Sudan Präsident al-Bashir wird von den USA nicht länger wie ein Aussätziger behandelt. Gemeinsam soll eine humanitäre Katastrophe im Südsudan verhindert werden
Hat Barack Obama während seines Wahlkampfes die sudanesische Regierung noch wegen des Darfur-Konflikts heftig attackiert, zeichnet sich plötzlich eine jähe Wendung ab. Präsident Al-Bashir wird nicht mehr als Paria geächtet, sondern als Partner betrachtet. Selbst Gegner des Strategiewechsels, wie er am 20. Oktober in Washington verkündet wurde, räumen ein, dass sich der Sudan an einer kritischen Wegscheide befinde. Das Weiße Haus habe gar keine Wahl – es müsse versuchsweise einen anderen Weg als den der Konfrontation einschlagen, es sei denn, man wolle eine geostrategische und humanitäre Katastrophe riskieren.
Auch wenn es in der westlichen Provinz Darfur vor sechs Jahren einen Völkermord gegeben hat, was die Regierung von Omar al-
n Omar al-Bashir heftig bestreitet, so ist der Begriff nicht mehr auf das anwendbar, was dort heute geschieht. Noch immer kehren Hunderttausende von Hilfsbedürftigen aus Angst nicht in ihre Dörfer zurück, doch es ist gelungen, die Massenmorde der Jahre 2003 und 2004 zu stoppen.Selbst die Vereinten Nationen erklären, die extreme Gewalt, für die einst Khartum und die arabischen Reitermilizen, die Dschandschawid, verantwortlich gemacht wurden, gehöre der Vergangenheit an. Statt dessen würden sich traditionelle Konflikte zwischen ethnisch verwurzelten Rebellen-Milizen entladen, bei denen die Regierung nur gelegentlich eingreife.Selbst Susan Rice, Obamas UN-Botschafterin, die noch jüngst für eine Militärintervention in Darfur geworben hat, rudert zurück. „Die Dinge haben sich verändert. Unsere Politik stellt den Versuch dar, dem Rechnung zu tragen.“ Trotzdem hält das Weiße Haus, wohl aus Rücksichtnahme gegenüber der stark von evangelikaler Lobbyarbeit beeinflussten öffentlichen Meinung, am Begriff vom Ongoing Genocide, anhaltendem Völkermord, fest und will bestehende Sanktionen gegen Sudan so lange nicht lockern, bis die neue Politik erste Früchte trägt.Die Kriegsfurie grast weiter Obamas Entscheidung, den Konfrontationskurs zu verlassen und statt dessen mit Anreizen und Druck zu arbeiten, um auf die Exekutive in Khartum Einfluss zu nehmen, wozu Scott Gration, der Sudan-Gesandte des Weißen Hauses, geraten hat, zielt auf mehr als einen fragilen Frieden in Darfur. Immer stärker fesselt der Süden des Landes die Aufmerksamkeit, wo bei Kämpfen verfeindeter Ethnien in diesem Jahr bereits mehr als tausend Menschen starben, wesentlich mehr als zur gleichen Zeit in Darfur.Im Südsudan steht das Comprehensive Peace Agreement (CPA) auf dem Spiel, das einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg erstickte. Wird dieser Friedensschluss zu Makulatur, geraten für 2011 vorgesehene Regionalwahlen sowie Pläne in Gefahr, ein Referendum über eine Sezession des Südens abzuhalten (s. Glossar). Scheitert das CPA vollends, dürften davon westliche Interessen im Nilbecken, am Horn von Afrika oder in Ostafrika überhaupt nicht unberührt bleiben. Für die Menschen im Sudan käme die Rückkehr des Bürgerkrieges einer Katastrophe gleich.Salva Kiir Mayardit, Präsident der halbautonomen südsudanesischen Regierung, die dank des Peace Agreements entstand, schrieb dem US-Präsidenten Ende September einen Brief, in dem beklagt wird, Omar al-Bashir wolle den Süden mit Absicht destabilisieren. Er schüre die Gewalt in den ölreichen Regionen. Human Rights Watch hingegen glaubt, beide Seiten hätten Schuld auf sich geladen. Die seit dem Friedensabkommen geltende Auflage, regionale Milizen zu demobilisieren, sei missachtet worden. Die Regierung in Khartum habe es ihrerseits versäumt, die „Bestimmungen des Friedensabkommens über Demarkationslinien und einen Truppenrückzug zu erfüllen“.Einladung aus KhartumDie Vereinten Nationen sind überzeugt, die Unruhen stoppen die Rückkehr von zwei Millionen Kriegsflüchtlingen von Nord nach Süd. Action Against Hunger warnt vor einem durch hohe Preise und eine schwere Dürre verursachten „erheblichen Mangel an Lebensmitteln“. Die Unterernährung bei Kindern habe den von der Welternährungsorganisation FAO festgelegten kritischen Wert überschritten.Ghazi Salahuddin, der Chefberater von Präsident al-Bashir, reagiert vor der UN-Generalversammlung, indem er auf eine konstruktive Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft schwört. Eine ethnische Zerreißprobe im Süden bedrohe „nicht nur die Stabilität des Sudan, sondern die der gesamten Region“. Seine Regierung verfolge weiter die Absicht, 2010 friedliche Wahlen zu ermöglichen: „Wir laden die internationale Gemeinschaft ein, uns bei diesem Votum zu unterstützen – finanziell wie organisatorisch, mit Taten und mit Worten.“Diese Einladung anzunehmen, könnte es Obama ermöglichen, auf den Sudan größeren Einfluss zu nehmen als bisher und sich mehr um die Flüchtlingstragödie im Osten des Landes zu kümmern, wo jeden Monat Tausende aus dem maroden, kriegsgeschüttelten Somalia und dem von einer autoritären Regierung malträtierten Eritrea ankommen. Dies sind in den Augen des Weißen Hauses ebenso wichtige Gründe für ein konstruktives Engagement im Sudan wie die Eindämmung einer sich ausbreitenden ultra-islamischen Ideologie in der Region. Nicht anders als beim Iran, bei Syrien oder Myanmar werden von Obamas ungewohnter Politik der ausgestreckten Hand in den USA Effekte erwartet, die nicht lange auf sich warten lassen dürfen.
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