Von Browsing bis Hasenporno

Hirnkontrolle Sollte es wirklich einmal so weit kommen, dass der Körper als Puffer für die direkte Umsetzung unserer Gedanken umgangen werden kann: Gnade uns Gott!

Ungefähr seit dem Jahr 1998, als die Menschheit begann, die Geschichte des technischen Fortschritts vorwärts zu spulen wie ein YouTube-Video, in dem man ungeduldig nach den besten Stellen sucht, haben wir uns daran gewöhnt, dass Maschinen innerhalb weniger Monate veralten: VHS, Walkman, Faxgeräte, CD-Roms, Pager, Wählleitungen ins Internet – sie alle gehören im Museum in dieselbe Ecke wie die Mangel und der Pferdepflug.

Der Berg an Zivilisationsschrott wächst täglich an. Wenn Ihre Wohnung auch nur im Entferntesten der meinen gleicht, dann birgt auch sie mehrere Verstecke voller archaischer Ladegeräte, nicht mehr zu gebrauchender Kabel und anderer gerade vom Fortschritt überholter Dinge, deren einzige sinnvolle Funktion im Jahre 20111 noch darin besteht, das Jahr 2005 wirken zu lassen wie 1926 – so groß und blöd und globig sind sie. Jeder von uns hat bestimmt schon einmal eine Schublade aufgemacht und war erstaunt über den unerwarteten Anblick eines alten Mobiltelefons: Wie konnte einen ein derart überdimensioniertes Ding jemals faszinieren?

Nun aber scheint es bald an der Zeit, ein weiteres überflüssig gewordenes Gerät auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen: unseren Körper. Vergangene Woche stellten Wissenschaftler der Washington University ein neues gedankenkontrolliertes Computersystem vor. Traditionelle gedankengesteuerte Systeme – dass wir hier von „traditionell“ sprechen können zeigt schon, dass wir schon knietief in dieser Zukunft stecken –, erfordern von ihrem Benutzer, dass er sich eine EEG-Mütze aufsetzt, bevor er äußerst angestrengt an bestimmte Vorgänge denkt. Die sich hieraus ergebenden Gehirnströme werden dann interpretiert und lösen im System die entsprechenden Reaktionen aus. Der praktische Gebrauch ist dank des menschlichen Schädels aber sehr eingeschränkt, da dieser einige Signale dämpft und andere wiederum verstärkt. Es ist in etwa, wie wenn man versucht, in Erfahrung zu bringen, was die Nachbarn gerade so treiben, indem man das Ohr an die Wand presst: Das macht zwar Spaß, führt aber doch allzu oft sehr in die Irre.

Und hier kommt die Elektrokortikografie ins Spiel, bei der Sensoren direkt auf der Gehirnoberfläche befestigt werden, wodurch ein weitaus zuverlässigeres Signal entsteht. Die Wissenschaftler sind schon soweit, dass Probanden einen Cursor auf dem Bildschirm beeinflussen können, indem sie an verschiedene Vokale denken. Sobald diese Technik weiter verfeinert wird und man den Cursor zielgenau steuern und Dinge anklicken kann, wird die Zeit der massenhaft gefertigten Wi-Fi mind-controlled iPads schneller über uns hereinbrechen, als wir unsere Kinder im Schlaf ersticken können, um sie vor einer solchen Zukunft zu bewahren.


Umweg überflüssig

Aber sieht es wirklich so düster aus? Waren nicht alle Computer schon immer verstandesgesteuert? Mag auch meine Hand es sein, die die Maus bewegt und meine Finger die Tasten drücken, so geschieht doch nichts davon, ohne dass ich hierzu mein geistiges Einverständnis gebe. Die gedankenkontrollierte Schnittstelle macht doch „lediglich“ den Umweg über den Körper überflüssig und gibt den Fingern die Möglichkeit, währenddessen etwas Sinnvolleres zu tun. Worin also besteht das Problem?

Das Problem besteht darin, dass der Körper den letzten, entscheidenden Puffer zwischen dem launischen menschlichen Verstand und der sklavisch dessen Willen ausführenden Maschine darstellt. Denken Sie nur einmal daran, wie viele hasserfüllte E-Mail-Antworten sie schon im ersten Eifer verfasst haben, um dann in letzter Minute doch noch innezuhalten und es sich anders zu überlegen, während ihr Finger schon bereit dazu war, den Text abzuschicken. Die einfache Tatsache, dass ein kleiner physischer Vorgang erforderlich ist, um das Ding auch tatsächlich zu versenden, ist oft schon Grund genug, noch einmal darüber nachzudenken.

Wenn gedankenkontrollierte Computer zu einer alltäglichen Realität werden sollten, haben Sie die Nachricht hingegen schneller geschrieben und versendet als Sie sich den großen Zeh anstoßen oder einen entrüsteten Gesichtsausdruck machen können – nur dass der Text detaillierter und expliziter ist und mehr Flüche enthält. Und mag Ihr Gehirn auch gut darin sein, Maschinen zu kontrollieren, wie gut sind Sie darin, Ihr Gehirn zu kontrollieren? Was, wenn Sie sich in zehn Jahren auf ihrem futuristischen 3-D-Computer-Fernseher einen Cartoon mit einem Hasen ansehen, der leicht zur Koketterie neigt und gerne mal ein wenig mit einer anderen Figur flirtet?

Wie der Hase seine Blume bewegt

Die viel sagende Art, wie er seine Blume bewegt, lässt Sie bei seinem Gehopse unverzüglich an Sex denken, und bevor Sie es sich versehen, hat ihr Gehirn in den entlegensten und schmutzigsten Ecken des Ultra-Net einen beschämenden und bestialischen Hasen-Porno aufgetrieben und fängt just in dem Augenblick damit an, diesen auf ihren Bildschirm zu übertragen, in dem ihre Frau und ihre Kinder vom Einkaufen nach Hause kommen. Berauscht von dieser selbstzerstörerischen Kraft nimmt ihr Computerhirn einen vier Sekunden-Clip ihres vor Schreck nach Luft schnappenden Kindes auf, bemalt es mit Penissen und Hakenkreuzen und postet dieses geschändete Porträt auf ihre Facebook-Seite. Daneben schreibt es den Satz: SEHT ALLE HER – SOWEIT IST ES MIT MIR GEKOMMEN! RICHTET ÜBER MICH! RICHTET MICH! RICHTET MICH ALLE MITEINANDER!

Seien wir ehrlich: Es schwirrt eine ganze Menge Müll in unseren Köpfen herum, den man von einem Computer nicht ohne weiteres ausgeführt sehen möchte. Denken Sie daran, wenn ein Smartphone herauskommt, das die Nummer ihrer Liebsten wählt, sobald Sie nur an ihr Gesicht denken! Widerstehen Sie der Versuchung! Verstärken Sie Ihre Schädeldecke! Tackern Sie zur Not einen Fußabtreter drauf! Lassen Sie Ihre Gedanken da, wo sie hingehören! Denn wenn unser teuflischer Verstand es wirklich einmal schaffen sollte, unseren Körper zu umgehen, um seine Hände direkt ans Steuer zu bekommen, kann sich die Menschheit auf ein sechsmonatiges Chaos mit anschließendem Jüngsten Tag gefasst machen.

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Geschrieben von

Charlie Brooker | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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