US-Ökonom Joseph Stiglitz fordert Spitzensteuersatz von 70 Prozent

Soziale Gerechtigkeit Der Nobelpreisträger und frühere Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz spricht sich für eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen aus. Ziel: Die zunehmende Ungleichheit auf der Welt zu verringern
Yachten der Superreichen im Hafen von Monaco
Yachten der Superreichen im Hafen von Monaco

Foto: Valery Hache/AFP/Getty Images

Der US-amerikanische keynesianische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz fordert, die Superreichen mit bis zu 70 Prozent zu besteuern, um die zunehmende soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Stiglitz, der 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde, ist ein Pionier vieler Ideen zum Thema Globalisierung und Ungleichheit. Er bezeichnete die Einführung einer speziellen, weltweiten Einkommenssteuer von 70 Prozent für Höchstverdiener als „eindeutig sinnvoll“.

„Die Leute an der Spitze mögen ein bisschen weniger arbeiten, wenn man sie stärker besteuert. Aber andererseits profitiert unsere Gesellschaft, wenn sie egalitärer und einheitlicher ist“, äußerte sich der 79-jährige frühere Weltbank-Chefökonom in einer Folge des „Equals“-Podcast von Oxfam, der sich mit Ungleichheit befasst. Derzeit beträgt der Spitzensteuersatz in Großbritannien 45 Prozent auf Jahreseinkommen über 150.000 Pfund (knapp 170.000 Euro). In den USA liegt der höchste Steuersatz bei 37 Prozent für Einkünfte über 539.901 US-Dollar (etwa 497.000 Euro). In Deutschland gilt ein Reichensteuersatz von 45 Prozent, der 2023 ab 277.826 Euro Einkommen greift (Anm. d. Red.).

Laut Stiglitz würde die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf Einkommen dazu beitragen, die Gleichheit in der Gesellschaft zu erhöhen. Aber eine noch größere Wirkung hätte die Einführung einer Vermögenssteuer auf die Reichtümer, die die Wohlhabendsten der Welt über Generationen angesammelt haben, so der Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Columbia-Universität. „Wir sollten Reichtum deswegen stärker besteuern, weil ein Großteil des Reichtums geerbt ist. Die jungen Walmarts etwa haben ihr Vermögen geerbt“, sagte er über die Erben des US-Einzelhandelsunternehmens Walmart. „Einer meiner Freunde beschreibt das als Gewinn in der Spermien-Lotterie – sie haben sich die richtigen Eltern ausgesucht. Ich denke, man muss sich darüber im Klaren sein, dass die meisten Milliardäre einen Großteil ihres Reichtums durch Glück erhalten haben.“

Weiter bezeichnete er die Vorschläge von US-Senatorin Elizabeth Warren in Sachen Vermögenssteuer für „sehr sinnvoll“: Sie schlug vor, Vermögen von mehr als 50 Millionen US-Dollar mit zwei Prozent und ab einer Milliarde US-Dollar mit drei Prozent zu besteuern. Laut Stiglitz „würde das wirklich viel dazu beitragen, Einnahmen zu erzielen, die einige der Probleme unseres Landes beheben helfen könnten“.

Anstieg des extremen Reichtums und der extremen Armut

Die Covid-19-Pandemie habe die Ungleichheit in einem „erstaunlichen“ Maß verschlimmert, sagte Stiglitz weiter. Sie habe „die globale Ungleichheit zugleich sichtbar gemacht und verstärkt“, betonte er: „In einer Zeit, in der so viele Menschen das Leben schwer fanden, etwa weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben, oder jetzt mit einem Anstieg der Lebensmittel- und Ölpreise klarkommen müssen, ist es schockierend, wie viele Menschen und reiche Unternehmen sich bereichern.“

Von Oxfam kürzlich veröffentlichte Zahlen besagen, dass fast zwei Drittel des seit Beginn der Pandemie neu angesammelten Reichtums an das reichste ein Prozent gingen. Laut der Wohltätigkeitsorganisation steckten die finanziell Bestgestellten bis Ende 2021 26 Milliarden US-Dollar (23,9 Milliarden Euro) an neuem Vermögen in die Tasche. Das entspricht 63 Prozent des gesamten neuen Vermögens. Der Rest ging an die übrigen 99 Prozent der Menschheit.

Dabei wird laut Oxfam zum ersten Mal seit 25 Jahren der Anstieg des extremen Reichtums von einem Anstieg der extremen Armut begleitet. Würde man die Multimillionäre und Milliardäre der Welt mit bis zu fünf Prozent besteuern, könnte das nach Angaben von Oxfam 1,7 Billionen US-Dollar im Jahr bringen, genug, um zwei Milliarden Menschen aus der Armut zu holen und einen globalen Plan zu finanzieren, der dem Hunger ein Ende bereitet.

In die gleiche Richtung geht die Forderung, die Mitte Januar eine Gruppe Superreicher an die Regierungen der Welt richtete: „Besteuern Sie uns, die Ultrareichen, jetzt sofort“. Die 205 beteiligten Millionär:innen und Milliardär:innen, darunter Disney-Erbin Abigail Disney und The Hulk-Schauspieler Mark Ruffalo, appellierten an die Staats- und Regierungschefs sowie die Wirtschaftselite, die sich zum Weltwirtschaftsforum in Davos treffen, dringend Vermögenssteuern einzuführen, um die „extreme Ungleichheit“ zu bekämpfen.

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Rupert Neate | The Guardian

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