Jess Zimmerman: Hi, Rebecca. Als erstes vielen Dank, dass du dieses Gespräch mit mir führst und ich hoffe, ich komme dabei nicht wie ein Idiot rüber. Das Internet verleitet einen ja oft zum Schwachsinnreden, und das Thema Rassismus erst recht. Nach dem Juryurteil in Ferguson wollte ich die ganze Nacht lang nur die Kommentare von Schwarzen retweeten und kam mir dabei ziemlich toll vor, vor allem als ich sah, wie andere Weiße betonten: „Ich verstärke heute nur schwarze Stimmen, ich twittere nichts eigenes.“ Da konnte ich mir was drauf einbilden, dass ich das Gleiche ohne Ankündigung tat. Aber manche sagten auch, gerade als privilegierter Weißer sei man verpflichtet, selbst den Mund aufzumachen. Ich bin nicht sicher, welches die bessere Haltung i
Unwohlsein als Fortschritt
Im Gespräch Nach Ferguson stellt sich auch die Frage, wie sich in den sozialen Netzwerken über Rassismus diskutieren lässt. Eine schwarze und eine weiße Frau fangen schon mal an
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Rebecca Carroll und Jess Zimmerman
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The Guardian
Foto: David McNew/AFP/Getty Images
t den Mund aufzumachen. Ich bin nicht sicher, welches die bessere Haltung ist.Rebecca Carroll: Egal, wie du als Weißer in der aktuellen Rassismusdebatte handelst – in einem Klima, in dem jedes konstruktive Gespräch schnell eskalieren kann – gibt es immer noch eine Ebene des Trostes, der Selbstzufriedenheit im Sinne von: Ich kann mir ein selbstgefälliges Urteil erlauben, denn es geht nicht um mein Leben. Das ist, wenn du mich fragst, dasselbe wie wenn erwachsene weiße Menschen sagen, sie machten gerade „erste Schritte“ hin zu einem Bewusstsein für Rassismus. Ja, cool, macht weiter eure ersten Schritte, lasst euch Zeit. Ich hoffe bloß, mich knallt inzwischen keiner ab. Will heißen: Wenn du ein Kleinkind bist, mach erste Schritte. Aber wenn du ein weißer Erwachsener bist, der gerade in Amerika lebt und noch nicht verstanden hat, was Sache ist, dann solltest du größere Schritte machen.JZ: Ich glaube meine Frage ist, in welche Richtung diese kleinen Schritte gehen sollten? Wie finden wir die Balance zwischen der Pflicht, den Mund aufzumachen, und der Pflicht, den Mund zu halten? Wie nutzen wir ein Forum, ohne es zu besetzen? Und wie können wir dieses Fragen auch nur stellen, wenn – wie immer – Weiße die Debatte bestimmen?RC: Nutze das Forum, um zu anderen Weißen zu sprechen. Wenn du ein Gespür für Rassismus hast, bist du betroffen. Und wütend. Und das zählt.JZ: Aber unter diesen anderen Weißen befinden sich vermutlich auch welche ohne Gespür für Rassismus. Weiße, die keine schwarzen Freunde haben oder sich nicht zu verstehen bemühen, wie anders das Leben ihrer schwarzen Freunde ist, oder solche, die denken, sie seien weniger rassistisch, wenn sie so tun, als gäbe es die Unterschiede nicht.RC: Wenn du schwarze Freunde hast und es dich trotzdem nicht empört, wenn ein Schwarzer erschossen wird, dann solltest du mal über deine Freundschaften nachdenken. Wenn es irgendeine Ebene gibt, auf der du und dein weißes Umfeld, ob mit Gespür für Rassismus oder ohne, euch dabei nicht schlecht fühlt, abgrundtief schlecht, dann habt ihr noch nicht begriffen, was los ist. Unsere Geschichte als Schwarze ist eine Geschichte von Schmerz und Drangsalierung. Eure Geschichte als Weiße ist eine Geschichte von Kulturzerstörung, Gewalt und Versklavung. Wie unangenehm, wer will da schon genau hinschauen? Das muss sich ja schlimm anfühlen.JZ: Ja, damit triffst du auf den Punkt. Ich schäme mich für unsere hässliche Geschichte, und ich sehe ein, dass ich mich dafür zu schämen habe. Aber schwieriger finde ich es, dass ich mich auch schlecht fühle, wenn bestimmte Menschen wütend auf mich sind – etwa weil ich sie dafür kritisierte, dass sie etwas Rassistisches gesagt haben. Ich möchte wirklich schwarzen Stimmen mehr Gehör verschaffen und nicht so tun, als könnte ich selbst für sie sprechen. Aber darin steckt auch ein Stück Feigheit, das ich noch überwinden muss. Ich riskiere ja nichts weiter, als dass meine Gefühle verletzt werden. Also versuche ich herauszufinden, was ich gegen das Problem der Ungleichheit tun kann, wie ich dagegen kämpfen kann, ohne nur Blödsinn zu quatschen. Ist