Was erlauben Tsipras?

Koalition Syriza paktiert mit rechten Populisten. Das sagen die Anhänger dazu
Ausgabe 05/2015
Alexis Tsipras siegreich am Wahlabend. Schon am nächsten Tag folgte bei vielen Anhängern die Ernüchterung
Alexis Tsipras siegreich am Wahlabend. Schon am nächsten Tag folgte bei vielen Anhängern die Ernüchterung

Foto: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Es hat erstaunt, teils befremdet, dass sich Alexis Tsipras für die Unabhängigen Griechen (Anel) als Regierungspartner entschieden hat. Eine Partei, deren Vorsitzender mit antisemitischen Äußerungen auffiel, die ausländerfeindlich und homophob ist und die mit Syriza nur eines verbindet: die Kritik an der EU-Austeritätspolitik. Die Auswahl war allerdings auch überschaubar. Die Troika-Parteien Nea Dimokratia und Pasok sind politisch verbrannt, die orthodoxe KP hat eine Koalition verneint, solange Syriza in der Eurozone bleiben will. Die faschistoide Goldene Morgenröte verbietet sich von selbst. Blieben noch die pro-europäischen Liberalen von To Potami, eine neue Partei, die eine Regierungsteilhabe vermutlich genutzt hätte, um ihr Profil zu schärfen. Der Syriza-Führung erschien das offenbar zu riskant. Sie will gegenüber der Troika ohne interne Reibungsverluste auftreten können und nimmt lieber den unappetitlichen Partner und die Kritik an dem irritierenden Pakt in Kauf.

Was hält man auf Athens Syntagma-Platz von so einer Links-Rechts-Allianz? „Griechenland braucht einen Wechsel“, meint Panos Grigoriou. Der Jura-Professor kommt gerade vom Mittagessen und ist auf dem Weg zur Universität. „Natürlich gibt es noch immer eine gewisse Unsicherheit, was die Zukunft angeht, aber sehen Sie sich nur einmal um – man kann regelrecht spüren, wie die Hoffnung zurückkehrt.“ Er glaube, dass die Liaison mit den Nationalisten Syriza in den Kontroversen mit der EU stärken werde. „Diese Konservativen machen deutlich, wie verbreitet die Anti-Troika-Stimmung in Griechenland ist.“

Maria Papadopoulos, die sich mit einem Laden für Agrarprodukte selbstständig machen musste, als ihr Mann vor zwei Jahren arbeitslos wurde, ist „einfach nur enorm erleichtert und wesentlich optimistischer.“ Die Koalition sei gewiss nicht ideal, aber nach all den Jahren stimme es sie froh, dass sich endlich etwas ändert. „Ich kann es mir nicht mehr leisten, meine Wohnung zu heizen. Wenn es sich auszahlt, mit Anel zusammenzugehen, kann ich das akzeptieren. Ich vertraue Tsipras.“

Normalerweise unantastbar

Joseph ben Bassat, noch ein Jurist, hält es für eine Schande, dass Tsipras sich überhaupt einen Koalitionär suchen muss. „Aber es macht keinen großen Unterschied. Die Kräfte werden so ungleich verteilt sein. Die Unabhängigen Griechen erhalten das Verteidigungsministerium, aber alle anderen strategischen Ressorts übernimmt Syriza. Die Tsipras-Partei stehe für eine „neue griechische Generation“, so Bassat weiter, „die Generation der Erwerbslosen“.

Leonidis Koudydis hat nicht für Syriza gestimmt. „Ich wollte, dass die Nea Dimokratia weiter regiert, ihre Politik zeigte erste Erfolge.“ Doch könne er mit dem Ergebnis leben. „Ich habe genug von der ewigen Angst. Wir sind ein mündiges Land und geben Alexis eine Chance. Wir möchten zu gern glauben, dass er es schafft. Er ist intelligent genug, um eine schwierige Koalition zu führen.“

Selbst im Athener Viertel Kolonaki, wo die teuersten Geschäfte der Stadt liegen, scheint sich kaum jemand über den Sieg von Syriza aufzuregen oder sich Sorgen zu machen, dass das Wahlergebnis auch Niederlage für Oligarchen und Eliten ist. „Worüber sollte ich beunruhigt sein?“ – fragt der Ex-Unternehmer Thanassis Katsoulis. „Tsipras wird Griechenland nicht aus dem Euro herausnehmen, weil die Mehrheit das nicht will. Und er wird den Oligarchen nicht zu Leibe rücken, denn dafür fehlen in diesem Land schlicht und einfach die Mechanismen. Ein Mann allein kann keine Mentalitäten ändern. Sicher, es wäre notwendig, dass sich ein Wandel vollzieht. Aber es wird nicht allzu viel passieren.“

Der Architekt Nikos Zerva aus dem gleichen Quartier räumt ein, dass er sich über Tsipras‘ Absichten noch nicht recht im Klaren sei. „Will er sich die Reichen vornehmen, bedeutet das für uns nichts Gutes. Die ganz oben sind in Griechenland normalerweise unantastbar. Deshalb wird er sich an die Mittelschicht halten, also uns. Dabei haben wir gelitten wie alle anderen auch.“

Jon Henley ist Griechenland-Korrespondent des Guardian

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Jon Henley | The Guardian

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