Sollte irgendjemand im Waffenladen Academy Sports in Houston misstrauisch geworden sein, als John Hernandez 2.600 Dollar in bar auf den Tresen legte, dann hat er das für sich behalten. Der 25 Jahre alte, arbeitslose Maschinist mit der dunklen Brille verließ den Laden mit drei M-16 Sturmgewehren, wie sie in den Arsenalen der US-Armee stehen. Monate später erwarb Hernandez an anderer Stelle in Houston fünf ähnliche Schusswaffen. Auch diesmal wurden ihm kaum Fragen gestellt. Genauso wenig bei weiteren Besuchen in einschlägigen Geschäften, als er 14 Sturmgewehre und andere Handfeuerwaffen im Wert von etwa 25.000 Dollar erstand. Bei all diesen Käufen musste Hernandez laut Gesetz lediglich nachweisen, dass er in Texas lebt, und sich ein paar Minuten gedulden, bis geprüft war, ob er vorbestraft sei.
Ein paar Wochen danach wurde eines der von Hernandez gekauften M-16 im Nachbarland Mexiko am Tatort des „Acapulco-Polizeimassakers“ sichergestellt, bei dem eines der mächtigsten Drogenkartelle des Landes sieben Menschen in dem einst als Millionärsspielplatz geltenden Badeort getötet hatte. Eine weitere Waffe aus Houston wurde nach der Entführung und Ermordung eines Viehhändlers entdeckt. Schließlich fanden die US-Bundesbehörden heraus, dass Hernandez Teil eines Rings von zwei Dutzend Gewährsleuten war, die bei texanischen Waffenhändlern für eines der berüchtigsten mexikanischen Kartelle über 300 Gewehre besorgt hatten. Einige dieser Waffen wurden seither mit dem Tod von mindestens 18 Polizisten und Zivilisten in Verbindung gebracht.
Dabei steht das von Hernandez erworbene Equipment nur für einen winzigen Teil Zehntausender von Handfeuerwaffen, die jährlich über die US-Grenze nach Süden geschmuggelt werden, um Drogenkartelle aufzurüsten, die sich ein Gefecht nach dem anderen mit der mexikanischen Regierung liefern. Ein verdeckter Krieg, der seit 2007 mehr als 45.000 Menschenleben ausgelöscht hat.
Angetrieben wird diese Maschinerie des Grauens durch ein Karussell wiederkehrender Vorgänge: Die Kartelle kaufen mit dem Geld, das sie von ihren nordamerikanischen Kunden für Drogen bekommen, Waffen und Munition, die oft in den gleichen Fahrzeugen und auf den gleichen Routen, über die Rauschgift nach Norden gelotst wurde, über die Grenze in Richtung Süden gehen.
Dutzende von Strohmännern
Entscheidend ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich in den USA einkaufen lässt. Das ist einer mächtigen, von Teilen des US-Kongresses unterstützten Waffenlobby zu verdanken, die härtere Gesetze gegen den illegalen Waffentransit vehement ablehnt. „In den Vereinigten Staaten können sich Drogendealer am einfachsten und am billigsten ihre militärische Ausrüstung besorgen“, meint Dewey Webb, der beim US-Amt für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe (ATF) in Texas als Spezialagent für die Suche nach Waffendealern zuständig ist. Kristen Rand, Leiterin des Violence Policy Centre, das sich für striktere Waffenkontrollen einsetzt, bestätigt diesen Eindruck. In den USA müssten Drogenhändler nur wenige logistische Schwierigkeiten meistern, wenn sie Waffen kaufen. „Wir haben Gesetze, wie man sie erlässt, wenn man den Waffenschmuggel fördern will. Die Dealer kommen an große Mengen Präzisionsgewehre, an panzerbrechende Waffen oder an Pistolen heran. Alles, was sie für ihren Krieg brauchen, ist auf dem zivilen Markt erhältlich. Fast nichts kann sie daran hindern – sie müssen nur genug mit dem Einkauf beauftragte Leute sammeln.“
Der Erwerb von Munition ist sogar noch müheloser. Während viele US-Staaten beim Kauf bestimmter Erkältungsmedikamente, aus denen sich auch Amphetamine herstellen lassen, die Vorlage eines Führerscheins verlangen, muss man sich bei Patronen – selbst in großen Mengen – in keinem einzigen Bundesstaat ausweisen. Nach Angaben des US Government Accountability Office ließ sich bei 87 Prozent der seit 2007 in Mexiko sichergestellten Schusswaffen nachweisen, dass sie aus den USA eingeschleust waren, am häufigsten aus Texas. US-Justizminister Eric Holder sagte dem Kongress im November 2010, dass von den etwa 94.000 Schnellfeuergewehren, die bisher von der mexikanischen Polizei bei der Drogen-Mafia sichergestellt wurden, ungefähr 64.000 aus den USA stammten.
