Verlust der Pole-Position

G20-Gipfel Am 11. November beginnt der Weltwirtschaftsgipfel in Seoul. Die USA sind ökonomisch viel zu angeschlagen, als dass sie mit protektionistischen Ideen landen könnten

Wenn Sie sich einen Eindruck davon verschaffen wollen, unter welchem Druck Barack Obama steht, wenn er Ende der Woche zum G20-Gipfel der größten Volkswirtschaften in Südkorea eintrifft, brauchen Sie sich nur dieses Video der Gruppe Citizens Against Government Waste anzusehen, mit dem im Wahlkampf gegen die Regierung Stimmung gemacht werden sollte: 2030 fragt ein chinesischer Professor die im Auditorium versammelten Studenten: „Warum sind große Nationen gescheitert? Weil sie gegen die Prinzipien verstießen, die sie einst groß gemacht hatten. Amerika versuchte sich mit enormen Ausgaben zur Wiederbelebung der Konjunktur und immenser Staatsverschuldung aus der Krise zu befreien. Den größten Teil ihrer Schulden haben sie bei uns gemacht“, erklärt er vor der Flagge Chinas stehend. „Deshalb arbeiten sie jetzt für uns.“ Die Klasse lacht.

Bernankes Lockerung

Hysterie? Sicherlich. Aber dieses Video spiegelt unbestreitbar eine weit verbreitete Angst wieder, die vom Capitol, Nachrichtensendern und Kolumnisten gleichermaßen geschürt wird: Wenn das krisengeschüttelte Amerika die Pole-Position verliert, wird China an seine Stelle treten. Der Freihandel und die offenen Märkte, die Bill Clinton und George W. Bush ihren Wählern noch als überaus wichtig für das wirtschaftliche Wohlergehen der USA verkauft haben, werden als Teil der Ursache dargestellt, die Amerika nicht wieder in die Spur finden lässt.

Sollte Ihnen dieses Verhalten vertraut vorkommen, dann deshalb, weil Wirtschaftskrisen schon immer zur Wiederbelebung einer protektionistischen Politik geführt haben. Monate nach dem Großen Crash von 1929 führte die damalige US-Regierung den Smoot-Hawley-Zoll ein, um Abgaben auf Zehntausende Importwaren zu erheben. Wenn von einer schadhaften Wirkung von Handelskriegen die Rede ist, wird das oft als Beispiel herangezogen. Diesmal beklagt sich die Regierung Obama darüber, die Chinesen würden ihre Währung manipulieren, um die eigenen Exporte wettbewerbsfähig zu halten. Die Chinesen hingegen murren zusammen mit vielen anderen, die erneute quantitative Lockerung, die US-Zentralbankchef Ben Bernanke gerade bekanntgab, werde den Dollar schwächen und somit ihren Exporten schaden.

Handelskrieg verhindern

Vielerorts lassen Regierungen ihren Worten Taten folgen. In Kanada verhinderte die Regierung in der vergangenen Woche die Übernahme des Düngemittelherstellers Potash durch den australischen Bergbaukonzern BHP Billton, da dies „nicht im nationalen Interesse“ sei. Kanada ist nicht das einzige Land, das ausländisches Kapital verscheucht: Die Organisation for Economic Cooperation and Developement und die United Nations Conference on Trade and Developement haben in ihren jetzt vorgestellten Studie eine ganze Reihe protektionistischer Maßnahmen aufgeführt, zu denen Regierungen von Australien bis Saudi-Arabien bereits gegriffen haben.

Dies bringt uns zurück zum Gipfel der G20 in Seoul. In der kurzen Geschichte von Treffen dieses Zuschnitts – früher trafen sich nur die G7 oder G8 – wird die Konferenz von Seoul angespannter sein als alle vorherigen. Bisher galt das Prozedere: Man versuchte, Maßnahmen zum Kampf gegen die Weltfinanzkrise zu koordinieren. Und kam dann, schon weniger herzlich, darin überein, dass jeder seinen eigenen Weg gehen wird. So waren Obama und Ex-Premier Gordon Brown bei der Frage fortgesetzter Konjunkturprogramme fast allein auf der Welt.

Beim anstehenden Gipfel kündigen sich Handelsscharmützel an, die natürlich miteinander zusammen hängen: Weil die G20 im Jahr 2009 die Idee eines weltweiten Konjunkturprogramms verwarfen, streiten nun die einzelnen Mitgliedstaaten darüber, was jeder von ihnen in seinem Hinterhof unternimmt. Von allen Vorschlägen, die bislang vorliegen, kam der beste von den USA: Es sollten für alle verbindliche Grenzen bei Handelsüberschüsse beziehungsweise -defizite gelten. Länder wie Deutschland, die permanent große Exportüberschüsse erwirtschaften, dürften die Außenhandelsbilanzen ihrer Handelspartner nicht länger in Schieflage bringen und deren Binnennachfrage auffressen. Das Problem dabei ist, dass diese Vorstellungen von den USA kommen, die derzeit weder über die ökonomische Stärke noch das makellose ökonomische Führungszeugnis verfügen, um sich durchsetzen zu können. Trotzdem werden die G20 intensiv darüber nachdenken müssen, den Handel stärker an die Kandare zu nehmen, soll ein Handelskrieg noch verhindert werden.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Editorial | The Guardian

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