die Lösung, dass ich den Leuten sage, was sie lesen sollen? Wenn ein Weißer zu anderen Weißen sagt, lest diesen Text von Ta-Nehisi Coates, tun sie es dann eher, als wenn es ein Schwarzer sagt?RC: Nein. Ich meine: Ja. Jeder Mensch sollte Ta-Nehisi Coates lesen, jederzeit und am besten noch sieben Mal bis Sonntag. Aber was die Weißen wirklich tun sollten, ist sich Gedanken zu machen, wie sich die Dinge wirksam und schnell ändern ließen. Mein Sohn ging bei uns auf die öffentliche Schule, als die Gentrifizierung im Viertel gerade voll im Gang war. Ich fragte die anderen Eltern auf dem Spielplatz: Macht ihr euch keine Sorgen, weil die Schule immer weißer wird? Sie schauten mich an, als tickte ich nicht mehr richtig. Ich habe für meinen Sohn dann eine andere Schule gefunden, die gemischter ist – nicht 25 weiße Mittelschichtkinder und dazu drei schwarze aus den Sozialbauten, sondern Kinder von hier und anderswo, schwarz und braun, verschiedene Religionen und so weiter. Weiße Eltern sollten den Drang verspüren, dasselbe zu tun, und sie hätten auch die kollektive Macht, es einzufordern.JZ: Ja! Und weiße Personalchefs, weiße Redakteure … Ich denke viel darüber nach, wie ich anderen Weißen begegnen soll, die ihre bescheuerten Ansichten über Polizeigewalt ablassen. Zum Beispiel: Was machst du, wenn dein Cousin an Thanksgiving das Tischgespräch kapert und herumtönt, die Jury in Ferguson hätte richtig entschieden? Nicht, dass mir genau das passiert wäre und ich ein ganz schwaches Bild dabei abgab (ich ergriff die Flucht). Andererseits geht es ja auch nicht um ein paar Gespräche, sondern um echte Veränderung. Wobei ich merke, dass es mir wirklich schwerfällt, über große Lösungen nachzudenken – über alles, was hinausgeht über „die Leute überzeugen“ und „protestieren“. Das Projekt #FergusonNext, das der Guardian und ein paar andere Medien initiiert haben, ist großartig, aber ich muss gestehen, dass ich noch nichts dazu beigetragen habe.RV: Wie müssen uns den Leuten von Angesicht zu Angesicht stellen, hartnäckig bleiben, zuhören und nachdenken. Aber wir können nicht für immer versuchen, „die Leute zu überzeugen“. Protest ist wichtig, egal wohin er führt, denke ich – es ist die seltene Verbindung von intuitiver und intellektueller Bewegung, die ich immer unterstützen und wertschätzen werde, denn was könnte wirkungsvoller sein?JZ: Also gut, es gibt zwei Dinge, die ich jetzt und generell auf keinen Fall tun möchte. Das eine ist, mich so aufzuführen, als könnte ich durch Selbstkasteiung wegen meiner Privilegien, meiner Feigheit oder meiner Unfähigkeit, diese irgendwie magisch aufheben. Mein Ziel ist nicht, als Weißer anerkannt zu werden, der weiß, dass Weiße scheiße sind. Mein Ziel ist herauszufinden, wie ich die Dinge besser machen kann, ohne sie aus Versehen schlechter zu machen. Und das zweite, was ich nicht tun möchte, ist dich zu fragen, was denn die Weißen tun sollen. Denn dafür bist du nun wirklich nicht zuständig.RC: Ich habe gerade mir einen Ausschnitt aus Spike Lees „Malcolm X“ angeschaut – die Szene, wo das nette weiße Mädchen auf Malcolm zukommt und fragt: „Was kann ich tun?“, und er sagt: „Nichts“, und geht weg. Das finde ich eine sehr wichtige Reaktion, denn wenn es etwas gäbe, was ihr alle tun könntet, hättet ihr es nicht längst getan? Vielleicht könntet ihr euch um euren eigenen Mist kümmern und uns nicht mehr abknallen. Aber euch um euren eigenen Mist zu kümmern wäre wie ein Drogenentzug. Ich sage immer, das weiße Privileg ist high sein ohne Reue. Du fühlst dich die ganze Zeit frei, so stelle ich es mir vor, edelmütig und bewundernswert, das Ganze ohne Nebenwirkungen und ohne jemals runterzukommen. Es sei denn, du entscheidest dich runterzukommen. Aber dann machst du was durch: Entzugserscheinungen, Beklemmung, Ruhelosigkeit, das volle Programm. Und du musst lernen ohne die Droge zu leben. So wie wir seit 400 Jahren.JZ: Ehrlich gesagt habe ich mir bis zu diesem Gespräch nicht einmal klar gemacht, dass ich mich immer aufs Reden beschränke, vor allem aufs Online-Reden, anstatt die Probleme wirklich anzugehen. Aber was mir da in den Sinn kommt, ist auch nur das Offensichtliche: Etwas sagen, wenn jemand Unrecht tut, ihn aufhalten. Etwas sagen, wenn es keine