Haben sich Ärzte aus Nordamerika oder Europa infiziert, werden sie umgehend ausgeflogen und behandelt. Bei den afrikanischen Kollegen ist das anders
Foto: John Moore / Getty Images
Mein Schwager Albert ist Allgemeinmediziner in den britischen West Midlands. Seine Schwester Olivet Buck war ebenfalls Ärztin. Ihre Arbeit unterschied sich allerdings erheblich von der Alberts. Sie praktizierte in ihrem Geburtsland Sierra Leone und kämpfte dort in den vergangenen Monaten gegen eine Epidemie, die das Land zu paralysieren droht. Am 10. September kam die furchtbare Nachricht, sie habe sich mit dem Virus infiziert.
Ihre Kollegen in Freetown verlangten daraufhin, dass sie umgehend nach Deutschland gebracht werden müsse, um dort behandelt zu werden – alle drei Ärzte, die sich bis dahin in der Hauptstadt Sierra Leones angesteckt hatten, waren gestorben. Ernest Bai Koroma, der Präsident des Landes, bat ebenfalls um eine Evakuierung und erklärte,
#228;rte, eine Klinik in Hamburg sei bereit, Olivet Buck aufzunehmen. Dann jedoch ließ die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wissen, sie werde eine solche Behandlung nicht gestatten, und verweigerte die Finanzierung. Es folgten verzweifelte Versuche, die WHO zur Rücknahme ihres Vetos zu bewegen. Es half nichts, wenig später traf die Nachricht ein, die alle befürchtet hatten: Olivet war gestorben.Der völlig aufgelöste Albert sagte mir daraufhin, er werde nie aufhören, „diesen Verlust für uns alle zu beweinen“ und die Schuldigen anzuklagen. „Olivet war ein bemerkenswerter Mensch. Sie starb, weil sie ihren Dienst an anderen nicht aufgeben wollte.“ Der Tod der 59-jährigen Mutter dreier Kinder wirft Fragen auf. Wie reagiert die Welt auf diese grauenhafte Epidemie in Westafrika? Wie schützt sie diejenigen, die sich vor Ort gegen die Ausbreitung der Krankheit stemmen? Warum wurde mit globalen Hilfsaktionen viel zu spät begonnen? Trotz des Schicksals bereits zuvor verstorbener Ärzte hatte die WHO lediglich angedeutet, man werde sich bemühen, Olivet Buck in Sierra Leone die „bestmögliche Behandlung“ zukommen zu lassen.Immer wieder PhrasenHaben sich ausländische Ärzte und Helfer aus Nordamerika oder Europa infiziert, dürfen sie darauf rechnen, umgehend ausgeflogen und in ihrem Herkunftsland behandelt zu werden. Ein Beispiel ist der britische Krankenpfleger William Pooley, der mutmaßlich dadurch überlebte und nun nach Sierra Leone zurückkehren will, um den Kampf gegen die Krankheit fortzusetzen. Auch zwei niederländische Mediziner wurden gerade nach Den Haag gebracht, nachdem sie mit infizierten Patienten in Kontakt gekommen waren.Placeholder image-1Vom medizinischen Personal aus Guinea, Sierra Leone und Liberia wurde bislang niemand evakuiert – auch wenn sich nach WHO-Angaben bereits über 300 Ärzte sowie Pfleger infiziert haben und 144 der Krankheit erlagen. Sie sind nicht zuletzt Opfer einer hohen Ansteckungsrate, die in Westafrika inzwischen den Wert 2,7 bis 2,8 erreicht hat. Das bedeutet, jeder Ebola-Patient steckt bis zu drei weitere Personen an. Das wurde auch Dr. Sheik Humarr Khan zum Verhängnis, dem führenden Ebola-Arzt Sierra Leones. Immerhin wurde er für eine Behandlung in einem nichtafrikanischen Land „in Erwägung gezogen“, als das ein allerletzter Ausweg schien. Doch es kam zu keiner Ausreise. Ende Juli ist Dr. Khan verstorben.Mein Schwager Albert ist überzeugt, dass Olivet hätte gerettet werden können: „Ein Krankenhaus in Hamburg wollte sie aufnehmen. Als ich Anfang September mit ihr sprach, war sie zwar schwach, aber durchaus noch voller Hoffnung.