Jesus Enrique Rejon Aguilar, hochrangiges Mitglied des Zetas-Kartells, sagte nach seiner Festnahme im Juli 2011 vor der mexikanischen Bundespolizei aus: „Alle Waffen seines Kartells“ würden in den USA angeschafft. In der Regel bediene man sich Dutzender Strohmänner. Die bekämen jedes Mal zwischen 50 und 500 Dollar, heutzutage eine Menge Geld. „Die Kartelle haben Leute, die das Geschäftliche erledigen“, erzählt auch Dewey Webb, „und Leute, die den Transport absichern“. Die Einkäufer haben vorrangig Gewehre wie das AK-47 oder Sturmgewehre der Marke Armalite zu beschaffen, die schon bei der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) beliebt waren. Auch leistungsstarke Pistolen wie die in Belgien hergestellte FN – in den USA frei verkäuflich – sind gefragt.
Es passiert nichts
Dewey Webb legt die Hand auf ein langes, schweres Präzisionsgewehr, das über 15 Zentimeter lange Patronen abfeuert und auf dem Weg nach Mexiko beschlagnahmt wurde. „Diese Waffen sind bei den Kartellen beliebt, weil ihre Geschosse in den Motor eines Fahrzeuges eindringen und ihn zerstören. Ein Gewehr dieses Typs kostet in der Regel um die 10.000 Dollar und ist bei den Dealern sehr gefragt. Vor Kurzem erst hatten wir den Fall, dass ein Jugendlicher ein solches Kaliber über sein iPhone bei einem lizenzierten Verkäufer gekauft hat und dann von einem erwachsenen Strohmann abholen ließ.“
Jim Pruett ist Inhaber eines Waffengeschäfts im Norden Houstons, bei ihm gibt es so gut wie alles. „Wir haben hier manchen Hurrican erlebt, bei dem danach Anarchie und Gesetzlosigkeit herrschten. Man musste sich selbst verteidigen.“ Pruett steht neben einer Zielscheibe, auf der Osama bin Laden als Zombie abgebildet ist. „Für mich sind die Zombies real und niemand sonst als diese wahnsinnigen Kartelljunkies.“
Undurchsichtige Käufer kämen regelmäßig in seinen Laden. Er schlage ihnen nichts ab, melde sie aber hinterher. „Dabei achte ich auf ihre ethnische Herkunft. Wenn Latinas zehn AK-47 kaufen, dröhnen bei mir die Alarmglocken, und ich informiere die zuständige Sicherheitsbehörde.“ Hatte er solche Kundinnen? „Ja, hatte ich. Es ließ sich dann auf inoffiziellem Weg herausfinden, dass sie die Gewehre in den Süden brachten. Waffenhändler wie wir sind Patrioten. Wir wollen die Bad Guys erwischen.“
Im November hat Justizminister Eric Holder vor dem Kongress mitgeteilt, die USA seien im Begriff, „den Kampf“ um die Eindämmung der Waffenströme „zu verlieren“. Man brauche schärfere Gesetze. Im Vorjahr bat auch Mexikos Präsident Felipe Calderón bei einem Besuch in Washington Senat und Repräsentantenhaus eindringlich, sie sollten handeln. „Mexiko ist in dieser Sache auf Ihre Mitarbeit angewiesen, indem Sie den Transit von Handfeuer- und anderen tödlichen Waffen über die Grenze stoppen.“
Im Juli 2011 dann setzten sich zwei demokratische Kongressmitglieder dafür ein, den Waffenschmuggel zu einem Federal Crime zu machen, zu einem Kapitalverbrechen also, bei dem nicht die lokalen, sondern die Bundesbehörden ermitteln. Aus Kreisen der Polizei und der Federal Law Enforcement Officers Association, der über 26.000 Bundespolizisten angehören, kamen umgehend zustimmende Signale. Widerstand leistete die Waffenlobby, die neue Gesetze nur für den Anfang einer Spirale hält, die sich so lange dreht, bis privater Waffenbesitz vollständig verboten ist.
