Verbale Abrüstung

Atomdoktrin Auch wenn die USA in ihrem neuen Strategiepapier von nuklearen Erstschlägen gegen Nichtatomstaaten abrücken, bleibt Abschreckung weiter das zentrale Motiv

Das aktuelle Positionspapier des US-Verteidigungsministers zur Nuklear-Strategie des Landes (Nuclear Posture Review/NPR) konnte im Vergleich zu vorherigen Dokumenten dieser Art nur ein Fortschritt sein: Der letzte Bericht über Rolle und Wert des US-Atomarsenals wurde 2002 veröffentlicht. Er erteilte Rüstungskontrolle und Multilateralismus eine Absage und versuchte, nukleare Kriegführung durch so genannte Mini-Atombomben (Mini-Nukes) wieder salonfähig zu machen und die Weiterverbreitung von Atomwaffen durch nukleare Erstschläge zu verhindern.

Obamas NPR macht dagegen deutlich – seine Regierung fühlt sich dem Prinzip multilateraler Rüstungskontrolle verpflichtet und stellt weitere Abrüstungsschritte in Aussicht. Etwas wirklich Neues erfährt man freilich nicht. Die USA haben Nicht-Atomstaaten schon vorher zugesagt, sie nicht mit Atomwaffen anzugreifen. Das neue Positionspapier, das nur einen Monat vor der Konferenz zur Neuverhandlung des Atomwaffensperrvertrages (NPT) erscheint, garantiert allen Nicht-Atom-Mächten, die sich an ihre mit diesem Abkommen eingegangenen Verpflichtungen halten, unbedingte Sicherheit vor Nuklearschlägen.

Nicht das erhoffte Signal

Offenbar haben Präsident Obama und sein Verteidigungsminister Robert Gates einen Kompromiss geschlossen. Als Gegenleistung für einen der größten Anstiege des Budgets für Nuklearwaffen, das gebraucht wird, um die Zuverlässigkeit der Systeme zu gewährleisten, ließ sich Gates von der Entwicklung neuer Atomsprengköpfe abbringen. Mehr noch – er willigte ein, Sprengköpfe zu reduzieren, die für den Fall eines technischen Versagens oder einer Krise zurückgehalten werden.

Anfang Mai findet in New York die Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages statt. Sollen dort verbindlichere Maßnahmen zur nuklearen Nichtverbreitung beschlossen werden, bedarf es hierfür eines klaren Signals: Die USA und andere Atommächte sind ernsthaft zur Abrüstung und zum Verzicht auf Atomschläge bereit.Doch sucht man solche klaren Signale in dem neuen NPR vergebens. Während davon die Rede ist, die Bedeutung der US-Atomwaffen einschränken zu wollen, bleibt die Abschreckung auch in der neuen Doktrin zentraler Punkt und es gibt wenig überzeugende Hinweise auf eine wirkliche Kurswende. Das Papier ist lediglich ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es hält viele Optionen offen und bekräftigt die Notwendigkeit weiterer Schritte. Ob dies ausreicht, wird sich kommenden Monat erweisen.

Es bleibt viel zu gewinnen

Angesichts des Veröffentlichungstermins – mitten in den Osterferien und noch vor der Unterzeichnung des neuen START-Vertrages am 8. April und dem Gipfeltreffen über atomare Sicherheit, das in der kommenden Woche in Washington stattfindet – kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass man dem neuen NPR in Washington nicht allzu viel Aufmerksamkeit zukommen lassen möchte. Den Wunsch nach Abrüstung mit dem unerschütterlichen Willen zur Abschreckung, dem Schutz der Verbündeten und strategischer Dominanz zu vereinbaren, glich seit jeher der Quadratur des Kreises.

Dass die Kontroverse innerhalb der amerikanischen Regierung zwischen Zynikern und denen, die den Fortschritt wollen, eben erst begonnen hat, ist keine gute Nachricht. Man sollte bedenken, dass Ende des Jahres die Mid-Term-Elections anstehen und der Präsident durch die Gesundheitsreform bereits angeschlagen ist. Auf der anderen Seite hat er schon so manches Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Es gibt nach wie vor viel zu gewinnen.
Übersetzung: Holger Hutt

Paul Ingram ist geschäftsführender Direktor des British American Security Information Council

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Geschrieben von

Paul Ingram | The Guardian

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