Noch ist es nicht soweit, dass 60 Millionen Filipinos an der Wahlurne gerufen sind, um darüber zu befinden, wer den populistischen Staatschef Rodrigo Duterte ablöst. Dessen sechsjährige Amtszeit geht unwiderruflich zu Ende, über seinen Nachfolger abgestimmt wird im Mai 2022. Vorentscheidungen jedoch fallen bereits jetzt und zu einem kritischen Zeitpunkt. Die Philippinen erlebten im September einen der schlimmsten Covid-19-Ausbrüche in Südostasien. Der Nationale Gesundheitsdienst verfügt über Impfdosen für lediglich ein knappes Viertel der Bevölkerung. Nicht nur deshalb steht für Duterte viel auf dem Spiel. Im Oktober kündigte der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag eine Untersuchung seines „Krieges gegen die Drogen“ an, in dessen Verlauf bis zu 30.000 Menschen getötet wurden. Ein wohlwollender Nachfolger könnte wie Duterte anordnen, nicht mit dem Tribunal zu kooperieren.
Laut Umfragen steht dessen Tochter Sara in der Wählergunst ganz vorn, lehnt es allerdings bislang ab, sich an dem Rennen zu beteiligen. Sie hat die Frist für eine Registratur als Kandidatin verstreichen lassen. Nicht auszuschließen, dass sie in letzter Minute für einen Bewerber als Ersatz einspringt, wie es ihr Vater 2016 tat. Sympathisanten halten Sara Duterte für eine Light-Version ihres Vaters. Sie sei organisierter, weniger impulsiv, dennoch dann und wann aggressiv. Einmal schlug sie einem Polizisten viermal auf den Kopf, weil er ihre Befehle nicht befolgte, doch ist sie von der Rhetorik her nicht so brandstiftend wie ihr Vater. Vorerst kandidiert Sara Duterte nur für die Wiederwahl als Bürgermeisterin von Davao City im Südosten von Mindanao, wo es zwischen November 2011 und 2016 zu Fällen von Lynchjustiz gekommen sein soll. Als Sara Duterte schon einmal Bürgermeisterin war.
Sonst stehen zunächst drei Kandidaten im Blickfeld: Ex-Senator Ferdinand Marcos, Sohn des einstigen Diktators gleichen Namens (im Amt 1965 – 1986), dazu der Bürgermeister von Manila und Ex-Schauspieler Isko Moreno und die Boxlegende Manny Pacquiao. Hinter ihnen liegt die Vizepräsidentin und offene Duterte-Kritikerin Leni Robredo. „Alle haben eine Chance“, glaubt die Politikwissenschaftlerin Carmel Abaovon von der Manila University. Ziemlich sicher werde die Wahl zum Referendum über die Regierungsform, der die Mehrheit nach sechs Jahren Duterte zuneigt.
Manny Pacquiao, Boxweltmeister und nationale Ikone, versucht es mit der Vom- Tellerwäscher-zum-Millionär-Legende und spricht viele an. Aufgewachsen in einer der ärmsten Gegenden Mindanaos, verließ er seine Heimat als blinder Passagier auf einem Boot nach Manila. Bis sein Boxtalent entdeckt wurde, verdiente er Geld auf dem Bau, das er stets nach Hause schickte. Seine politische Karriere begann 2010, als Pacquiao zunächst Abgeordneter im Repräsentantenhaus wurde und häufig durch Abwesenheit glänzte. Der frühere Box-Champion ist evangelikaler Christ und hat sich gegen Scheidung, Abtreibung sowie gleichgeschlechtliche Ehen ausgesprochen. Er verstieg sich zu der Aussage, für ihn seien Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen „schlimmer als Tiere“. Auch hat Pacquiao wie ein willfähriger Parteigänger Staatschef Duterte lange verteidigt und behauptet, dieser sei „Präsident von Gottes Gnaden“. Auch dessen brutalen Feldzug gegen Drogen unterstützte der Boxer, gab aber zu, als Teenager selbst welche genommen zu haben. Und er begrüßte den Sturz von Senatorin Leila de Lima, der Vorsitzenden des Komitees für Gerechtigkeit und Menschenrechte.
Diktator Marcos’ Sohn tritt an
Die Kritikerin Dutertes hatte Todesfälle im Zusammenhang mit der Anti-Drogen-Kampagne untersucht und ist plötzlich selbst wegen „Drogendelikten“ inhaftiert. Inzwischen wirkt das Verhältnis zwischen Pacquiao und Duterte abgekühlter. Ein Korruptionsskandal war dem Boxer ein willkommener Anlass, den Präsidenten anzugreifen. Der erweise sich gegenüber China als zu schwach und müsse akzeptieren, dass der Internationale Strafgerichtshof gegen ihn ermittle. Ob Pacquiaos Status als Champion reicht, um Präsident zu werden, bleibt abzuwarten.
