Verrat, Sex und ein Koalabraten

Facebook Fiktionale Virtualität: Ben Mezrichs Buch "The Accidential Billionaires" über die Gründung von Facebook sorgt für Aufsehen

Mit der Gründungsgeschichte einer erfolgreichen Webseite lassen sich im Normalfall nur eine handvoll Computerversessene locken. Erst recht ist sie für gewöhnlich nicht Gegenstand eines Millionen-Dollar-Deals oder eines Hollywoodfilms, der mit lauter erstklassigen Schauspielern besetzt ist. Nun ist Facebook aber auch nicht irgendeine Internetseite.

Für den 14. Juli ist in Amerika die Veröffentlichung eines Buches über die Anfänge der rund um den Globus beliebten Social-Networking-Seite mit den inzwischen über 200 Millionen Usern angekündigt. Der Titel verspricht, dass es ganz und gar nicht um Nerds mit dicken Brillen, sondern um Sex, Victoria’s-Secret-Models, heftige Champagnergelage und die dunklen Machenschaften der Reichen und Mächtigen gehen wird. Bereits das Cover von The Accidental Billionaires lässt erahnen, dass es zwischen den Seiten schlüpfrig zugeht. Es zeigt ein umgekipptes Cocktail-Glas und einen abgelegten BH. Daneben wird dem Leser Eine Geschichte von Sex, Geld, Genialität und Verrat versprochen.

Verfasser des Schinkens ist der Bostoner Autor Ben Mezrich, der bereits mit seinen Werken über das Treiben von Glückspielern in Vegas, mächtigen Finanziers und japanischen Gangstern für Kontroversen gesorgt hat. Diesmal ist sein Thema die Facebook-Gründung durch den Harvard-Studenten Mark Zuckerberg und dessen Freunde und dem Aufstieg der Seite von einem privaten Projekt, das zunächst der Bewertung der Attraktivität von Kommilitonen diente, sich dann zu einem Instrument zur Pflege von Sozialkontakten entwickelte und schließlich zu einem globalen Phänomen wurde, dessen Wert auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt wird.

Daneben entwirft Mezrich ein Szenario von Verrat, wildem Sex, sowie heftigem Alkoholgenuss. Sogar von einem Festgelage bei gebratenem Koala auf der Jacht eines Millionärs aus dem Silicon Valley ist zu lesen. "Bislang hat es niemand wirklich geschafft, Silicon Valley sexy zu machen. Dieses Buch könnte das ändern", meint die Journalistin Caroline McCarthy, die eines der wenigen Vorab-Rezensionsexemplare für die Technologie-Seite CNET besprochen hat.

Ein großer, pikanter Spaß

Da ist es vielleicht doch kein Wunder, dass The Accidental Billionaires einen fetten Film-Deal an Land ziehen konnte, nachdem Kevin Spacey als Produzent unterzeichnet hatte. Auf der Amazon-Seite des Buches schreibt der Schauspieler, es handele sich um eine "fesselnde Geschichte über Verrat, riesige Geldmassen und zwei Freunde, die die Art und Weise revolutioniert haben, wie Menschen zueinander in Verbindung treten – nur um sich dann zu zerstreiten und nie wieder miteinander zu reden." Spacey ist nur einer der Top-Leute, die bei dem Projekt dabei sind. Für das Drehbuch ist Aaron Sorkin, der Mann hinter der gefeierten Fernsehserie The West Wing zuständig.David Fincher, der sich zuvor für Fight Club und Der wundersame Fall des Benjamin Button verantwortlich zeichnete, ist für den Posten des Regisseurs und der kanadische Schauspieler Michael Cera für die Rolle Zuckerbergs im Gespräch.

