Virusfreie Antarktis

Klimawissenschaft Ein Forscherteam bricht zum einzigen Kontinent ohne Covid-19 auf – und soll nur ja keine Infektion einschleppen
Ausgabe 47/2020

Nach beendeter Quarantäne gingen Anfang November 40 Frauen und Männer an Bord des Forschungsschiffs James Clark Ross, das sie von der englischen Hafenstadt Harwich aus in den Südatlantik bringen soll. Ihre Mission ist klar: Wissenschaftsprojekte in der Antarktis retten, diese dabei aber frei von Corona halten.

Die Antarktis ist der einzige Kontinent auf der Welt, der bisher nicht von der Pandemie berührt ist. Aber das hat seinen Preis. Alle größeren Forschungsprojekte dort wurden auf Eis gelegt. Und nicht nur Großbritannien hat die Forschung in einer Region unterbrochen, die für die Erforschung des Klimawandels und des Rückgangs der Artenvielfalt zentral ist. Die meisten anderen Länder setzen ihre Projekte ebenfalls wegen der Pandemie aus.

„Es fehlt einfach die logistische Unterstützung, um Wissenschaftler*innen in die Antarktis zu schicken und zu garantieren, dass sie nicht an Covid-19 erkranken“, sagt Jane Francis, Leiterin des Forschungsinstituts British Antarctic Survey (BAS), für das das Forschungsschiff James Clark Ross in See sticht. „Aber unser gesamtes Daten-Monitoring soll weiterlaufen, damit bei der langfristigen Sammlung von Daten zum Wetter, zu Veränderungen der Eisdecke sowie für die Flora- und Fauna-Statistik keine Lücken entstehen. Das ist ein sehr wichtiges Unterfangen.“

Ebendas ist die Aufgabe der Männer und Frauen, die am 5. November in Harwich im Südosten Großbritanniens abgelegt haben. Sie sollen dafür sorgen, dass wenigstens die grundlegenden wissenschaftlichen BAS-Projekte in der Antarktis weiterlaufen. Geräte und Ausrüstung müssen gewartet und dafür vorbereitet werden, dass im kommenden Jahr oder später wieder Forschungsmissionen anlaufen. An Bord der James Clark Ross sind daher Techniker, Taucher, Naturführer und andere Mitarbeiter*innen, die in den kommenden Monaten Daten sammeln, Instrumente in Ordnung halten sowie biologische Proben entnehmen sollen.

Zur Corona-Prävention wurden außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen: „Covid-19 nicht in die Antarktis zu bringen, ist unsere wichtigste Prämisse“, erklärt der Leiter der Polarprojekte von BAS, John Eager. „Ausgewählt wurden nur sehr fitte und gesunde Mitarbeiter*innen, die keinerlei Covid-19-Risikofaktoren aufweisen. Vor der Abfahrt mussten sie sich 14 Tage in Quarantäne begeben. Zudem haben wir sichergestellt, dass das Schiff keinen Zwischenstopp in einem Hafen macht, damit kein weiteres Risiko entsteht, sich das Virus einzufangen. Das Schiff fährt direkt zu unseren Forschungsstationen.“

„Es ist ruhig geworden hier“

Dabei gehe es nicht um eine symbolische Bedeutung davon, die Antarktis virusfrei zu halten, fügt Francis hinzu. „Wir sind aus einem ganz schlichten Grund sehr, sehr vorsichtig: Würde jemand in der Antarktis schwer erkranken, wäre es sehr schwierig, ihn oder sie zu behandeln.“

Das Forschungsschiff braucht rund acht Wochen, um die Hauptforschungsstation des British Arctic Survey in Rothera zu erreichen. Vorher wird es bei Forschungsstationen auf der südlichen Orkney-Insel Signy Island sowie in Bird Island und King Edward Point auf der Inselgruppe Südgeorgien Halt machen.

Zum Ende der Reise beginnt vor Ort bereits der Sommer. Wegen des wärmer werdenden Wetters hat in Rothera bereits jetzt das Meereis zu schmelzen begonnen. „Die ersten wilden Tiere kehren in die Nähe der Station zurück. See-Elefanten und Adeliepinguine wurden schon gesichtet“, berichtete der in Rothera stationierte Naturführer Robert Taylor kürzlich dem Observer. „Normalerweise würden jetzt die ersten Wissenschaftler*innen mit dem Flugzeug anreisen und wir würden sie bei ihren geplanten Projekten begleiten. Aber sie wurden alle verschoben. Es ist hier sehr ruhig geworden.“

Die Entscheidung, die Operationen in der Antarktis einzuschränken, ist ein harter Schlag für viele Forschungsbereiche, insbesondere für die Klimawissenschaft. Die dramatischsten Veränderungen, die durch die globale Erwärmung hervorgerufen werden, finden an den Polen statt. In der Antarktis frisst sich das erwärmende Wasser in viele große, Schelfeis genannte Eisplatten, die sich vom Land über den Ozean erstrecken, und bringt sie zum Schmelzen. Dadurch droht in den kommenden Jahren ein deutlicher Anstieg des Meeresspiegels auf dem ganzen Planeten. „Wir müssen dringend umfassende Forschungsprogramme in der Antarktis durchführen“, so Francis. „Sie hat uns so viel zu sagen. Hoffentlich können wir in einem Jahr dort anknüpfen, wo wir aufgehört haben, und mit vielen Wissenschaftler*innen zurückkehren. Dann können wir alle Projekte fortführen, die aufgeschoben werden mussten. Natürlich lässt sich das nicht garantieren, und vielleicht müssen wir alles noch um ein weiteres Jahr verschieben. Wir müssen jetzt einfach abwarten, was passiert.“

Ernste Sorgen

Die James Clark Ross wird im März 2021 in Großbritannien zurückerwartet. Mitbringen wird sie dann wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die die vergangenen zwölf Monate in den Forschungsstationen verbracht haben. Sie werden in ein Land zurückkehren, das sich in diesem Zeitraum enorm verändert hat, was den Heimkehrer*innen ernste Sorgen bereitet. „Die meisten von uns haben Jobs gekündigt, um in die Antarktis zu gehen – in der Annahme, dass die Lage bei unserer Rückkehr ungefähr so ähnlich sein würde wie bei der Abreise. Aber jetzt ist klar, dass das nicht der Fall ist“, erklärt Taylor. „In gewisser Weise hatten wir Glück, weil hier kein Ansteckungsrisiko besteht und wir miteinander umgehen können wie vor Corona.“

Das wird sich allerdings ändern, wenn die Mitarbeiter*innen von Rothera und den anderen Forschungsstationen nach Großbritannien zurückkommen. „Normalerweise bedeutet Nach-Hause-Fahren, alle Freiheiten wiederzuerlangen, die wir geopfert haben, um zum Südpol zu fahren“, sagt Taylor. „Aber dieses Mal bedeutet es, die Beschränkungen durch die Natur der Antarktis einzutauschen gegen eine ‚neue Normalität‘: soziale Distanzierung, Masken, Reisen und unser Verhalten beschränken. Dazu kommt die Herausforderung, unter diesen Bedingungen unsere Freunde und Familien wiederzusehen. Und, natürlich, Arbeit zu finden.“

Robin McKie ist Redakteur für Wissenschaft und Umwelt bei der britischen Sonntagszeitung Observer, die zum Guardian-Verlag gehört

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Robin McKie | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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