvis verließ im Alter von nur 42 Jahren endgültig die Bühne. Unbemerkt von den großen Rock’n’Roll-Storys jedoch wurde in aller Stille ein weiteres, nicht weniger bedeutendes Album produziert. Nicht aus Vinyl, sondern aus Kupfer mit Goldüberzug – der Haltbarkeit wegen. Zusammengestellt wurde dieses Album mit dem Titel The Sounds Of Earth von dem amerikanischen Astronomen Carl Sagan. Die Platte umfasst ein breiteres musikalisches Spektrum als die meisten anderen des Jahres 1977. Kein Wunder: Schließlich ging es ja auch darum, 5.000 Jahre menschlicher Kulturgeschichte aufzubewahren – von einem Song der australischen Aborigines und einem indischen Raga über aserbaidschanische Dudelsäcke und Bambusflöten bis hin zu Bach, Beethoven und Chuck Berry.

Das Album erschien in einer Auflage von lediglich zwei Exemplaren. Zusammen mit einer (hoffentlich) universell verständlichen bildlichen Anleitung, auf welcher Zweck und Funktion der Musik-Datenträger erklärt werden, wurden die Alben in Cover verpackt. Diese wiederum wurden an den Außenseiten der beiden Raumschiffe Voyager 1 und Voyager 2 befestigt, die im Jahr 1977 die Erde verließen.

Vorbei an Saturn

Als das Team des Jet Propulsion Lab der Nasa Anfang der siebziger Jahre mit den Entwürfen für die Raumschiffe begann, hatten die Ingenieure noch nie etwas gebaut, das für interplanetarische Reisen von mehr als ein paar Monaten konzipiert gewesen war – geschweige denn für eine Entdeckungsfahrt bis zu den äußeren Planeten des Sonnensystems und weiter. „Wir glaubten daran, dass wir das schaffen würden: ein Raumschiff zu bauen, das Ausfälle überstehen kann und einfach immer weiterfährt“, sagt Voyager-Systemingenieur John Casani. „ Aber wir waren die Einzigen!“

Nach etlichen Konstruktionsanläufen und Tests gingen die beiden Raumsonden im Spätsommer 1977 von Cape Canaveral aus tatsächlich auf große Tour. Sie zogen an Jupiter und seinen Monden vorbei, nahmen dann Kurs auf Saturn und seine Ringe. Abgelenkt in Richtung des Saturn-Mondes Titan, verließ Voyager 1 das Sonnensystem auf das nördliche Sternbild Camelopardalis zu. Das Schwesterraumschiff Voyager 2 blieb auf seiner Bahn. 1986 passierte es Uranus, 1989 Neptun, wobei sich die Geschwindigkeit der Sonde auf über 50.000 Meilen pro Stunde erhöhte und sie in Richtung Sirius geschleudert wurde – des hellsten Sterns an unserem Himmel.

Im Verlauf der Reise schickte die Voyager mehr als 67.000 Bilder zur Erde zurück – darunter atemberaubende Aufnahmen von Welten, die uns zuvor noch nicht einmal im Traum begegnet waren. „Unsere Vorstellungskraft konnte nicht annähernd mit dem mithalten, was die Natur zu bieten hatte“, so der wissenschaftliche Leiter der Mission, Ed Stone, während des Vorbeiflugs der Sonde am Saturn.

Vor dem Start der Voyager hatte die Menschheit die entlegenen Orte des Weltraums nur vom Teleskop her als unscharfe Nadelstiche aus Licht gekannt. Durch die beiden Raumschiffe hat man in den vergangenen 35 Jahren mehr über das äußere Sonnensystem gelernt als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor. Denkwürdigerweise jedoch zeigt die letzte – und bekannteste! – Voyager-Aufnahme uns selbst: die Erde. Am Valentinstag 1990 wurde die Voyager 1 angewiesen, ihre Kameras umzudrehen, um aus einer Entfernung von über sechs Milliarden Kilometern über dem Sonnensystem ein letztes Familienporträt von so vielen Planeten wie möglich zu machen. Die Aufnahme zeigt die Erde als nahezu unsichtbaren Punkt im schwarzen Ozean des Universums.

