Unter Schock

USA Die Republikaner haben den Demokraten überraschend eine schwere Niederlage beigebracht. Auf Ted Kennedys Stuhl im Senat sitzt für Massachusetts fortan ein Republikaner

Das Desaster trifft die Demokraten ausgerechnet am Vorabend von Barack Obamas Dienstjubiläum. Eigentlich sah das Weiße Haus unbeschwerten Tagen entgegen und hoffte auf eine lange Zeit der Vorherrschaft im Senat. Doch die Wahlniederlage in Massachusetts nimmt dem Präsidenten die 60:40-Mehrheit im Senat, die ihn bislang einigermaßen gegen die Verschleppung von Gesetzesvorlagen durch die Republikaner absicherte. Wenn das nicht mehr möglich ist, wird auch seine Gesundheitsreform zur Disposition gestellt. Nicht auszuschließen, dass Obama mit seinem demokratischen Führungspersonal darüber entscheiden muss, ob der Gesetzesentwurf noch einmal überarbeitet wird.

Scott Brown, LKW-Fahrer bei der Nationalgarde, war bis vor wenigen Wochen selbst in Massachusetts ein unbeschriebenes Blatt. Nun holte er sich den Sitz im Senat mit 52 Prozent der Stimmen und schlug damit die Generalstaatsanwältin Martha Coakley, die erwartet hatte, Ted Kennedy im Senat beerben zu können. Brown meinte nach seinem Triumph, wenn Coakley im Wahlkampf stets über den „Ted-Kennedy-Sitz“ gesprochen habe, dann sollte sie wissen: „Dieser Sitz gehört keiner bestimmten Person und auch keiner bestimmten Partei. Er gehört dem Volk.“

In feindlicher Hand

Für die Demokraten ist das Ergebnis psychologisch verheerend: Ein Mandat, dass John F. Kennedy und nach seinem Tod im November 1963 Bruder Edward über vier Jahrzehnte lang innehatte, ist über Nacht in republikanischer Hand. Dass ein Sitz, den die Demokraten für den sichersten überhaupt hielten, an den Feind übergehen konnte, wird ihr Selbstbewusstsein erschüttern. Alles andere als eine gute Vorlage für die Kongresswahlen im November.

Wechselwähler nennen als Gründe für ihr Votum zugunsten des konservativen Bewerbers, es habe mit ihrer Abneigung gegen die Gesundheitsreform zu tun. Barack Obama stehe einfach für eine zu starke Einmischung des Staates, sei zu weit links und für die hohen Staatsausgaben des vergangenen Jahres verantwortlich. Im Augenblick der Niederlage kam bei den Demokraten die Idee auf, über das Gesetzespaket zur Gesundheitsreform abstimmen zu lassen, bevor Brown seinen Sitz in Senat einnimmt, doch der demokratische Senator Jim Webb wies dieses Ansinnen zurück. Bei der Massachusetts-Wahl, so Webb, sei es sowohl um die Gesundheitsreform als auch um die Integrität des politischen Prozesses gegangen.

Nach den schmerzhaften Niederlagen bei den Kongresswahlen 2006 und der Schlappe im Kampf um das Weiße Haus im November 2008, haben die Republikaner endlich wieder Anlass zur Freude. „Ich bete dafür, dass dies der Auftakt zu einer unblutigen Revolution ist, der Auftakt zu einer Kampagne gegen Obamas Agenda – ich bete, dass die schweigende Mehrheit endlich wieder Gehör finden wird“, sagte der 43-jährige David Knight, ein überzeugter Republikaner aus dem benachbarten Rhode Island. „Wir hoffen, das Ende der Gesundheitsreform ist eingeläutet, aber noch könnten die Demokraten versuchen, sie durchzuboxen.“

Michael Nicolazzo (26) war bis vor zwei Jahren noch Demokrat, doch dann rückte ihm Obama zu weit nach links. Jetzt feiert er in Boston mit den Republikanern. „Die Wahl war eine Abstimmung über Obama. Wenn ein tiefblauer Staat einen Republikaner wählt, ist das eine eindeutige Botschaft. Die Menschen wollen keine verschwenderischen Ausgaben.“ Er hoffe, die Gesundheitsreform werde gekippt. Der designierte Senator Brown erhielt Beistand von Republikanern überall in den USA. Allen voran die Tea Party, die vehement gegen die Gesundheitsreform agitiert.

Wähler vergrault

In dem Bostoner Hotel, in dem sich die Demokraten versammelt hatten, gab es Tränen, als die ersten Ergebnisse eintrafen. Die meisten gingen früh nach Hause. „Wir stehen alle unter Schock“, erklärt Addrienne Walker (40), immer noch mit einem Coakley-Plakat in der Hand. „Auf diesem Stuhl saß seit 1952 kein Republikaner mehr.“ Sie hofft, dass Obama nun die Gesundheitsreform nicht herunterschraubt, räumt aber auch ein, dass die Wahlen im November hart werden. „Es sieht nicht gut aus. Obama wird kämpfen müssen.“ Viele Demokraten in Massachusetts machen die Parteiführung für die Niederlage verantwortlich, dort habe man die Gefahr zu spät erkannt und nicht ausreichend Personal und Gelder für den Wahlkampf zur Verfügung gestellt. Man habe kurz vor dem Votum viel zu sehr auf eine Negativ-Kampagne gegen Brown gesetzt und damit die Wähler ohne feste Parteibindung vergrault.

Übersetzung: Christine Käppeler

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Geschrieben von

Ewen MacAskill | The Guardian

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