Angesichts einer solchen Anhäufung von Talenten könnte man meinen, Zuckerberg und die anderen Facebook-Leute wären begeistert. Doch weit gefehlt. Bei Facebook macht man kein Geheimnis daraus, dass man Mezrichs Darstellung der Gründung des Unternehmens nicht schätzt und große Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Absichten hegt . "Ben Mezrich möchte zum Jackie Collins oder Daniel Steele von Silicon Valley werden", sagte Facebook-Sprecher Elliot Schrage gegenüber dem Observer. "Der Herausgeber hat es selbst am besten formuliert: "Beim dem Buch handelt es sich nicht um eine Reportage, es ist ein großer, pikanter Spaß." Wir stimmen insbesondere mit der ersten Hälfte dieses Satzes überein und denken, dass jeder Leser dies auch tun wird."

Tatsache ist, dass das Buch nicht nur mit seiner Beschreibung ausgelassener Späße unter Nerds für große Aufregung gesorgt hat, sondern auch, weil bereits Mezrichs frühere Bücher wegen mangelnder Wahrheitstreue in die Kritik geraten sind. So soll er zusätzliche Akteure eingeführt und Dialoge und Szenen erfunden haben, die so nie stattgefunden haben. Auch wenn dieses Vorgehen in seinen Büchern erklärt wird, werden sie weiterhin als Sachbücher verkauft. "Akteure zu erfinden widerspricht der Idee eines Sachbuches", sagt ." Das Schlüsselwort ist "erfinden" ... Hier wurden Tatsachen und Fantasie vermischt." Mit den Hinweisen von Seites des Autors und seines Herausgebers ist er ebenso unzufrieden. "Derartige Erklärungen sind so etwas wie die juristische Entsprechung von Hühnersuppe: Sie schaden nichts, bringen aber auch nicht immer was", sagte er.

Die Szene mit dem Koalabraten

Vielleicht hat Mezrich sich dies auch gedacht, als er dem eigentlichen Text eine besonders lange Erklärung voranstellte. In der 285 Wörter langen Anmerkung wird eingeräumt, dass Einzelheiten, Dialoge und sogar der Ablauf einiger Ereignisse geändert wurde. Dies ist sicherlich früheren Besprechungen des Buches geschuldet. In einer Szene, die im Jahr 2004 spielt, beschwert sich jemand über Valleywag, ein Gerüchteblog der erst 2006 online ging. In einer anderen Szene werden Harvard-Studenten ihre Diplome auf einer Bühne überreicht, während diese in Wirklichkeit jedem einzeln im Studentenwohnheim überreicht werden.

Auch die Szene mit den Koalabraten hat für Stirnrunzeln gesorgt. Im Buch findet sie auf der Jacht eines der Gründer von Sun Microsystems statt. Doch angeblich war zu der Zeit, in der die Szene spielt, keiner der Firmengründer im Besitz eines solchen Bootes. "Merzrichs Definition von Tatsachenbericht weicht womöglich stark von derjenigen des Durchschnittslesers ab", sagt Luke O`Brien, ein Journalist, der schon mehrere kritische Texte zu Mezrichs Vorgehensweise verfasst hat.

Andere stimmen dem zu. Die Grenze zwischen Fiction und Non-Fiction werde in der modernen Medienlandschaft mit ihren Reality-TV-Shows mit vorgeschriebenen Drehbüchern und Filmen, die behaupten, sie beruhten auf wahren Begebenheiten, aber nur wenig mit der Realität zu tun haben, immer mehr verwischt. "Die kulturelle Unterscheidung zwischen Tatsachen und Erfindung ist lockerer geworden", sagt Hirsen. Das mag zwar stimmen, die Grenze zu verwischen dürfte für einen Autor oder Herausgeber allerdings immer noch ein gewisses Risiko bergen . Für andere Autoren wie James Frey und J.T. LeRoy bedeutete ein derart freier Umgang mit der Wahrheit das Ende ihrer Karriere. Mezrichs Herausgeber dürften darauf hoffen, dass ihren dieses Schicksal erspart bleibt. Die Leute von Facebook hoffen auf das Gegenteil.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman / Holger Hutt
Geschrieben von

Paul Harris, The Guardian | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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