Von Facebook zur Prime Time

Brandstifter Wie die unbedeutende Randfigur Terry Jones durch die Beihilfe der Medien in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit gelangen kann. Eine Chronik

Was mit einem provokativen Vorschlag begann, der bei Facebook verbreitet wurde, entwickelte sich innerhalb von nur zwei Monaten zu einer vermeintlichen Bedrohung des Weltfriedens. Terry Jones, ein extremistischer Pastor aus Florida, wurde mit einer kleinen Schar von Anhängern zur illustren Hassfigur. Alle Staatschefs dieser Welt verurteilten seine Pläne, 200 Exemplare des Koran zu verbrennen – es kam zu gewalttätigen Demonstrationen.

Als alles begann

Die Chronologie der Ereignisse ist ein warnendes Beispiel für die Gefahr, wie randständige Figuren durch um sich greifende Nachrichten und soziale Netzwerke in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt werden können. Der Fall sollte den Medien Anlass zur Sorge über die eigene Rolle sein, die Frage aufwerfen, wie Politiker und kirchliche Gruppen mit dem Thema umgehen.

Die Keimzelle der Geschichte war eine Nachricht, die im Juli auf der Seite einer Facebook-Gruppe erschien, die wiederum mit der mittlerweile nicht mehr zugänglichen Website Islam is of Devil (der Titel eines Buches von Jones) in Verbindung stand. Die Gruppe der Koran-Verbrenner rief ihre Facebook-Freunde dazu auf, Bilder einzustellen, wie sie sich die Verbrennung des heiligen Buches zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 vorstellten. Die Mehrzahl der Kommentatoren auf der Seite brachte ihr Entsetzen über den Vorschlag zum Ausdruck, Unterstützung gab es nur wenig.

Aber innerhalb weniger Tage wurde die Geschichte vom Religion News Service aufgegriffen, der Jones mit der Behauptung zitierte, die Leute hätten ihm Exemplare des Koran zum Verbrennen geschickt. Das Council on American-Islamic Relations wurde um eine Stellungnahme gebeten, nahm den Köder jedoch nicht auf: „Wir möchten darauf nicht reagieren“, ließ sich der Direktor vernehmen. Andere religiöse Organisationen übten weniger Zurückhaltung.

Abstinenz statt Aktionismus

Am 25. Juli sorgte Jones dann mit einer hetzerischen Videobotschaft auf YouTube für Aufmerksamkeit, in der er einen Koran in Händen hält und sagt: „Dieses Buch ist für den 11. September verantwortlich.“ Das war der Punkt, an dem die Massenmedien sich der Sache annahmen. Der für den Guardian aus den USA bloggende Michael Tomasky berichtete über die Geschichte. Ende Juli war Jones bei CNN zu sehen. Die Nachricht von den Plänen des Pastors ging um die Welt und wurde vom Sender al-Arabiya und der Times of India aufgegriffen. Am 3. August rief der Bürgermeister von Gainesville, wo Jones seinen Scheiterhaufen errichten wollte, die Welt dazu auf, den Brandstifter zu ignorieren. Craig Lowe meinte, Jones gehöre zu einer „kleinen Randgruppe“ und sei eine „Schande für unsere Gemeinschaft“. Doch der Pastor wurde nicht ignoriert und religiöse Gruppen begannen damit, die geplante Verbrennung zu verurteilen. Die in den USA ansässige National Association of Evangelicals forderte dazu auf, die Veranstaltung abzublasen. Eine einflussreiche sunnitische Autorität – das al-Aznahr Supreme Council – beschuldigte Jones, den Hass zu schüren.

Als die New York Times am 25. August ein Porträt von Jones brachte, hatten er schon 150 Interviews gegeben. Dennoch hatte die geplante Aktion noch kaum für öffentliche Proteste in der islamischen Welt gesorgt. Dies geschah erst, als in Kabul 500 Menschen zusammenkamen, um ihren Unmut zu zeigen. Bilder von Jones wurden zusammen mit einer US-Flagge verbrannt. Tags darauf gab General David Petraeus, Kommandeur der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, gegenüber Associated Press eine Erklärung ab, in der er warnte: Bilder der Koran-Verbrennung könnten Gewalt gegen die US-Truppen provozieren. Dies katapultierte die Geschichte an die Spitze der Welt-Nachrichten, wo sie sich Tage halten konnte. Nach Ansicht von David Shanzer, Experte für Terrorismus-Abwehr von der Duke University (North Carolina), verlieh Petraeus’ Kommentar Jones mehr Bedeutung, als er verdiente. Man hätte ihn ignorieren sollen, um „seine Macht untergraben“.
Hillary Clinton und der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, stimmten in den Chor der Verurteilung mit ein, schließlich äußerte sich sogar Präsident Obama: Die Aktion sei für die Rekrutierungsbemühungen von al-Qaida „der reinste Glücksfall“.

Bereits im Jahr 2008

Susilo Bambang Yudhoyono, der Präsident Indonesiens, dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung, nannte die Aktion eine Bedrohung des Weltfriedens – sie könne zu Gewalt, Vergeltungsmaßnahmen und vielen Opfern führen. Wie wir wissen, wurde der Konflikt durch Jones’ Sinneswandel in letzter Minute entschärft. Doch die Eskalation wäre vermeidbar gewesen: Bereits 2008 steckte ein extremistischer Pastor mit einer kleinen Gruppe von Anhängern einen Koran in Brand. Niemand schenkte ihm die geringste Aufmerksamkeit. Angehörige der Westboro Baptist Church aus Topeka in Kansas verbrannten in Washington auf offener Straße einen Koran. Weil niemand Lust auf die Provokationen der Gruppe hatte, blieben Journalisten der Aktion geschlossen fern.

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Matthew Weaver | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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