Gleichbehandlung gibt, und da nicht mehr mitmachen, wo es sie nicht gibt. Nach Unternehmen und Organisationen suchen, die auch Schwarze als Chefs haben. Wählen gehen und mich politisch engagieren, um mich auch auf nationaler Ebene gegen Ungleichbehandlung zu engagieren.RC: Das sind alles gute, ehrenwerte Ziele. Und, wie gesagt, ich werde mich immer dafür einsetzen, dass man miteinander redet – denn dafür sind wir auf der Welt, finde ich: um zu kommunizieren, einander zuzuhören, uns verständlich zu machen, einander zu verstehen, die Dinge zu durchdringen, kurz mal durchzuatmen und dann weiterzumachen. Und für jeden weißen Schwachkopf, dem du auf Facebook oder in der Schule den Wind aus den Segeln nimmst, bin ich dir persönlich dankbar. Aber ich hätte auch einen Leitfaden für Weiße vorzuschlagen:Geh demonstrieren, aber poste keine Selfies von dir auf der Demo in den sozialen Netzen. Denn darum geht es nicht Wenn du nächstes Mal in einem vornehmen Geschäft bist und kein Verkäufer euch beobachtet, frag sie, warum sie dich nicht beobachten Überprüf deinen Tonfall und deine Haltung, wenn du mit schwarzen oder braunen Menschen sprichst. Sag nicht „Ich verstehe“, denn du verstehst nicht Lies Ta-Nehisi Coates Essay über Wiedergutmachung auf The Atlantic, und dann lies ihn ein zweites Mal Wenn du eine Person des öffentlichen Lebens bist und ein eigenes Forum hast, nutze es, denn die jungen Leute schauen dir jede Sekunde zu. Ich meine nicht solche Aktionen wie „Erase the Race“ oder „USA for Africa“ (schön und gut), ich meine richtig harte Tingelkampagnen. Denn deine Berühmtheit zählt zu den großartigsten Privilegien, die es gibt. Wie der Comedian Chris Rock gerne sagt: „Ich liebe es, berühmt zu sein. Es ist fast, als wäre man weiß.“ JZ: Vielleicht ist das gar nicht so anders, als wenn man versucht, mit rassistischen Facebookfreunden zu diskutieren – oder nur ein gradueller Unterschied. Es bedeutet, an verschiedenen Stellen des Machtgefüges die Missstände beim Namen zu nennen. Als Weißer habe ich besseren Zugang zu den höheren Ebenen, also muss ich auch da oben Tacheles reden. Es ist wie wenn der Größere die Dosen oben aus dem Regal holt, bloß dass dieses Regal das feste Machtgefüge ist und die Dosen die Menschenrechte.RC: Ja, genau.JZ: Peinlicherweise muss ich zugeben, dass ich nie auf den Gedanken gekommen bin, einen Verkäufer anzusprechen, wenn er einen schwarzen Kunden nicht bediente. Das bringt mich dazu, neu zu überdenken, was ich tun muss – dass es eben nicht nur darum geht, gegen sichtbaren Rassismus einzuschreiten. Es geht darum, die ganze rassistische Konstruktion unleugbar sichtbar zu machen – was sie natürlich für Schwarze längst ist, doch wir Weißen sind ganz groß darin, sie zu verleugnen; wir halten es für unser Recht, sie zu verleugnen. Ich habe immer nur daran gedacht, rassistischen Äußerungen etwas entgegenzusetzen, nicht aber über all die Beispiele für passiven Rassismus, auf die man genauso hinweisen sollte und sagen: Schau dir an, was du getan hast; und nicht dulden, dass das abgebügelt wird. Dann werden sich die Leute unbehaglich fühlen, sich wahrscheinlich schämen, und das scheint mir der richtige Weg zu sein.RC: Das stimmt. Es ist wie mit dem Foto, das gerade durch die Netzwerke geht, von dem schwarzen Jungen und dem weißen Polizisten, die sich umarmen – die Weißen sind sofort bereit zu sagen: „Schaut, es gibt doch Liebe, es gibt doch Licht, wir kommen voran!“ Denn meiner Erfahrung nach halten es Weiße nur etwa 25 Sekunden lang aus, sich schlecht, beschämt oder unwohl zu fühlen. Aber der richtige Weg ist sich für, sagen wir, 25 Wochen so zu fühlen. Für den Anfang. Lesley McSpadden, die Mutter von Michael Brown, wartete mehr als 100 Tage, ob der Polizist, der in Ferguson ihren Sohn erschossen hatte, wegen Totschlags angeklagt würde oder nicht. Das wird sich ziemlich grauenhaft angefühlt haben. Und die Entscheidung, dass er nicht angeklagt wird, fühlt sich wahrscheinlich noch viel grauenhafter an – von der Tatsache ganz zu schweigen, dass ihr Sohn tot ist. Für immer tot. Also prüfe, ob du auf dem richtigen Weg bist. Nach Fortschritt, Regenbögen oder Zauberei wird sich das bis auf weiteres aber nicht anfühlen.
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