“ Über das Veto der WHO sagt er: „Ich glaube, damit haben sie einen Mangel an Empathie für eine hingebungsvolle Ärztin offenbart, die unter großer Gefahr gearbeitet und viel riskiert hat.“ Die Kombination von Spezialausrüstung, Medikamenten und einer sauberen Umgebung könne bei Ebola schnell zu Erfolgen führen. Olivet aber musste in einer überfüllten Einrichtung mit schlechten sanitären Bedingungen auskommen – und das in einem Viertel von Freetown, das sehr dicht besiedelt ist, seit sich in den 90er Jahren viele Bürgerkriegsflüchtlinge dort niederließen. „Bestmögliche Versorgung“, das sei unter diesen Umständen nicht mehr als eine bedeutungslose Phrase.Für die Weltgesundheitsorganisation scheint es einen Unterschied zu geben zwischen westlichen Helfern, die – natürlich zu Recht – eine lebensrettende Behandlung erhalten, und Medizinern aus den betroffenen Ländern. Die gehen die gleichen Risiken ein, sind genauso mutig und ebenso wichtig für den Kampf gegen die Krankheit. Aber sie sind dazu verurteilt, die Gefahren in einem unterfinanzierten und überforderten Gesundheitssystem auf sich zu nehmen. Das Verhalten der WHO ist enorm kontraproduktiv. Soll Ebola effektiv eingedämmt werden, muss man alles tun, um diejenigen, die in den Krisengebieten arbeiten, darin zu bestärken, vor der Gefahr nicht zu kapitulieren.Placeholder infobox-1Die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf hat bereits gewarnt, die Krankheit könne das Land überwältigen und stelle eine „Bedrohung für die zivile Ordnung“ dar. In einem Brief an US-Präsident Barack Obama schrieb Johnson-Sirleaf: „Krankheiten, die sich vor der Ebola-Seuche relativ einfach behandeln ließen, fordern nun Menschenleben – wegen des schwarzen Sargtuchs, das die Epidemie über unser Gesundheitssystem geworfen hat.“ Hätte es nicht die Arbeit von Menschen wie Dr. Olivet Buck gegeben, wäre die Epidemie vermutlich schon längst jeder Kontrolle entglitten und würde nicht nur eine Region in Afrika, sondern auch den Nahen Osten oder Mittelasien bedrohen.ZweiklassenmedizinGut 5.000 Menschen haben sich inzwischen mit dem Virus angesteckt. Die Hälfte von ihnen ist gestorben. Und die Infektionsrate steigt weiter. Erst vor wenigen Tagen warnte die WHO-Generalsekretärin Margaret Chan: „Die Zahl der Patienten nimmt stärker zu, als Behandlungskapazitäten zur Verfügung gestellt werden können.“ Die am schwersten betroffenen Länder bräuchten dringend mehr internationalen Beistand – Ärzte, Pfleger sowie medizinische Ausstattung.Verwehrt man dem Personal in den Krisengebieten potenziell lebensrettende Behandlungen, kann das der Bereitschaft, von außen zu helfen, nur entgegenwirken. Albert ist wütend darüber, wie mit seiner Schwester umgegangen wurde. „Diejenigen, die an dieser Entscheidung beteiligt waren, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Mediziner aus den verschiedensten Ländern arbeiten vereint, um Ebola einzudämmen. Wie kann es sein, dass man einigen dieser Helfer im Fall einer Infektion die Chance zum Überleben gibt und andere zu Siechtum und Tod verdammt? Die WHO muss ihre Politik ändern.“ Sollte das geschehen, werde Olivets Tod nicht umsonst gewesen sein.
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