Warten auf Prince Charming

Heiratspolitik Viele muslimischen Frauen müssen hoffen, dass sich ihnen irgendwann der Richtige zu Füßen wirft. Eine Muslima erklärt, warum sie ihr Glück lieber selbst in die Hand nimmt

Schon viel zu lange sind muslimische Frauen heiratstechnisch in der Defensive: Sie müssen darauf warten, einen Antrag zu erhalten und dürfen nicht selbst aktiv werden. Ein Freund brachte es neulich recht brutal, aber ehrlich auf den Punkt: Die Männer gehen los und suchen sich eine Frau, und die Frauen sitzen zuhause und warten darauf, dass sie einer findet. Auch wenn der trotzige Teenager in mir ihm noch so sehr widersprochen hat – mein Freund hatte Recht.

Mit 22 bin ich zwar noch keine wirkliche Veteranin in Sachen muslimischer Brautschau, aber ich gebe unumwunden zu, dass ich schon auf der Suche nach einem Ehemann war, bevor ich mein siebtes Lebensjahr vollendet hatte. Nicht etwa, weil ich total vom Heiraten besessen wäre. Eher das Gegenteil ist der Fall. Ich habe schlicht keine Lust, die nächsten zehn Jahre zuhause zu sitzen, Däumchen zu drehen und Kochrezepte auswendig zu lernen, um mit ihrer Hilfe eines Tages das Herz eines Mannes zu erobern.

Aus diesem Grund bin ich seit langem schon auf der Suche nach einem passenden Kandidaten und nehme einen nach dem anderen unter die Lupe. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich rede nicht von tatsächlichen Bewerbern, sondern von dem Mann, den ich vielleicht zufällig auf einer Konferenz treffe – könnte es sein, dass er meine Wertvorstellungen teilt? Wenn ich in einer zu 100 Prozent mit Nichtmuslimen bevölkerten Stadt zufällig einen muslimischen Mann treffe, denke ich darüber nach, ob er nicht in Frage kommen könnte, allein schon, weil er Muslim ist.

Den Richtigen nicht verpassen

Wenn Sie Muslim und Single sind und ich Ihnen schon einmal in der Moschee oder auf der Straße begegnet bin, stehen die Chancen recht gut, dass ich schon einmal darüber nachgedacht habe, ob Sie für mich als potentieller Ehemann in Frage kommen könnten. Ich möchte mich dafür an dieser Stelle in aller Offenheit entschuldigen.

Nicht, dass ich es in Gedanken mit jedem treiben würde, wenn Sie meine recht unislamische Ausdrucksweise entschuldigen. Ich will lediglich den Richtigen vor lauter Däumchen-Drehen nicht verpassen. Ich sehe auch nicht ein, warum Frauen nicht aktiver an die Sache mit dem Heiraten herangehen sollten. Vielleicht ist es der Kontroll-Freak in mir, aber ich möchte gerne wissen, wo ich stehe.

Warum entscheiden immer die Männer?

Muslimische Heiraten werden oft arrangiert (was nichts mit Zwangsheirat zu tun hat) und ich habe schon viel Gutes darüber gehört. Für mich wäre das aber nichts. Nicht nur, weil ich nicht gerne nach einer mehr oder weniger langen Phase des Däumchendrehens eines Tages einen unerwarteten Antrag erhalten möchte. Nicht, dass ich der Romantik nichts abgewinnen kann, aber warum sind es immer die Männer, die die Entscheidung treffen, ob sie sich mit dieser oder jener Frau treffen wollen. Die erste Frau des Propheten Mohammed, Khadijah, machte ihm einen Antrag – wenn das kein Präzedenzfall ist!

Um nicht das Muslim-Klischee zu reproduzieren, das die ultrarechte British National Party verbreitet, muss ich anmerken, dass nicht alle Muslimas zuhause sitzen, Kopftücher für die Aussteuer nähen und auf Prince Charming warten. Ich würde sogar so weit gehen, dass speziell britische Muslimas weit besser vorbereitet sind als ihre männlichen Gegenüber. Für viele von uns war die Bildung ein Weg, um den oft sehr beengenden Familienverhältnissen zu entkommen – nicht umsonst gibt es immer mehr muslimische Frauen, die arbeiten gehen. Alles, was ich sagen will, ist, dass wir nicht warten sollten, bis ein Mann sich uns zu Füßen wirft.

Kniefall oder Däumchendrehen

Wir können aktiv über das Heiraten nachdenken und die Augen offen halten, ohne von der Idee besessen zu werden. Dies ermöglicht es uns, Herrin der Situation zu bleiben, wenn uns der Richtige begegnet, und uns nicht den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, ob der Mann, den wir vergangene Woche getroffen haben, darüber nachdenkt, uns einen Antrag zu machen oder nicht. Viele muslimische Mädchen werden bestätigen, dass es nichts Schlimmeres gibt, als darüber nachzudenken, was im Kopf eines muslimischen Mannes vorgehen mag – sollen die sich doch den Kopf zerbrechen.

Leider praktiziere ich nicht wirklich, was ich hier predige. Lieber würde ich von einer Horde knüppelschwingender Polizisten, Einbrecher oder Werwölfe angegriffen, als mir in dieser Beziehung eine Blöße zu geben. So sehr ich es will, so sehr bin ich im Zweifel darüber, ob ich das nötige Östrogen hätte, um auf die Knie zu fallen, wenn mir ein (gutaussehender) nomadisierender muslimischer Dichter begegnen würde . Wenn ich daran denke, erscheint mir Däumchendrehen auf einmal gar nicht mehr so übel.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ruqaya Izzidien | The Guardian

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