Porträt Serena Williams hat mehr Geld im Tennis gewonnen als alle anderen Spielerinnen. Ist ihr doch egal: Sie fühlt sich gesegnet und dazu berufen, Bedürftigen zu helfen
Als die ehemalige Tennisspielerin Billie Jean King vor kurzem vom Time-Magazin nach ihrem größten zeitgenössischen Helden gefragt wurde, nannte sie Serena Williams, „eine der wenigen Champions, die die Gesellschaft über den Sport hinaus beeinflusst“ hätten. Jeder, so King, wisse, dass sie ihren Besitz (rekordverdächtige 30 Millionen Dollar an Preisgeldern plus etliche Millionen aus ihrem Geschäft mit Designer-Kleidung) mit Notleidenden und Bedürftigen teile.
Und in der Tat macht die mittlerweile 28-jährige Williams zunehmend den Eindruck, als träten für sie Berühmtheit und Reichtum in ihrer Bedeutung immer mehr zurück. Als habe sie eine größere Mission: Vor zwei Jahren gründete sie eine Schule in Mat
eine Schule in Matooni, zwei Stunden südöstlich von Nairobi entfernt, und war bei einem Besuch kürzlich ganz begeistert über die Entwicklung des Projekts. Weitere sollen folgen. Zudem hat Williams eine Stiftung gegründet, die benachteiligte Kinder dabei unterstützt, einen College-Abschluss zu machen – ein Anliegen, das sie von ihrem Vater Richard übernommen hat.„Tennis war nie meine oberste Priorität“, sagte sie bei unserem letzten Treffen auf einer schattigen Terrasse am Foro Italico in Rom am Rande eines Turnieres, nachdem sie Anfang des Jahres quasi auf einem Bein zum fünften Mal die Australian Open gewonnen hatte. „Tennis ist eine Chance. Ich bin so gesegnet, dass ich gesund bin, dass meine Eltern sich um mich kümmern und mich unterstützen. Vielleicht bin ich deshalb eine gute Tennisspielerin und kann anderen helfen.“Nicht die Ruhe in PersonAuf den ersten Blick scheint ihre Welt also völlig perfekt zu sein. Sie ist prominent, hat eine Villa in Palm Beach Garden (Florida), erhält Einladungen ins Weiße Haus und hat unlängst zum fünften Mal innerhalb von acht Jahren Platz Eins der Weltrangliste erobert. Insgesamt hat sie diese mittlerweile mehr als 100 Wochen lang angeführt. Sie hat eigentlich alles, sie tritt in Gesellschaft der Reichen und Schönen ebenso selbstbewusst und natürlich auf wie in Begegnungen mit Armen. Und nicht zuletzt trägt sie diesen Namen – Serena, der im Englischen Ruhe und Gelassenheit bedeutet. Beide Eigenschaften zählen trotzdem nicht zu ihren ständigen Begleitern.Acht Monate nach dem größten öffentlichen Eklat ihrer Karriere – einem spektakulären Zusammenstoß mit einer Linienrichterin bei den US Open 2009 – versucht sie heute den Eindruck zu vermitteln, dass alles in Ordnung ist. Ihre Knieverletzung sei überstanden und sie habe sich auf die French Open gefreut, bei denen sie sich einiges erhofft: Kim Clijsters fällt wegen einer Verletzung aus, dafür sind sowohl ihre Intimfeindin, die an Nummer Eins gesetzte Justine Henin, als auch die Vorjahressiegerin Svetlana Kuznesova mit von der Partie, gegen die sie damals im Viertelfinale in drei Sätzen verlor. Das Turnier in Wimbledon könne sie auch kaum erwarten, sprudelte es auf jener Terrasse aus Serena heraus. Sie lächelte breit und wirkte entspannt.Während einer kurzen Pressekonferenz einige Monate zuvor konnte man dies nicht von ihr behaupten. Sie hatte versucht mit einer Mischung aus Sarkasmus und einer Was-soll’s-Haltung, leicht tendenziöse Fragen abzuwürgen, was für eine peinliche und angespannte Stille im Raum sorgte. Aber das war bei weitem nicht das erste Mal, dass sie sich mit Journalisten angelegt hat. Im Zuge ihrer Dauerfehde mit Kritikern und Journalisten hatte sie sich schon Post-it-Notizen in ihren Kleiderbeutel geklebt, mit Sätzen wie: „Sei stark. Sei schwarz. Jetzt ist es an dir, zu glänzen. Vertraue auf dich. Sie wollen sehen, wie du dich ärgerst. Ärgere dich, aber lass es dir nicht anmerken.