Wayne LaPierre, Vorsitzender der National Rifle Association (einer der mächtigsten Lobbygruppen in den USA), moniert, verschärfte Gesetze gingen zu Lasten der Jäger und all jener Amerikaner, die zur Selbstverteidigung eine Waffe in ihrem Haus haben wollten. Oft sind ausgerechnet die Politiker, die in alarmistischem Ton vor der Bedrohung warnen, die vom Blutvergießen in Mexiko für die USA ausgehe, auch diejenigen, die selbst geringfügigste Maßnahmen zur Eindämmung des Waffenstroms am entschiedensten ablehnen. In einem Bericht des Senatsausschusses zur Kontrolle von Betäubungsmitteln hieß es im Juni: „Der Kongress ist praktisch zum Scheitern verurteilt, solange mächtige mexikanische Drogenhändler weiter ungehindert Zugang zu militärischen Schusswaffen aus den USA haben.“ Doch es passiert nichts, der Kongress befindet sich in den Händen der National Rifle Association. Die Legislative arbeitet lieber an einem Gesetz, das Vorschriften für das Tragen verdeckter Waffen lockert, als der mexikanischen Mafia den Nachschub abzuschneiden.
Die Regierung Obama hat außerdem Forderungen zurückgewiesen, ein Importverbot für Ak-47 und andere im Ausland produzierte Handfeuerwaffen wieder in Kraft zu setzen, das während der Präsidentschaft Bill Clintons galt und von Nachfolger Bush aufgehoben wurde. Das Amt für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoff hatte Anfang 2011 damit begonnen, die Auflage zu erteilen, dass Waffenhändler in den an Mexiko grenzenden Bundesstaaten die Behörden informieren müssen, wenn eine Person innerhalb von fünf Tagen zwei oder mehrere Gewehre kauft. Der Kongress versuchte nach Kräften, dieses Vorgehen zu blockieren. Als Holder intervenierte, reagierte die Waffenlobby, indem sie anzweifelte, dass die Drogenkartelle ihre Waffen tatsächlich aus den Vereinigten Staaten bekämen. Das kann auch der Waffenhändler Jim Pruett in Houston nicht glauben: „Die Annahme, Drogenkartelle in Mexiko würden mit Waffen und Munition aus meinem Laden versorgt, ist nicht stichhaltig. Diese Leute haben wahrscheinlich mehr Geld als der mexikanische Staat. Sie kriegen Containerladungen voller AR-15-Gewehre, Raketenwerfer oder Sprengstoff und das höchstwahrscheinlich auf ganz legale Weise. Aus El Salvador dürfte mehr kommen als aus den USA. Was ich damit sagen will: Die USA versorgen die Kartelle nicht mit Waffen.“
Im Übrigen seien die Drogensüchtigen dafür verantwortlich. „Jeder, der für Marihuana, Meth oder Kokain zahlt, bezahlt auch für den Handel mit Waffen. Es ist der Drogenkonsum in diesem Land, der diesen Teufelskreis antreibt“, glaubt Pruett.
Mexikos Präsident Calderón sieht das anders: „Warum lässt sich das Geschäft mit den Waffen nicht stoppen?“, fragte er Mitte 2011. „Ich sage es ganz offen: Wegen des Profits der US-Waffenindustrie.“
Chris McGreal ist Washington-Korrespondent des Guardian
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