Ferdinand Marcos jr., bekannt als „Bongbong Marcos“, muss sich dem Erbe seines verstorbenen Vaters Ferdinand Marcos stellen, dem nachgesagt wird, bis zu zehn Milliarden Dollar aus der Staatskasse abgezweigt zu haben. Unter dem 1972 von Marcos verhängten Kriegsrecht wurden laut Amnesty International schätzungsweise 34.000 Menschen gefoltert, 3.240 Menschen getötet und 70.000 inhaftiert. „Bongbong“ spielt das Unrecht als Staatsnotwehr herunter. Einst hat er Philosophie und Wirtschaft an der Universität Oxford studiert, ohne freilich einen Abschluss zu machen, von einem Sonderdiplom in Sozialwissenschaften abgesehen. Danach wurde er mit 23 Jahren – ohne auf einen Gegenkandidaten zu stoßen – Vizegouverneur der Provinz Ilocos Norte.
Eine friedliche Volksrevolte hatte die Familie Marcos 1986 ins Exil gezwungen. Seit der Clan Anfang der 1990er Jahre ins Land heimkehren konnte, versuchte er Präsenz und Prestige im öffentlichen Leben zurückzugewinnen. „Bongbong“ wurde immerhin Senator und wollte 2016 Vizepräsident werden, verlor die Wahl aber gegen Leni Robredo.
Die Marcos-Familie ist weiter extrem mächtig, sodass Marcos jr. über enorme Ressourcen gebietet. So konnte er sich eine schwer zu erschütternde Machtbasis in den sozialen Medien aufbauen, die es ihm erlaubt, jüngere Wähler anzusprechen, die keine eigene Erinnerung an das Regime seines Vaters haben. Marcos jr. ist Staatschef Duterte besonders zugetan, weil der seinem Vater – er starb im September 1989 in Honolulu – am 18. November 2016 ein Heldenbegräbnis in philippinischer Erde ermöglichte. Da erübrigt es sich fast, überhaupt zu erwähnen, dass Marcos jr. dem Internationalen Strafgerichtshof keine Ermittlungen gegen Duterte zugestehen will. Mitglieder des ICC dürften das Land als Touristen besuchen, mehr nicht.
Vizepräsidentin Leni Robredo vertritt die genau entgegengesetzte Position und besteht darauf, dass die „sinnlosen Tötungen im Krieg gegen die Drogen“ aufgeklärt werden. Vor ihrem politischen Aufstieg arbeitete die Tochter eines Richters und einer Englisch-Professorin als Anwältin für Nichtregierungsorganisationen, die marginalisierte Gruppen in rechtlichen Fragen berieten. Auslöser für Robredos Umstieg in die Politik war der Tod ihres Mannes, des Innenministers Jesse Robredo, der 2012 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Mit der Trauer wurden Rufe laut, sie solle selbst in die Politik gehen, wozu es 2013 auch kam. Zur Vizepräsidentin wurde sie unabhängig von Duterte gewählt. Die Beziehung zwischen beiden gilt als eisig. Immer wieder äußert Robredo deutliche Kritik, an der Pro-China-Haltung Dutertes ebenso wie an seinen Coronamaßnahmen. Zugleich warnt sie unablässig vor den Risiken, die populistische Staatschefs heraufbeschwören. Im Wahlkampf wird sie auf den Nimbus einer authentischen Oppositionskandidatin setzen und darauf hoffen, von wachsender Frustration angesichts der Pandemie und Wirtschaftskrise zu profitieren.
Verleumdet als Callboy
Bliebe Isko Moreno, der Bürgermeister von Manila, der gern erzählt, dass er als Kind in Tondo – einem der ärmsten Viertel in der Hauptstadt – seiner Mutter helfen musste, alte Zeitungen und Flaschen zu sammeln, um sie an Müllhändler zu verkaufen. Auch sei es ihm nicht erspart geblieben, in den Abfällen von Restaurants nach Essbarem zu suchen. Mit 18 wurde er „entdeckt“, machte mit Fernsehfilmen Karriere und nannte sich Isko Moreno, sein Geburtsnamen war Francisco Domagoso. Präsident Duterte liebt es, Moreno wegen seiner Rolle im Showbusiness bei den Wählern lächerlich zu machen, indem er sexuell aufreizende Bilder des Schauspielers Moreno in einen Callboy-Kontext stellt.
Doch kann das der politischen Vita eines Mannes wenig anhaben, der schon Mitte zwanzig Stadtrat in Manila war, später Vizebürgermeister und 2019 zum Stadtoberhaupt gewählt wurde. Bekannt machten ihn Säuberungskampagnen, die illegale Straßenhändler aus dem Stadtbild verschwinden ließen. Dutertes Coronapolitik kritisiert er offen, darunter harte, sich lange hinziehende Lockdowns. Die ICC-Untersuchungen zu Dutertes „Drogenkrieg“ will er nicht aufhalten. Im Versuch, Unterstützung aus allen Teilen eines polarisierten philippinischen Politikspektrums zu erhalten, präsentiert sich Moreno als heilende Kraft. Kritiker dagegen werfen ihm vor, sich nicht festzulegen zu wollen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.