Versöhnung der Unversöhnlichen

Palästina Fatah und Hamas haben sich bis zu Wahlen auf eine Einheitsregierung verständigt. Das Gewicht der Autonomiebewegung gegenüber Israel wird dadurch gestärkt

Den größten Teil der zurückliegenden 20 Jahre war die Politik der Fatah so vorhersehbar, dass es fast schon langweilig war. Diese Woche hat sie dann allerdings mit der Übereinkunft mit der Hamas über ein Einheits- und Machtteilungsabkommen für Überraschung gesorgt. Wohl haben die Palästinenser nach einem 2007 von den Saudis ausgehandeltem Arrangement schon einmal, wenngleich mit wenig Begeisterung und nur von kurzer Dauer eine nationale Aussöhnung versucht und könnte die Sache auch diesmal im Sand verlaufen. Allerdings scheint die Fatah nun mit mehr Berechnung vorzugehen und wirklich mit ihren alten Strategien zu brechen.

Angefangen 1988, mit der Annahme der Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 in Algier durch den Palästinensischen Nationalrat, über die Anerkennung des israelischen Existenzrechtes in der Osloer Prinzipienerklärung von 1993 bis hin zur Wiederaufnahme von israelisch-palästinensischen Verhandlungen im September 2010 in Washington lässt sich der Ansatz der PLO in eine simple Gleichung fassen: Dass ihr Entgegenkommen, rationales Eigeninteresse Israels und der Einfluss der USA zu einer Überwindung der inhärenten Machtasymmetrie zwischen Israelis und Palästinensern und einem unabhängigen Palästina führen würden.

Ohrenbetäubende Kollaborationsvorwürfe

Unterstützung für diese Formel zu gewinnen, stellte bereits unter dem stets in Kampfanzug gekleideten Yassir Arafat eine große Herausforderung dar. Als dieser vor mittlerweile über sechs Jahren dann von dem ausgewiesenermaßen um Frieden bemühten Mahmoud Abbas ersetzt wurde, verdoppelten die Palästinenser trotz ausbleibenden Erfolges ihren Einsatz: Die Fatah verhandelte weiterhin ohne Zielvorgaben, ohne unter der Besatzung Institutionen zu schaffen und mit einem unerklärlichen Glauben an die Vermittlung durch die Amerikaner – sogar als überall in den besetzten Gebieten Siedlungen aus dem Boden schossen, 2006 Wahlen an die Hamas verloren gingen und die Kollaborationsvorwürfe ohrenbetäubend laut wurden.

Die letzte Variante dieser palästinensischen Spielweise, der Fajadismus (der seinen Namen von Premierminister Salam Fajad erhielt und davon ausging, dass gute Regierungsführung der Palästinenser zu einem Rückzug der Israelis führen würde) wird im September 2011 ein schmähliches Ende erleiden. Das zweijährige Programm zur Vorbereitung auf einen eigenen Staat wird dann ausgelaufen sein, aber angesichts der Realität der israelischen Besatzung wenig aussichtsreich dastehen.Der Test zeigt: Die Rechnung der PLO ist nicht aufgegangen.

Zu den Kernstücken dieser Strategie gehörte, dass der Friedensprozess exklusiv Sache der Vermittlung durch die Amerikaner war. In den vergangenen Monaten haben die Palästinenser sich behutsam aus dieser Sackgasse herausmanövriert. Abbas verweigerte die Weiterführung der Verhandlungen mit Israel, nachdem es den USA nicht gelungen war, für eine Verlängerung des bereits zeitlich begrenzten und nur teilweisen Siedlungsbaumoratoriums von Netanjahu zu sorgen. Die PLO erzwang entgegen den Druck der USA eine Abstimmung über den Siedlungsbau im UN-Sicherheitsrat, bei der dann allein die USA ein Veto einbrachten. Die Vorbereitungen für die Anerkennung palästinensischer Eigenstaatlichkeit schreiten rasch voran (ebenfalls entgegen der amerikanischen Politik). Nun gipfelt es in diesem Abkommen zwischen Fatah und Hamas.

