Ihr Gesicht verrät, dass sie es nicht so recht glauben kann. Gerade noch hat Zuzana Čaputová erklärt, wie sie den Rechtsstaat in der Slowakei stärken will, da liest einer ihrer Wahlhelfer die Schlagzeile laut von seinem Handy ab: Marián Kočner, schwerreicher Geschäftsmann, wird angeklagt, den Mord an dem Journalisten Ján Kuciak in Auftrag gegeben zu haben. „Wow, das überrascht mich“, sagt die 45-jährige Anwältin plötzlich auf Englisch; bis dahin hatte sie über einen Dolmetscher kommuniziert. „Ich habe in einem Rechtsstreit mit Kočner einmal die Gegenseite vertreten.“
2018 brachte der Mord an Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová, die auch über Kočners Geschäfte recherchiert hatten, Tausende Slowakinnen und Slowaken auf die Straße, um für ein Ende der Korruption zu protestieren – Čaputová veranlasste es, für die Präsidentschaft zu kandidieren. Sie erhielt 40,6 Prozent der Stimmen und tritt in der zweiten Runde an diesem Samstag gegen EU-Kommissions-Vizepräsident Maroš Šefčovič an; für ihn hatten 18,7 Prozent gestimmt.
Bis vor Kurzem war Čaputová politisch ein unbeschriebenes Blatt, doch ihre Botschaft von Anstand und Verbindlichkeit – inspiriert, wie sie sagt, von Gandhis Autobiografie Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit sowie ihrem Helden, dem verstorbenen tschechoslowakischen Präsidenten und antikommunistischen Dissidenten Václav Havel – hat verfangen. Sie setzt sich für LGBTQ-Rechte ein – in der sehr katholisch geprägten Slowakei, die die gleichgeschlechtliche Ehe verbietet, durchaus kontrovers. Mit Čaputová würde eine Frau Präsidentin, die dezidiert pro-westlich und für die NATO- sowie die EU-Mitgliedschaft ihres Landes argumentiert.
Das wäre ein den Liberalen willkommener Kontrast zu Regierungen in Nachbarländern wie Ungarn, Polen oder der Tschechischen Republik, wo der Moskau-freundliche Miloš Zeman als Präsident amtiert – ein seltener Rollentausch in der Beziehung der beiden Länder, die einst in der Tschechoslowakei vereint waren, bevor diese sich 1993 in zwei unabhängige Staaten auflöste. „Als die Tschechische Republik in den 1990ern der NATO beitrat“, sagt der Redakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Slowakei, Michal Katuška, „blieben wir zurück und US-Außenministerin Madeleine Albright nannte uns das schwarze Loch Europas. Nun scheint es, als würde die Slowakei in Bezug auf ihre Nachbarländer zum Einäugigen unter den Blinden werden.“
Čaputová selbst warnt, ihre Wahl könne zwar für manche Leute „inspirierend“ sein, sie könnte aber auch „einen gegenteiligen Effekt haben“ und den Rechten neue Angriffsflächen bieten. Gerade Marián Kočners mutmaßliche Rolle beim Kuciak-Mord löst bei ihr düstere Gedanken aus. „Die Namen, die in Verbindung mit dem Fall jetzt auftauchen, kenne ich aus meiner Zeit in Pezinok“, sagt sie im Büro der vor Kurzem gegründeten Partei Progressive Slowakei, deren Vizevorsitzende sie ist, auch wenn sie offiziell als Unabhängige kandidiert. Der damalige Rechtsstreit drehte sich um eine Mülldeponie in ihrer Heimatstadt Pezinok in der Nähe von Bratislava: Kočner war an der Deponie beteiligt, Čaputová wurde mit ihrer Erfahrung als Anwältin zur treibenden Kraft einer Kampagne von Anwohnern, die den Austritt krebserregender Gifte beklagten. Die Deponie wurde 2015 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs geschlossen, was Čaputová den prestigeträchtigen Goldman-Umweltpreis einbrachte, zudem Vergleiche mit der engagierten US-Anwaltsgehilfin Erin Brockovich, im gleichnamigen Oscar-prämierten Film von Julia Roberts dargestellt.
Da Kočner möglicherweise einer langen Haftstrafe entgegensieht, hat Čaputová es nun mit anderen Gegnern zu tun: Gerüchten, wie sie der Chef der mitregierenden Slowakischen Nationalpartei auf Facebook postete: Demnach sei Čaputová ein „unbekanntes Mädchen“, das PR-Agenturen geschaffen hätten. Andere Beiträge zielen auf den Goldman-Preis (der mit der gleichnamigen Bank nichts zu tun hat) ab, denunzieren ihn als „Hillary-Clinton-Preis“ oder nennen Čaputová fälschlicherweise eine Jüdin. Andere zweifeln an, dass sie wirklich geschieden ist, verbreiten Gerüchte über ihren gegenwärtigen Partner oder bezeichnen sie als Kandidatin des milliardenschweren Philanthropen George Soros.
Im Café Mlsná Emma in Pezinok sitzt der Vermessungsingenieur Juraj. Der 30-Jährige mit schwarzer Baseballmütze sagt, er werde nicht für Čaputová stimmen, obwohl er ihre Familie persönlich kenne: „Sie hat eine andere Sicht auf die Welt als ich. Sie ist mir zu liberal. Jemand hat einen Haufen Geld in ihren Wahlkampf gesteckt, jetzt wird sie größer und größer, ich weiß nicht warum. Sie hat ein wirklich gutes PR-Management.“ Čaputová, die Zen-Yoga praktiziert, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, sagt, ihre Kampagne sei durch kleine Bürgerspenden finanziert worden, insgesamt gerade einmal 200.000 Euro.
Für Čaputovás heutige Beliebtheit dürfte vielmehr auch die Entscheidung des liberalen Präsidenten Andrej Kiska, nicht erneut zur Wahl anzutreten, ausschlaggebend gewesen sein, und der Rückzug eines anderen liberalen Kandidaten zu ihren Gunsten. Derweil dürften ihrem Konkurrenten Šefčovič seine Verbindungen zur regierenden Smer-Partei und Ex-Premier Robert Fico schaden, auch wenn er selbst kein Smer-Mitglied ist; Fico hatte infolge des Kuciak-Mordes seinen Hut nehmen müssen, gilt aber nach wie vor als einflussreich.
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