“ Meistens funktioniert das. Eines Abends tat es das nicht.Am 12. September, im Halbfinale der US Open in Flushing Meadows gegen Kim Clijsters ging sie verbal auf eine Linienrichterin los, die beim Stand von 6:4, 6:5, 30:15 gegen Williams bei ihrem zweiten Aufschlag einen Fußfehler gesehen haben wollte. „Ich schwöre bei Gott“, schrie sie, „ich nehm’ den verdammten Ball und stopf ihn dir in deinen verdammten Rachen, hast du mich verstanden? Ich schwöre bei Gott! Sei froh ..., froh, dass ich nicht ...“ Die New Yorker Boulevardblätter druckten ihre Triade in voller Länge, die restlichen Medien zerbrachen sich lange den Kopf über den Ausraster. Das war nicht ganz die Art von Beschimpfung, die man in Tennis-Kreisen gerne hört: Eine gottesfürchtige Zeugin Jehovas schreit im Fernsehen eine wehrlose Linienrichterin zusammen. Es schien, als würde ihr ganzes Image, die Aura der Guten mit einem Mal von Serena abfallen.Der Augenblick hatte vieles von jener Nacht, in der Tiger Woods einige Monate später mit seinem Cadillac in den Hydranten vor seinem Haus in Florida rauschte, und die Presse sich im Folgenden über das hermachte, was von seiner Reputation als das gütige Gesicht des Golfsports übrig geblieben war. Zwei schwarze Athleten, die beide in Sportarten erfolgreich sind, die historisch der weißen Mittelschicht vorbehalten gewesen waren, hatten ihre Fans enttäuscht.Woods ging durch die psychische Hölle öffentlicher Bekenntnisse. Serena Williams legte zuerst Gleichgültigkeit, dann Bedauern und schließlich Bitterkeit an den Tag. Im Gegensatz zu Woods bemühte sie sich nicht um öffentliche Rehabilitierung, nach wie vor hat sie sich nicht mit dem abgefunden, was sie damals als ungerechte Behandlung empfand und heute immer noch als „Witz“ betrachtet. Zunächst wurde sie zu einer Strafe von 10.000 Dollar plus 500 für Schläger-Werfen verurteilt, später wurde vom Internationalen Tennisverband ITF zusätzlich eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren verhängt. Sollte sie sich in dieser Zeit einer erneuten Regelübertretung schuldig machen, wird sie gesperrt und die Strafe wird auf 175.000 Dollar erhöht.Soweit hat es nicht einmal John McEnroe gebracht. Denn ihr eigentliches Vergehen bestand offenbar darin, den Ausbruch als normal zu verteidigen, als etwas, das Spieler Linienrichtern für gewöhnlich an den Kopf werfen. Sie fühlte sich im Recht dazu, die Offiziellen zu beschimpfen. Einige Medien sind der Ansicht, sie habe zu wenig Reue erkennen lassen, und stören sich an ihrer gelegentlichen Kratzbürstigkeit. Andere Kritiker freuen sich insgeheim über derartige Indiskretionen einer Spielerin, die sie aus anderen Gründen für „schwierig“ und ein wenig „merkwürdig“ halten. Dies könnte mit ihrem religiösen Missionierungseifer zu tun haben – Serena ist ein außergewöhnlich lautstarkes Mitglied der Heerschar Gottes und nervt ihre Mitmenschen bisweilen mit ihrem Einsatz für den Herrn. Vielleicht ist aber auch unterschwelliger Rassismus im Spiel, das ist schwer zu beurteilen. Würde das Frauentennis zwei blonden, weißen Schwestern von gleicher spielerischer Brillanz ebenso kühl begegnen wie Serena und Venus Williams?Und dann ist da noch ihre Form. Auch wenn sie behauptet, im Augenblick „wirklich, wirklich fit“ zu sein, stören sich einige daran, dass sich Serena bei einem großen Turnier offensichtlich nicht in Top-Form, schnaufend, keuchend und stöhnend zu einem weiteren Titel durchkämpft. Zwölf Slams gehen bislang auf ihr Konto und ihre Kritiker wünschen sie sich wohl einfach eine etwas konventionellere Superwoman. Was auch immer die eigentliche Ursache sein mag: Es besteht ganz offenkundig eine gegenseitige Feindseligkeit zwischen Serena und denjenigen, die ihre Karriere journalistisch begleiten.Dass sie es bei ihrem Comeback-Turnier in Rom bis ins Halbfinale geschafft hat, war eine reife Leistung. Sollte sie in Paris gewinnen und es schaffen, ihre Wimbledon-Krone zu verteidigen, hätte sie bei der Rückkehr in den Bärenzwinger von New York die Möglichkeit, einen weiteren Grand Slam einzufahren (obwohl sie bereits vier in Folge gewonnen hat – ein Serena-Slam, wie sie es nennt).Champion auf BewährungIst es schwierig für sie, an den Ort ihrer Demütigung zurückzukehren? „Nein, ich werde einfach versuchen, mein Bestes zu geben und zu gewinnen. Ich denke nicht einmal über diese Sache nach.