Ein Staubfleck auf dem Fotoabzug

Als das erste Bild ausgedruckt wurde, hielten die Wissenschaftler die Erde zunächst fälschlicherweise für einen Staubfleck und versuchten ihn wegzuwischen. Obgleich visuell enttäuschend, erregte dieses letzte Bild von der Erde dennoch ebenso viel Aufsehen wie jene spektakulären Bilder, die die Astronauten der Apollo 20 Jahre zuvor gemacht hatten.

Nach dieser letzten Aufnahme passierte Voyager 1 den Orbit von Pluto und trat Ende 2004 in die Region des Kuipergürtels ein. Kurz darauf erreichte auch Voyager 2, mittlerweile wieder auf Spur, diesen Bereich. Bis zum heutigen Tag rasen die beiden Sonden mit einer Geschwindigkeit von 16 Kilometern pro Sekunde in Richtung Unendlichkeit. 35 Jahre nach Verlassen der Erde und 18 Milliarden Kilometer von uns entfernt, sind die beiden Sonden dabei, in die Sphäre des „bow shock“ einzutreten – eine Sphäre, die die Grenze zwischen den solarischen und den galaktischen Winden am Rand des Einflussgebietes der Sonne markiert. Voyager 2 hat diese Grenze ebenfalls erreicht.

Noch intakt in beiden Raumsonden sind die fünf Instrumente, mit denen sie die Beschaffenheit ihrer neuen Umgebung analysieren und die neuen magnetischen Felder und galaktischen Partikel erkunden, zu denen sie nun Kontakt haben. Auch ihre Stimmen dringen aus der Ferne noch immer zu uns. Obwohl sie technologisch eigentlich in den Siebzigern feststecken, haben die Voyager den Sprung ins digitale Zeitalter nicht versäumt. Mittlerweile nutzen sie sogar Twitter, um ihre Geschichte zu erzählen. Als ein Twitter-Follower einmal danach fragte, was Voyager 2 von ihrem Ausguck aus sehe, erhielt er – vermittelt durch das Forschungsteam auf der Erde – die Antwort: „Inmitten des Getöses unserer Sonne fühle ich die Sterne und vernehme ihr Geflüster.“

Voyager twittert!

Auch wenn sie nicht jeden Tag twittern, so halten beide Voyager doch täglich Kontakt zur Erde. Obwohl ihre Mitteilungen mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, brauchen sie 15 Stunden, um die Erde zu erreichen. „Wir schicken Samstagmorgen einen Befehl und er kommt Sonntagnachmittag zurück“, berichtet Voyager-Managerin Suzanne Dodd. Sie begleitet die Voyager seit Mitte der Achtziger. Mit den Raumschiffen, sagt sie, müsse man umgehen wie mit älteren Menschen: „Manchmal muss man etwas lauter mit ihnen sprechen!“

Wenn keine ernsthaften Konstruktionsfehler auftreten, werden beide Voyager bis ungefähr 2025 aus dem interstellaren Raum berichten. Danach wird ihnen irgendwann der Treibstoff ausgehen, den sie benötigen, um ihre Satellitenschüsseln immer wieder neu in Richtung Erde auszurichten. Aber auch ohne Energiezufuhr werden die beiden uns weiterhin von Nutzen sein. In dem weitgehend leeren, ungefährlichen interstellaren Raum werden sie wahrscheinlich mehrere Millionen Jahre erhalten bleiben. Voyager 1 und 2 werden älter werden als die Pyramiden. Sie werden die heutigen Generationen überleben – und vielleicht sogar die Erde selbst. Dann werden die beiden Raumsonden als letztes Zeugnis unserer Existenz ihre Bahnen im Universum ziehen.

Indizien für Außerirdische

Wenn außerirdische Geschöpfe jemals auf eine der Sonden stoßen sollten, werden sie sicherlich Rückschlüsse auf deren Erbauer ziehen können. Je nach Stand ihres eigenen technischen Wissens werden sie zu einer Einschätzung unserer technischen und mathematischen Fähigkeiten gelangen – auf dem Stand der siebziger Jahre. Aber die Konstruktion der Voyager allein wird ihnen keine Auskunft darüber geben, was für eine Art von Geschöpfen wir wirklich waren.

