Es löschte den einzigen Funken Hoffnung, der in diesen finsteren Zeiten glomm
Als Jonathan Swift Geld hinterließ, um Irlands erste Psychatrie bauen zu lassen, merkte er in seinem Testament lakonisch an, kein Land habe eine solche Einrichtung nötiger. Mit der Weltmeisterschaft 2010 geht es uns Iren in etwa genau so. Unser keltischer Tiger hat sich in eine räudige streunende Straßenkatze verwandelt. Das Schuldenmeer, in dem wir zu ertrinken drohen, nahm in der vergangenen Woche physische Gestalt an, als Regenfälle das halbe Land überfluteten. Wir bereiten uns auf den brutalsten Sparhaushalt in unserer Geschichte vor. Müssten wir in diesem Augenblick unsere Nationalhymne neu schreiben, käme dabei mit Sicherheit eine in Selbstmitleid getränkte C
änkte Country-and-Western-Schnulze heraus.Der einzig ernstzunehmende Hoffungsschimmer war die Chance, im kommenden Sommer für ein paar Wochen träumen, vergessen und die Realität hinter uns lassen zu können. Dabei spielte auch magisches Denken eine gewisse Rolle. Zurecht oder zu unrecht herrscht in weiten Kreisen der irischen Gesellschaft der Glaube vor, der wirtschaftliche Aufschwung des Landes sei durch die Qualifikation für die Weltmeisterschaften 1990 und 1994 unter Jack Charlton ausgelöst worden. Die Hoffnung, eine Reise nach Südafrika im kommenden Jahr hätte vergleichbare Wirkung zeitigen können, mag zwar lächerlich erscheinen, aber bessere Konzepte zur Rettung der Nation gibt es schlichtweg nicht.Vor diesem Hintergrund war der dämonische Hunger, den die irischen Spieler am vergangenen Mittwochabend im Stade de France an den Tag legten dann wohl auch durchaus verständlich. Wenn die Franzosen mit dem Selbstverständnis und der Haltung auftraten, dass allein sie zum Weiterkommen berechtigt seien, dann vermittelten die Iren die schiere Notwendigkeit ihrer Qualifikation. Nationalmannschaften verkörpern nicht immer den kollektiven Geist der Länder, die sie repräsentieren – schon gar nicht, wenn sie sich aus millionenschweren Profis zusammensetzen. Aber bei den irischen Spielern war es eine aus schierer verzweifelter Notwendigkeit geborene Leidenschaft, welche sie dazu trieb, ihre technisch versierteren Gegner zu dominieren.Es wäre beinahe angenehm gewesen, wenn die Iren verloren hätten, weil sie nicht gut genug waren. Der Fatalismus ist in der irischen Kultur noch immer vorherrschend. Wir hätten einfach noch einen weiteren Kübel Unglück in den großen Pool voller Elend gegossen, in dem wir gegenwärtig baden. Doch die Energie und Auflehnung, die Aggression und sogar das spielerische Können des Teams ließen uns die erlesene Qual der Hoffnung zuteil werden. Diese Hoffung wurde aber nicht von der ehrwürdigen irischen Tradition glorreichen Scheiterns enttäuscht, sondern von gemeinem Betrug zunichte gemacht.Wir Iren sind zuzeiten recht anfällig für Verschwörungstheorien und können uns in ungerechtfertigten Zorn hineinsteigern. Unser einziger Trost besteht gegenwärtig darin, dass die Ungerechtigkeit offensichtlich ist und von niemandem bestritten wird. Wir tun uns nun noch mehr leid als zuvor. Aber wenigstens wissen wir, dass diesmal alle anderen uns auch bemitleiden.Fintan O`Toole ist Redaktionsassistent bei der Irish Times und Autor des Buches Ship of Fools: How Stupidity and Corruption killed the Celtic TigerEs brachte uns dazu, über uns selbst nachzudenken – aber nicht allzu langeVergangenen Mittwoch erhielt ich spät nachts noch einen Anruf: „Hast du es gesehen? Wir haben`s geschafft! Wir haben uns qualifiziert!“ Die Stimme meiner Mutter ging über vor Freude. „Ja“, erwiderte ich. „aber was denkst du über die Art und Weise, wie wir es geschafft haben?“ Ich hatte von Handspiel noch gar nichts gesagt, da konterte sie bereits: „Ausnahmsweise passiert das Mal zu unseren Gunsten, dieses Mal sind wir nicht die Gelackmeierten.“Meine Mutter ist bestimmt keine Journalistin, aber ihre Sicht auf Henrys Handspiel entsprach voll und ganz derjenigen, die wir in jener Nacht im Fernsehen dargeboten bekamen: die französischen Fahnen waren stolz gehisst, die Spieler feierten und die Kommentatoren schlossen mit einem lauten „Bravo la France“.Ein paar Minuten zuvor hatte der Ex-Spieler und ehrwürdige Kommentator Jean-Michel Larqué zugegeben, ein ungutes Gefühl bei der Sache zu haben. Aber der Großteil der Zuschauer war wohl einfach erleichtert darüber, dass wir es geschafft hatten.Am Tag darauf erwachte Frankreich mit einem Kater. Schuldig oder nicht schuldig? Die Frage wurde so nicht gestellt. Die Medien gaben einer entrückten, mystischen Deutung den Vorzug, die sich in Schlagzeilen wie „Die Hand Gottes“ oder „Wunder“ manifestierte. Die Hand wurde als Symbol des französischen Glücks oder als Platzhalter der mittelmäßigen Leistung eines Teams interpretiert, das im Verlauf des gesamten Spiels seinem Gegner unterlegen war. Wurde es aber als Symbol des Betrugs gedeutet? Nicht wirklich. Die meisten Leute reagierten wie Thierry Henry: „Es gibt einen Schiedsrichter.“Dieses Argument half Jennifer Capriati wenig. Die amerikanische Tennisspielerin sagte kein Wort, als der Unparteiische bei den US Open 2004 ihr fälschlicherweise einen Punkt zusprach, der eigentlich ihrer Gegnerin Serena Williams zugestanden hätte. Die folgenden zwei Tage wurde sie von den Medien für ihre „mangelnde Moral“ verprügelt und erlitt einen leichten Zusammenbruch, der sie ihr nächstes Match kostete. Capriati folgte wie Henry den Regeln des Spiels. Aber anders als der Franzose wurde sie dafür heftig angegriffen. Dabei sind doch gerade die Amerikaner für ihren Patriotismus bekannt.Am Tag nach dem Spiel sah ich im Fernsehen ein Video des Spiels Irland gegen Georgien vom Februar. „Irland erhielt einen Elfmeter, der niemals hätte gegeben werden dürfen. Das darauf folgende Tor brachte die Mannschaft erst in das Ausscheidungsspiel gegen Frankreich“, erklärte der Kommentator. Mit anderen Worten: Alles rächt sich früher oder später und dieses Mal hat eben Frankreich das Glück, weiterzukommen.Die Fifa bestätigte, dass es keine Wiederholung geben werde. Erst danach, als er die Qualifikation sicher in der Tasche hatte, erklärte Henry, es „wäre fair“, das Spiel zu wiederholen. Das kam ein wenig spät. Vor allem, da dies nur eine zynische Sympathie mit den fair spielenden Verlieren zum Ausdruck bringt, zu denen wir zum Glück nicht gehören. Zumindest dieses Mal nicht.Matthieu Barbarin ist Sportjournalist und Redakteur beim Tennis-Magazin TenFem.