“ Fühlen Sie sich ungerecht behandelt? „Absolut. Ich halte die Strafe für unglaublich unverschämt. Und ich bin auf Bewährung. Okay Leute, ich bin auf Bewährung. Oooh! Wenn ich etwas Schlimmes mache, dann werde ich verhaftet. Ha, ha, ha, ist das nicht lustig! Mal ehrlich, wem ist das vorher schon mal passiert? Es ist schon geil. Ich würde gerne mal diesen Bewährungshelfer kennenlernen, ich habe mich noch gar nicht mit ihm getroffen. Ich musste mehr Strafe bezahlen als American Football-Spieler, die Leuten die Knochen brechen oder sie sogar totschlagen. Das ist echt ein Witz und ich scheue mich auch nicht, es einen Witz zu nennen.“Muss sie sich das alles denn überhaupt noch geben, nachdem sie in den vergangenen 15 Jahren scheinbar nach Belieben so ziemlich alles gewonnen hat und gegen die besten Spielerinnen der Welt Titel auf allen Belägen am laufenden Band sammelte, einschließlich zweier olympischer Goldmedaillen im Doppel? Sie hat mehr Geld mit Tennisspielen verdient als jemals eine andere Frau vor ihr."Australien und all die Grand Slams gewonnen zu haben, ist beeindruckend und wirklich cool, aber als ich das rote Band zerschnitt, um in Afrika diese Schule für Kinder zu eröffnen, die nichts haben, hat es mir einfach den Atem verschlagen. Mir kommen jedes Mal die Tränen, wenn ich daran denke. Für mich ist am wichtigsten, soviel wie möglich für diese Menschen tun zu können und ihnen alle denkbaren Möglichkeiten zu eröffnen."Ihre Verletzung macht ihr nach wie vor jedoch zu schaffen: „Ich habe lange gebraucht, wieder fit zu werden und hatte viele Hochs und Tiefs, manchmal gab es sogar ein paar Tränen hier und da. Aber ich wusste immer, dass ich wieder fit werden würde. Ich werde mich nicht beklagen.“Sie kommt wieder auf die Frage der Motivation zurück und woher man diese bezieht. „Es ist egal, gegen wen ich spiele. Ich fühle mich jedes Mal geehrt, wenn Er es mir ermöglicht, hinauszugehen und es zu machen. Es gibt Leute, die können nicht gehen. Andere können nicht sehen. Und hier stehe ich, die beides kann, und ich bin Profi-Sportlerin. Das ist cool und beeindruckend. Ich bin so gesegnet. Ich spiele für Leute, denen das verwehrt bleibt und denen ich mit meinem Erfolg helfen kann.“Sollte sie Henin in Paris wiedersehen, könnten ihr schlechte Erinnerungen an das Halbfinale von 2003 kommen, in dem Serena von dem parteiischen Publikum ausgebuht wurde, als sie sich beschwerte. Manche sagen, sie habe geweint. „Es war“, sagte sie damals, „ein hartes Publikum – die Geschichte meines Lebens.“In jenem Jahr wurde ihre ältere Schwester Yetunde bei einer Schießerei zwischen verfeindeten Drogengangs in Compton, LA, erschossen, wohin sie mit ihrem Freund zurückgekehrt war, während ihre Schwestern sich mit dem Tennis ein neues, bequemes Leben in Florida aufbauten. Es gibt also vier Dinge, die Serena bisher zu Tränen gerührt haben: Leiden, physische Schmerzen, Ungerechtigkeit und persönliche Schicksalsschläge. All dies zusammengenommen ergibt das Bild eines ganz normalen, verletzlichen menschlichen Wesens, auch wenn es berühmt ist und darum ringt, verstanden zu werden. Wimbledon könnte so gesehen als nächster Schauplatz ein sicherer Hafen für sie werden.Man gewinnt den Eindruck, dass Serena Williams gefallen möchte. Auf dem Platz zu stehen, macht ihr Spaß, aber sie hasst es, sich dem Urteil anderer aussetzen zu müssen. Das ist ihr gutes Recht, würde sie sagen – und Recht damit haben.
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