Vor zwei Jahren erhielt die Anthropologin Sekai Farai von der Columbia University ein Stipendium, um über Technologie-Startups zu forschen. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können: Ein neuer Goldrausch scheint angebrochen, seit in New York, London und anderen Großstädten Mittzwanziger davon träumen, mit einer neuen Generation von Internetunternehmen ein Vermögen zu machen.
In der Lobby des Ace-Hotels in Manhattan – einem der Lieblingstreffpunkte dieser neuen Schule – prophezeit Farai, der Boom habe gerade erst begonnen. „Leute, die noch vor kurzem ein Startup gegründet haben, weil sie keinen Job finden konnten, lehnen jetzt Stellenangebote ab“, berichtet sie. „Es ist viel Geld im Spiel. Es herrscht die Vorstellung, die eigene Idee könnte das nächste große Ding sein. Die Leute sind in heller Aufregung.“ Könnte alles in Tränen enden? „Das tut es immer“, meint Farai.
Schwindelerregende Sprünge
Doch wer könnte augenblicklich nicht gespannt sein? Wöchentlich scheint eines der Internetunternehmen der neuen Generation himmelhohe Bewertungen zu erhalten. Zynga, ein Hersteller von Browserspielen für Soziale Netzwerke, der mit dem Spiel FarmVille Millionen Internetnutzer zu virtuellen Gemüsegärtnern gemacht hat, ist gerade mit neun Milliarden US-Dollar bewertet worden. Twitter, ein Unternehmen, das selbst keine Umsätze verbuchen kann, ist angeblich zehn Milliarden Dollar wert. Der Online-Rabatte-Händler Groupon hat ein Angebot über sechs Milliarden Dollar von Google abgelehnt und erwägt einen Börsengang mit einer potentiellen Bewertung von fünfzehn Milliarden Dollar.
Branchenkennern zufolge ist das nur der Anfang. Der wirkliche Boom wird erwartet, wenn Facebook, die Speerspitze des neuen Dotcom-Rausches an die Börse geht, was wohl im kommenden Jahr geschehen wird. Diesen Monat wurde bekannt, dass Facebook-Angestellte private Anteile im Wert von einer Milliarde Dollar zu einem Preis verkaufen wollen, der das Privatunternehmen auf eine Bewertung von sechzig Milliarden Dollar katapultieren würde – das sind zehn Milliarden mehr als in der Bewertung vom Januar diesen Jahres veranschlagt waren und beinahe das Zehnfache des Preises, den der russische Investor Digital Sky Technologies Facebook-Mitarbeitern vor zwei Jahren für deren Anteile zahlte.
Welche Sprünge die Bewertungen machen, ist schwindelerregend. Der derzeitige Börsenwert von Facebook liegt irgendwo zwischen dem von Ford (55 Milliarden US-Dollar) und Visa (63 Milliarden Dollar), was aber immer noch weniger als ein Drittel des Wertes von Google – Facebooks Erzrivalen im Kampf um die Vorherrschaft im Internet – ist.
Dumb Money auf der Pirsch
Alan Patrick, Mitbegründer des Technologieberatungsunternehmens Broadsight und Betreiber des Blogs Broadstuff sieht eine neue Blase wachsen: „Eine Blase entsteht, wenn zuviel Geld hinter einer Anlage her ist, dann eine größere Menge dieser Anlagen produziert wird und schließlich ein noch Dümmerer als Käufer gefunden werden muss.“
Bisher jagt das Geld einer kleinen Gruppe von Unternehmen hinterher, zu der unter anderen Facebook, Groupon und Co. gehören und die sich Patrick zufolge durchaus als gute Investition herausstellen könnten. Ähnlich verhielt es sich bereits bei früheren Blasen: Beim US-Immobilienboom waren es zunächst noch die besten Häuser in den besten Lagen, bei denen die Preise in die Höhe schnellten. Erst später dann kam es zu Spekulationen auf schäbige Appartments in Florida.
Laut Patrick gibt es zehn Anzeichen, die darauf hindeuten, dass sich gerade eine Blase aufbläht:
1.Das Aufkommen von einem „Neuen Ding“, das auf herkömmliche Weise nicht bewertet werden kann und in das private Anleger („dumb money“) übermäßig viel Geld zu investieren bereit sind.
2.Kluge Köpfe erkennen das Entstehen einer Blase während die Jünger des Neuen Dings immer begeistertere Behauptungen wagen.
3. Startups, deren Gründer einen „Stammbaum“ vorweisen können (ehemalige Mitarbeiter von bereits erfolgreichen Unternehmen der neuen Art beispielsweise) erhalten Kapital aufgrund absurd hoher Bewertungen.
4.Es gibt eine Flut neuer, auf Startups zugeschnittener Investmentfonds.
5.Unternehmen erhalten „von der Folie weg“ ( das bedeutet ausschließlich auf Grundlage von Power-Point-Präsentationen) Finanzierung ohne tatsächlich ein Produkt vorweisen zu können
6. Angehörige der amerikanischen Vereinigung der Hypothekenbanken geben ihre Jobs bei der Bank auf, um Startups zu gründen
7.Der „große Börsengang“ tritt ein
8.Banken machen einen Markt aus dem „Neuen Ding“, in den sie das Geld aus Altersvorsorgen investieren.
