Verhasst und ignoriert

Diskriminierung Von ­Nordirland bis Ungarn, übrall in Europa ­werden Roma schikaniert. Erleben wir ein neues Zeitalter der Barbarei?

Sie sind zwar nicht das kleinste Volk Europas, werden aber am stärksten diskriminiert. Die gewalttätigen Ausschreitungen gegen Roma, zu denen es jüngst in Belfast kam, warfen einmal mehr ein Schlaglicht auf die missliche Lage von Menschen, die in einem Dutzend EU-Staaten Opfer gewalttätiger Repressionen sind.

Man muss nur daran denken, dass die ungarische Jobbik-Partei mit einem unverhohlenen Anti-Roma-Furor zwei Mandate im EU-Parlament gewonnen hat. Obwohl sie Generationen von Musikern in Ungarn inspiriert haben, nimmt dort die Gewalt gegen Roma seit dem Ende des Kalten Krieges immer weiter zu (allein 2008 wurden in Ungarn sieben Roma umgebracht). Den mit Jobbik verbundenen Paramilitärs der Ungarischen Garde wird eine ganze Reihe von Angriffen zur Last gelegt, unter anderem das Abbrennen von Häusern, um darin lebende Roma-Familien zu vertreiben. Ähnliches ist aus Tschechien zu hören, wo Roma zu Tausenden in verwahrloste Viertel abgedrängt werden.

Nachdem Ende 2007 Giovanna Reggiani, die Frau eines italienischen Marine­offiziers, auf dem Nachhauseweg vergewaltigt und ermordet worden war, durchkämmte die Polizei tags darauf Roma-Siedlungen an der Peripherie Roms und verhaftete den 24 Jahre alten, aus dem rumänischen Vurpar stammenden Nicolae Romulus Mailat – sofort hieß es, in Italien lebende Roma sollten nach Rumänien ausgewiesen werden. Als Silvio Berlusconi im Mai 2008 ins Amt des Premiers zurückkehrte, schlug er vor: Alle, die als „zingari“ identifiziert werden könnten, registrieren und erkennungsdienstlich behandeln zu lassen. Kurz darauf stifteten Mitglieder der Camorra Schlägertrupps dazu an, das Roma-Viertel bei Neapel zu verwüsten. Eine Vergeltungsaktion, hieß es, weil ein jugendlicher Rom in einem wohlhabenden Viertel der Stadt in eine Wohnung eingebrochen sei, um ein Baby zu entführen. Dieser Vorwurf reichte aus, um in Italien Razzien in etwa 700 Roma-Camps und Shanty-Towns zu veranstalten.

Sicher, die Roma und ihre Kultur sind schwer zu fassen, sie sind eher durch das Gefühl einer kollektiven Identität, durch gemeinsame Vorlieben, einen ähnlichen Habitus und ihre wunderbare Musik miteinander verbunden. Wer sie zählen will, ist auf Schätzungen angewiesen. Diese schwanken zwischen vier und zwölf Millionen, besonders in Ländern Süd- und Osteuropas haben Roma Angst, erkennbar zu sein.

Als das Römische Reich in Agonie verfiel, machte sich ein kleines Volk aus Indien und dem südwestlichen Asien auf den Weg, für das sich später der Name Roma fand. Eine andere Gruppe brach angeblich von Ägypten nach Europa auf, woraus sich die spanische Bezeichnung gitanos ergab. Diese Vorgeschichte mag erklären, weshalb Roma keine einheitliche Sprache, keine konsistente Ethnizität, keinen gemeinsamen Glauben haben. Unter ihnen finden sich Muslime wie orthodoxe Christen, Katholiken wie Protestanten.

Im kommunistischen Osteuropa ging es den Roma, was staatliche Fürsorge anbetraf, relativ gut; seit 1990 aber fielen sie hoffnungslos zurück. In manchen Gebieten Tschechiens und der Slowakei beträgt die Arbeitslosigkeit unter männlichen Roma 70 Prozent, das Bildungsniveau ist gesunken, und es kann immer noch vorkommen, dass zwölfjährige Mädchen zwangsverheiratet werden. Doch die soziale Diskriminierung wird totgeschwiegen. Nach den Ausschreitungen von Belfast ignorierte die BBC tagelang, dass die Opfer Roma waren, und weigerte sich standhaft, die Angriffe auf deren Community als Hassverbrechen zu klassifizieren.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Robert Fox, The Guardian | The Guardian

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