Emmanuel Macron Der Favorit der Präsidentschaftswahl will Frankreich zu einer zu einer diversen, offenen Gesellschaft umgestalten. Es sind schwierige Zeiten für dieses Projekt
Emmanuel Macron wagt sich auch an die dunklen Kapitel der französischen Geschichte
Foto: FRANCOIS NASCIMBENI/AFP/Getty Images
Mit seinen 39 Jahren bringt Emmanuel Macron frischen Wind in die französische Politik. Aber kann er auch genügend Wähler davon überzeugen, dass er Frankreich in ein 21. Jahrhundert führen kann, das von Offenheit, Zuversicht, Vielfalt und Modernität geprägt ist? Angesichts des drohenden Gespensts Marine Le Pens scheint die Verantwortung für den noch relativ jungen Politiker groß – nur zwei Wochen, bevor die erste Runde der Präsidentschaftswahlen nicht nur das Aussehen der französischen Demokratie, sondern auch ein großes Stück weit die Zukunft Europas entscheiden wird.
Optimisten sind versucht, einen Vergleich zu ziehen: Mit Justin Trudeau (das gute Aussehen, die Energie, die positive Botschaft) und mit dem "jungen" Tony
ntscheiden wird.Optimisten sind versucht, einen Vergleich zu ziehen: Mit Justin Trudeau (das gute Aussehen, die Energie, die positive Botschaft) und mit dem "jungen" Tony Blair (der Bruch mit den alten linken Grundsätzen, die Suche nach einer neuen Mitte und ein Faible für die jüngsten Marketing-Techniken). Macro hat ein wenig davon. Doch die Parallelen gelangen schnell an ein Ende.Weder Trudeau noch Blair sahen sich einer fest etablierten und historisch verwurzelten Rechtsaußen-Bewegung wie dem Front National gegenüber und beide genossen die Unterstützung einer einflussreichen und etablierten Partei – etwas, das Macron mit seiner kaum einem Jahr alten Start-up-Partei En Marche! (Vorwärts!) schmerzlich abgeht. Zudem kann man weder das Kanada des Jahres 2015 noch das Großbritannien von 1997 mit dem Frankreich im Jahr 2017 vergleichen, mit der angespannten Stimmung und dem Gefühl der Unzufriedenheit, das sich gegen das Establishment und die vielen Missstände im Land richtet.Macron macht Vielfalt und Teilhabe starkEine Ähnlichkeit gibt es allerdings, die Aufmerksamkeit verdient: Wie Trudeau und Blair macht Macron Vielfalt und Teilhabe stark. In einer Zeit, in der der Populismus mit Nativismus und Identitätspolitik punktet und Frankreich von noch immer von einer Welle von Anschlägen traumatisiert ist, die von in Frankreich aufgewachsenen Terroristen verübt wurden, bedeutet dies, dass ihm viel Gegenwind entgegenschlägt.Trudeau betont immer wieder Kanadas Tradition, Einwanderer und Flüchtlingen willkommen zu heißen. Blair versuchte 1990 unter dem Stichwort Cool Britannia einen neuen Patriotismus zu propagieren, der die ethnische und kulturelle Vielfalt des Landes bejaht. Macron ist der einzige französische Präsidentschaftskandidat mit einer ernsthaften Chance, es bis in den Elysée-Palast zu schaffen, der eindeutig dafür eintritt, das Modell des säkularen, republikanischen Frankreich in eine Form zu bringen, in der sich Angehörige von Minderheiten, insbesondere Bürger arabischer und muslimischer Abstammung, wohler fühlen würden.Eine Fernsehdebatte zwischen den Kandidaten zeigte jüngst einmal mehr, wie schwierig das ist. Frankreich ringt zunehmend damit, sein Gefühl der kollektiven Zugehörigkeit zu bestimmen. Nationale Identität dürfte das umstrittenste Thema in diesem Wahlkampf darstellen – wenn man Finanzskandale und öffentliche Moral mal beiseite lässt. Beim Thema Vielfalt gerät Macron mit Le Pen (sie liegen in den Umfragen Kopf