9.Taxifahrer erteilen Anlagetipps.
10.Eine Darling des „Neuen Dings“ kauft irgendein Unternehmen aus der Welt der „Alten“. Das Ende ist nah.
Diesmal sind die Sozialen Medien das „Neue Ding“. Ihre überzeugtesten Anhänger behaupten, Twitter, Facebook und Co. hätten eine Revolution der menschlichen Kommunikation gebracht, wie es sie nicht mehr gegeben habe, seit Gutenberg die Bibel zu drucken begann. Geld machen sie vielleicht nicht, ein Vermögen seien sie aber trotzdem wert. Zwei schlaue Köpfe – Huffington-Post-Mitbegründerin Arianna Huffington und Michael Arrington, Schöpfer des einflussreichen TechCrunch-Blogs – haben ihre Publikationen mit dem Verkauf an AOL an ein Unternehmen übergeben, das in jüngster Zeit nicht gerade durch die Klugheit seiner Entscheidungen aufgefallen ist. Phase Eins wäre somit abgeschlossen.
Facebook wird die Lunte zünden
Auch die zweite Phase kann abgehakt werden. Fred Wilson, Investor und Veteran der Dotcom-Blase von 1999/2000 läutet schon seit einiger Zeit die Alarmglocken. In einem Interview auf dem Blog TechCrunch brachte er gerade seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass Startups, hinter denen gerade mal zwei oder drei Leute stünden, Bewertungen zwischen fünfzig und hundert Millionen Dollar erhielten. Das sei „jenseits aller Vernunft“, sagte er und scheute sich auch nicht, Namen zu nennen. Besonders hob er Quora hervor, eine von den Ex-Facebookern Adam D’Angelo und Charlie Cheever gegründete Frage-und-Antwort-Seite, die vergangenes Jahr auf 86 Millionen Dollar geschätzt wurde und 11 Millionen Dollar an Startkapital einfuhr. Nun weist Quora Berichten zufolge Angebote über 330 Millionen Dollar ab (siehe oben genannte Phase 3).
Der Investor Marc Cuban, der während der ersten Dotcom-Blase einen Haufen Geld gemacht hat, vergleicht den gegenwärtigen Investitionswahn mit einem Pyramidenschema. An anderer Stelle gab der Managing Director des bekannten Silicon Valley-Startups TechStars neulich zu Protokoll, es sei ein Schwall an Unternehmen zu beobachten, die Startups finanzierten. Phase vier wäre damit ebenfalls abgehakt.
Der letzte Dotcom-Boom hob richtig ab, nachdem 1995 der Internetsoftware-Hersteller Netscape den Schritt an die Börse gemacht hatte. Diesmal, so Patrick, werde wohl Facebook die Lunte zünden. Bislang wurden Privatinvestoren von dem „Neuen Ding“ noch fern gehalten, nun allerdings legte JP Morgan bereits einen Fond auf, während Goldman Sachs ebenfalls vor Kurzem versuchte, das Geld seiner Kunden bei Facebook unterzubringen.
Das Geld folgt dem Geld
Einigkeit besteht unter Experten allerdings keineswegs. Sumon Sadhu von der Beraterfirma Quid aus dem Silicon Valley zum Beispiel sieht zwar viel Geld, aber keine Blase. Laut seinen Kalkulationen haben userorientierte Internetfirmen im vierten Quartal 2010 2,5 Milliarden gegenüber 949 Millionen im vorhergehenden Quartal an neuen Investitionen angelockt. Die Anzahl der Firmen, an die das Geld ging, sei aber lediglich von 226 im dritten auf 252 im vierten Quartal gestiegen.
„Das Geld folgt dem Geld“, meint er und führt ins Feld, dass etwas ganz Neues passiere: Mit den sozialen Medien sei eine enorme Quelle an Informationen über Internetnutzer entstanden. Seiten wie Facebook könnten ein viel detailgetreueres Bild einer Person zeichnen – und das sei ein Vermögen wert.
„Die erste Welle der Internetfirmen hat für eine Informationsexplosion gesorgt. Nun brauchen wir Filter – wir müssen der Herkunft dieser Information trauen können,“ meint er. „Daraus wird jetzt Geld gemacht. Es gibt zwar mit jedem Geschäftszyklus eine Steigerung, aber es gibt selten Exzesse, die jeder Grundlage entbehren.“
Farai, die das Geschehen durch die anthropologische Brille betrachtet, ist sich da weniger sicher. „Einiges da draußen ist pyramidesk, ponziesk, vielleicht sogar kafkaesk“, sagt sie. Langfristig könne es nicht gut sein, dass scheinbar kein echtes Geld im Spiel sei. Dem mag so sein, vielleicht aber auch nicht. Wirklich wissen, ob es eine Blase gab, werden wir leider erst, wenn sie denn platzt.
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