Daher kam Voyager-Systemingenieur Casani Anfang 1977, als das Team letzte Hand an die Voyager legte, auf die Idee, noch etwas anderes mit an Bord zu nehmen. Der Weltraumforscher Carl Sagan, den er in der Angelegenheit um Rat bat, hielt Musik für das beste Mittel, um anderen Lebewesen mehr über uns Menschen zu vermitteln. „Die Gefühle, die Musik evoziert, könnten ihnen fremd sein. Aber wenn es darum geht, was Menschen ausmacht, dann muss Musik dabei sein“, erinnerte sich Sagan später in einem Interview mit BBC Radio 4.

Schnell kam er auf die Idee mit der goldenen Schallplatte. Sechs Wochen hatten Sagan und das Team Zeit, um die symbolträchtige Auswahl musikalischer Werke zusammenzustellen. Sagans spätere Ehefrau Ann Druyan, die an dem Projekt beteiligt war, versuchte durch fieberhafte Beratungen mit Musikwissenschaftlern auf der ganzen Welt, 26 Aufnahmen ausfindig zu machen, die etwas über Entstehung und Entwicklung der Musik auf der Erde aussagen könnten.

Urheberrechtsprobleme

Wie bei jedem Mixtape-Projekt mussten auch bei diesem einige eigentlich unverzichtbare Kandidaten außen vor bleiben. Die Anfrage, Here Comes the Sun mit in die Kollektion aufzunehmen, wurde von der Plattenfirma der Band abgelehnt, weil man sich nicht auf die Freigabe der Rechte „für die Ewigkeit und das gesamte bekannte Universum“ einlassen wollte.

Trotz der epischen Zeitspanne, die die Voyager wohl unterwegs sein werden, ist es angesichts der unermesslichen Weite des Weltalls unwahrscheinlich, dass die beiden winzigen Raumsonden jemals gefunden werden. Sagan war sich darüber im Klaren. In seinen Augen ging es bei dem Projekt nicht nur um eine Botschaft an entfernte Zivilisationen. Wie die Fotografie des blassblauen Punktes, welche die Voyager 1 zurück an die Erde gesandt hatte, sollte die Musiksammlung uns selbst einen Spiegel vorhalten.

Jetzt, wo die interstellaren Botschafter in neue Gefilde aufbrechen, ist es an der Zeit, sich noch einmal bewusst zu machen, welch einzigartige Perspektive uns die Reise der beiden Forschungssonden so weit weg von unserem „blassblauen Punkt“ eröffnet. Mit den Augen der Voyager betrachtet, schmelzen nicht nur nationalstaatliche Grenzen hinweg. Auch ethnische, religiöse oder ideologische Unterschiede scheinen zur Definition unserer Identität vollkommen unerheblich zu sein.

Kollektive Flaschenpost

Das war auch die gefühlte Botschaft im Sommer 1977. Die Entsendung der kollektiven Flaschenpost in den kosmischen Ozean ließ für einen kurzen Augenblick all die Unterschiede zwischen uns Menschen unwichtig werden. Der überschwängliche Optimismus, der damit verbunden ist, kommt wohl am besten in einer der auf der Voyager Golden Record enthaltenen Sprachaufnahmen zum Ausdruck. „Dies ist ein Geschenk einer kleinen, weit entfernten Welt. Eine Probe unserer Klänge, unserer Wissenschaft, unserer Bilder, unserer Musik, unserer Gedanken und unserer Gefühle. Wir versuchen, unser Zeitalter zu überleben, um so bis in Eure Zeit hinein leben zu dürfen.“

Dallas Campbell und Christopher Riley sind die Autoren des Dokumentarfilmes V , der kürzlich im britischen TV-Sender BBC4 ausgestrahlt wurde. Die auf der Goldenen Schallplatte enthaltenen Musiktitel, Zeichnungen und Fotos können unter goldenrecord.org abgerufen werden

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman, Holger Hutt
Geschrieben von

Dallas Campbell, Christopher Riley | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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