Wann ist eine Frau eine Frau?

Gender Studies Bei der südafrikanischen 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya interessiert sich plötzlich alle Welt für das Geschlecht. Im Sport ist sexuelle Diskriminierung die Regel

Was macht eine Frau zur Frau? Sind Frauen gemacht? Die feministische Orthodoxie bejaht dies. Feministische Fundamentalisten sind der Ansicht, die Biologie sei eine kulturelle Konstruktion. Man versteht, was gemeint ist. Die Biologie hat traditionell das männliche Tier untersucht und das weibliche als körperlose Ansammlung reproduktiver Organe betrachtet.

Obwohl wir wissen, dass ein Y-Chromosom nur ein X-Chromosom ist, das ein Bein verloren hat, denken wir immer noch in den Kategorien: männlich = perfekt, weiblich = mangelhaft. Man könnte die akademischen Feministinnen einfacher ausgedrückt auch so verstehen – a) Du bist eine Frau, wenn du dich für eine hältst b) Du bist eine Frau, wenn andere dich für eine halten. Unglücklicherweise folgt aus a) nicht zwangsläufig b).

Heutzutage kann jeder von uns auf Leute treffen, die sich für Frauen halten, weibliche Namen, Kleider und jede Menge Lidschatten tragen. Sie mögen uns als entsetzliche Parodien erscheinen, auch wenn es nicht höflich ist, so etwas zu sagen. Wir tun so, als seien alle Menschen, die als Frauen gelten, auch welche. Andere Selbsttäuschungen werden unter Umständen in Frage gestellt, die eines Mannes, der sich für eine Frau hält, aber nicht.

Es sei denn, es geht um Sport. Im Sport ist die andernorts überall verbotene sexuelle Diskriminierung die Regel. In der schlechten alten Zeit bedurfte es lediglich eines einzigen Tests des SRY-Gens, um das Geschlecht eines Menschen zu bestimmen, der als Frau galt. Bei den Olympischen Spielen von 1992 und 1996 war der SRY-Test für alle weiblichen Teilnehmer obligatorisch. Nach mehr als 6.000 Tests gab es keinen einzigen Fall, in dem ein männlicher Athlet sein wahres Geschlecht wissentlich falsch angegeben hätte, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Stattdessen wurden durch die Tests bei einigen Frauen sexuelle Entwicklungsstörungen nachgewiesen, die davon gar nichts wussten. Die intersexuellen Frauen waren weder in ihrer Erscheinung noch in ihrer Leistung von anderen XX-Athletinnen zu unterscheiden. Die ganze Kontrolliererei führte also lediglich dazu, dass eine kleine Gruppe von Athletinnen beschämt wurde und in wenigstens einem Fall zu einem ungerechten Ausschluss vom Wettbewerb, weshalb man wieder von ihr Abstand nahm.

Und dann kam Caster Semenya: Groß, burschikos und verdammt schnell – ist es möglich, dass sie ein Mädchen ist? Kein einfacher Chromosomen-Test wird dies entscheiden können. Zur Bestimmung ihres Geschlechts braucht es einen Endokrinologen, einen Gynäkologen, einen Gender-Experten und einen Psychologen. Für diejenigen von uns, die nie daran zweifeln durften, ob sie weiblich sind, mag dies seltsam anmuten. Wir wissen nicht, ob wir wie Frauen denken. Wir denken einfach. Es dürfte wohl keinen seriösen Psychologen geben, der es wagen würde, einen Gedankengang als weiblich oder als männlich zu klassifizieren.

Einmal angenommen, die Geschlechtspolizei käme zu dem Ergebnis, dass Semenya sich zwar als Frau fühlt, körperlich aber ein Mann ist und man sie trotzdem weiter als Frau an den Start gehen ließe – was würde es für die anderen Frauen bedeuten, wenn sie mit einem solch ungerechten biologischen Vorteil antreten dürfte? Menschen, die nicht ovulieren oder menstruieren, sind körperlich wahrscheinlich immer im Vorteil gegenüber denjenigen, die dies tun. Ist es dann aber nicht so, dass jeder auf Wettbewerb beruhende Sport die Ausbeutung eines genetischen Vorteils verherrlicht? Wer hat gesagt, das Leben sei gerecht.

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Übersetzung: Helga Hase
Geschrieben von

Germaine Greer, The Guardian | The Guardian

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