Tajjib Salich, der am 18. Februar im Alter von 80 Jahren verstarb, war eine der berühmtesten Literaten des Sudan. Das Spätwerk des in der arabischen Welt hochgeschätzten und erfolgreichen Schriftstellers ist geprägt durch Zeit der Nordwanderung, (1966, dt. 1988), einen kurzen, eigenwilligen Roman, der sofort großes Lob erhielt, in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde und eine Fülle von Sekundärliteratur nach sich zog.
Zeit der Nordwanderung erzählt die Geschichte eines Mannes, der nach Jahren des Auslandsstudiums heimkehrt, um festzustellen, dass ein anderer Mann seinen Platz eingenommen hat. Das eigentümliche und elliptische Buch liest sich wie eine Folge theatralischer Monologe, die die Distanz zwischen dem ländlichen Nordsudan und dem kosmopolitischen London der 1920er Jahre zum Ausdruck bringen. Bei diesem Aufeinandertreffen der Kulturen, das zu den bemerkenswertesten seiner Art gehört, findet entlang des Gefälles zwischen Nord und Süd ein Wettstreit von Eroberungen kolonialer und sexueller Natur statt. Es ist eine Art Rache dafür, dass sein Land „genommen“ und zur Kolonie gemacht wurde, wenn der Sudanese, der den Platz des Abwesenden eingenommen hat, englische Frauen verführt, in dem er ihnen die Erfüllung ihrer orientalistischen Fantasien vorgaukelt.
Anders als die meisten seiner Zeitgenossen verweigerte Salich sich einer allzu vereinfachenden Anklage des Kolonialismus. In seiner Welt blieben die Dinge unbequem ambivalent. Dieser Fähigkeit, alle vorgefassten Urteile zu umgehen, verdankt der Roman seine Langlebigkeit. Salich legt die Wurzel frei, wo sich unsere Schicksale, Nord und Süd, verschlingen. Gleichsam steht der Roman der Engstirnigkeit und den Härten, die Frauen in traditionellen Gesellschaften zu ertragen haben, kritisch gegenüber. Edward Said bezeichnete Zeit der Nordwanderung einmal als einen der sechs besten Romane der modernen arabischen Literatur. 2001 wurde er dann von der Arabischen Literaturakademie in Damaskus zum wichtigsten arabischen Roman des 20. Jahrhunderts erklärt.
In der gesamten arabischen Welt beliebt
Tajjib Salich selbst war ein stiller, zuvorkommender Mann. Für die Tradition hegte er großen Respekt, ohne an sie gefesselt zu sein, er hatte Freude an intellektuellen Diskussionen und nahm sich Zeit für jüngere Schriftstellerkollegen. In der Welt der Buchstaben spielte er eine aktive Rolle, führte den Vorsitz über verschiedene Literaturpreis-Jurys und sprach auf Konferenzen in der gesamten Region. Die gesammelten Werke seiner Schriften, die in arabischer Sprache fast überall erhältlich sind und sich großer Beliebtheit erfreuen, spiegeln die Bandbreite seines Schaffens, die sich von Fiktion über Literaturkritik und Reiseliteratur bis zum politischen Kommentar erstreckt.
Geboren in Karmakol nahe Al Debba, zog Salich als junger Mann nach Khartum, um am Gordon Memorial College zu studieren, das später zur Universität der Hauptstadt des Sudan wurde. 1952 reiste er nach London und gehörte damit der ersten Generation von Sudanesen an, die als Vorbereitung für die Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien ausgebildet wurden. Die Begegnung mit dem Westen sollte Leben und Werk Salichs prägen, auch wenn die Darstellung des Dorflebens im nördlichen Sudan Hauptthema seiner Dichtung blieb. Durch seine realistische und sogleich absurde Schreibweise machte er diese bescheidenen Schauplätze zu einer universalen Bühne.
Salich verbrachte den Großteil seines Lebens im Ausland. Beim Arabischen Programm der BBC war er ein Zeit lang für die Dramenproduktion des Senders verantwortlich. An eine hierauf folgende Phase im Informationsministerium in Qatar schloss sich eine Tätigkeit bei der Unesco in Paris an. Großbritannien sollte für den Umherziehenden stets ein Fixpunkt bleiben. Sein Leben spiegelte wie sein Werk die Kadenzen und Missklänge, die der Brückenschlag über die Kluft zwischen Nord und Süd mit sich bringen kann. 1956 heiratete er eine Schottin namens Julia MacLean, mit der er sich im Südwesten Londons niederließ.
Er missbilligte das islamistische Regime in Khartum
In den neunziger Jahren bekundete Salich in einem Where did these people come from überschriebenen Artikel seine Missbilligung des islamistischen Regimes in Khartum und stellte die Verdrängung der sudanesischen Kultur und Werte im Namen des Islam und der „nationalen Erlösung“ in Frage. Zeit der Nordwanderung, in dem es sexuell sehr freimütig zugeht und Alkoholgenuss und die derbe Sprache der Dorfbewohner geschildert werden, wurde kurzzeitig verboten, was dem Roman, der bereits Klassikerstatus hatte, allerdings nicht Schaden konnte.
In einer der bekanntesten Kurzgeschichten des Autors mit dem Titel Eine Handvoll Datteln erkennt ein Junge, dass die idyllische Welt, in der er lebt, von Spannungen beherrscht wird, die ihm zuvor nicht bewusst gewesen waren. Zum ersten Mal bemerkt er die Vielzahl der Entscheidungen, die das Leben birgt und muss der Tatsache ins Auge sehen, dass sein geliebter Großvater nicht so unschuldig ist, wie er geglaubt hatte. Diese Darstellung von Mitschuld und der Abscheu, die das Gewissen wecken kann, macht Tajjib Salich zu einem Schriftsteller wahrlich universeller Bedeutung, dessen Werk in kommenden Generationen Nachhall finden wird.
Für den Freitag führte Ingo Arend nach dem 11. September 2001 ein ausführliches Gespräch mit Tajjib Salich. Eine Rezension des Romans Bandarschah findet sich hier. Auf deutsch erschienen sind Salichs Bücher im schweizerischen Lenos-Verlag. Deutschlandradio Kultur hat nach dem Tod Salichs mit dem Islamwissenschaftler und Übersetzer Stefan Weidner gesprochen
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.