Die Spaltung der Palästinenser durch das Ausspielen sogenannter „Moderater“ gegen „Extremisten“ ist lange Zeit Eckpunkt der amerikanischen (und israelischen) Politik gewesen. Sollte das palästinensische Einheitsabkommen sich als beständig erweisen – wobei Vorsicht angesichts der noch zu vereinbarenden Details und der Geschichte der immer wieder enttäuschten Hoffnungen angeraten ist – wird es damit vorbei sein. Es wäre nicht zutreffend, diese Entwicklung auf eine radikale politische Kehrtwende der Obama-Administration zurückzuführen. Vielmehr ist sie vor dem Hintergrund eines Zusammenspiels von Zermürbung und der neuen regionalen Realitäten nach dem arabischen Frühling zu betrachten. Woher die Zermürbung rührt, ist eindeutig: Mit den Jahren sind israelische Siedlungen und Kontrolle über die Gebiete unaufhaltsam gewachsen. Bei der Unterzeichnung des Osloabkommens 1993 gab es allein in der West Bank 111.000 Siedler. Heute ist ihre Zahl auf über 300.000 gestiegen, 60 Prozent der Westbank und das gesamte Ostjerusalem werden weiterhin ausschließlich von Israel kontrolliert. Nicht zuletzt kommt die Straffreiheit hinzu, die die USA Israel verlässlich gewähren.

Was tut Israel?

Die Palästinenser wären am besten beraten, nicht vorsorglich alle Verbindungen zu den USA zu kappen. Aber weniger Abhängigkeit von den USA, auch die mögliche Einstellung von US-Hilfszahlungen, könnten sich bei weitem nicht verheerend auswirken. Den Palästinensern könnte es sogar leichter fallen, produktivere Wege zum Erreichen ihrer Freiheit zu entwickeln. Einheit oder gar ein Votum der UN für die Anerkennung des Staates bedeuten an sich noch keine umfassende Strategie oder das Ende der Besatzung. Es bleiben große Herausforderungen: Die Bewältigung der Koordinierung der inneren und äußeren Sicherheit, die Führung einer Autonomie-Behörde, die vom guten Willen der Israelis abhängt und nicht zuletzt die Linderung des Elends in Gaza. Allerdings könnte die Einheit einen notwendigen ersten Schritt zur Entwicklung einer verheißungsvolleren lokalen und globalen palästinensischen Strategie darstellen – besonders mit der neuen Aussicht auf bedeutende ägyptische Hilfe.

Für die USA tangiert der israelisch-palästinensische Konflikt nationale Sicherheitsinteressen in einer kritischen Weltregion. Darüber hinaus führen die Eigentümlichkeiten der US-Innenpolitik im Zusammenhang mit allem, das mit Israel zu tun hat, dazu, dass die USA ihre eigene Manövrierfähigkeit in dieser Sache einschränken. Nur allzu oft ist das Ergebnis die Ohnmacht der US-Diplomatie.

Es könnte für die USA durchaus Vorteile bergen, wenn ihnen die Sache sozusagen aus den Händen genommen würde, ob nun durch größere Eigenständigkeit der palästinensischen Strategie, gestärkte ägyptischer Diplomatie oder zunehmende Beteiligung Europas oder der UNO. Derartige Entwicklungen steigern die Aussichten auf eine Lösung, eröffnen Möglichkeiten für wirksameres Handeln der USA in Bezug auf Israel oder entschärfen zumindest den lähmenden Einfluss, den das Thema auf Amerikas Stand im Nahen Osten hat. Und Israel? Es ist unwahrscheinlich, dass man dort einen eigenständigeren, strategischen oder stärkeren Verhandlungspartner begrüßen wird. Doch ist das Land dieser Tage mehr und nicht weniger verunsichert im Blick auf seine Zukunft. In vielerlei Hinsicht gibt die schwerwiegende Asymmetrie des gegenwärtigen Friedensprozesses Israel ein falsches Gefühl von Straflosigkeit und hat die selbstzerstörerischsten Tendenzen dort (nicht zuletzt die zum Siedlungsbau und intoleranten Nationalismus) bekräftigt.

Es macht Sinn zu spekulieren, dass sich als Reaktion auf einen anspruchsvolleren, strategischen und – so ist zu hoffen – gewaltlosen palästinensischen Gegenspieler auf Seiten der israelischen Führung eine Kurskorrektur in Richtung größeren Realismus, Pragmatismus und Kompromiss herausbilden wird.


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Übersetzung der gekürzten Fassung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Daniel Levy | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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