an Kopf) ebenso aneinander wie mit einflussreichen Teilen der etablierten Rechten.Im Fernsehen wurde Macron auf seine Aussage angesprochen, der Kolonialismus sei ein Verbrechen gegen die Menschheit gewesen, für das Frankreich sich „entschuldigen“ müsse – Worte, die zu einem Aufschrei führten. Die Geschichts- und Geografielehrerin, die Macron befragte, warf ihm vor, er versuche die historischen Tatsachen zu verzerren und zu "unter manchen jungen Leuten Aversionen zu schüren, die Schwierigkeiten haben, sich als Franzosen zu fühlen" – eine Anspielung auf junge Muslime.Doch Macron widersprach und verwies auf die Notwendigkeit, dass Frankreich sich seiner Vergangenheit stellt, indem es sie anerkennt und "miteinander widerstreitende und komplexe Erinnerungen miteinander versöhnt". Vor allem in den Vorstädten herrsche noch lange kein Friede, die Gesellschaft kämpfe auch weiterhin mit "mehreren Traumata". Er fügte hinzu, er habe wegen seines Kommentars zum Kolonialismus Morddrohungen von Unterstützern des Front National erhalten, die ihn als "Verräter" beschimpft hätten.Rassismus nimmt in Frankreich gar nicht zuDiese Themen sind in Frankreich natürlich nicht vollkommen neu, aber es sagt viel aus, dass die koloniale Vergangenheit so kurz vor der Wahl in der Debatte eine Rolle spielt. Le Pens Front National hat seine Wurzeln im Algerienkrieg. Sie hat zwar versucht, das rassistische Image der Partei zu ändern, wenn aber ihre Anhänger skandieren "Das ist unser Land!", lassen sie wenig Zweifel daran, gegen wen sich das richtet. Und dann ist da noch der Terrorismus, den die Rechten ihrer Argumentation eifrig beimischen.Bei all dem wird leicht übersehen, dass der Rassismus in Frankreich Erhebungen zufolge gar nicht zunimmt. Der Prozentsatz "gemischter" Ehen (Einwanderer mit Nicht-Einwanderern) ist der höchste in ganz Europa. Umfragen zeigen auch, dass die überwiegende Zahl der Muslime das säkulare republikanische Modell unterstützt und sich selbst als Franzosen betrachtet. Worunter sie leiden ist das Gefühl, dass sie von der Gesellschaft nicht als solche anerkannt werden.An dieser Stelle kommt der Vergleich zwischen Macron, Trudeau und Blair an ein Ende. Kanada hat keine koloniale Vergangenheit. Großbritannien ist mit der Dekolonisierung völlig anders umgegangen als Frankreich, das während dieser Zeit Kriege geführt hat und noch immer nicht bereit dafür zu sein scheint, ein Museum zu eröffnen, das an die Verbrechen des Kolonialismus erinnert. Im Unterschied dazu findet im Amsterdamer Rijksmuseum gerade eine faszinierende Ausstellung über die niederländische Geschichte in Südafrika statt und in Berlin blickt in diesem Jahr eine große Ausstellung auf das, was die Deutschen in Namibia angerichtet haben. Paris hat zwar ein "Einwanderungsmuseum", in dem die Vielfalt der Familiengeschichten lebendig beschrieben wird, das die vielen Kapitel der Kolonialgeschichte aber völlig umgeht.Macron war mutig und hatte recht damit, diese Vergangenheit zu thematisieren, selbst wenn er damit die Büchse der Pandora geöffnet haben sollte. Die bigotte Erzählung des "wir gegen sie" der französischen Rechtsextremisten lastet schwer auf diesen Wahlen, wie sehr Le Pen auch versucht, sich selbst als Verteidigerin des "Volkes" gegen das "System" zu inszenieren. Dagegen hebt Macron sich sehr positiv ab. Ob er in der Lage sein wird, Frankreich vor den politischen Gespenstern, die es heimsuchen, zu schützen, ist eine andere Frage.
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