In Syrien beschleunigt sich der Lauf der Ereignisse. Die Frage ist nur: In welche Richtung? Die Ermordung führender Köpfe des Sicherheitsapparates in der vergangenen Woche war ein schwerer Schlag für das Regime. Der Erfolg hob die Moral im Oppositionslager. Weitere Gruppen schlossen sich dem Kampf an und „befreiten“ verschiedene Städte und Grenzübergänge.
Aber die reguläre Armee und die Assad zugetanen Schabiha-Milizen sind nach wie vor stark. Es sieht so aus, als wollten beide Seiten die Sache bis zum bitteren Ende ausfechten. Wird die Armee Assad, seinem Bruder Maher und seinen Vettern Hafez und Rami Makhlouf weiter die Treue halten? Oder ist es möglich, einen Waffenstillstand zwischen der regulären und der „freien“ Armee auszuhandeln, mit oder ohne der Hilfe internationaler Vermittler?
Einem solchen im Wege stehen könnten sowohl die Schabiha, die auf Stammes- und Gemeindeebene rekrutiert werden, als auch solche Oppositionsgruppen, die es nach Rache verlangt, die einer an Al-Qaida orientierten Ideologie anhängen oder von regionalen Mächten unterstützt werden. Sie könnten Syrien in eine Spirale der Gewalt führen, die die Zahl der Todesopfer der vergangenen 16 Monate weit übersteigt und zu einer Zersplitterung des Landes auf Grundlage örtlicher Vorherrschaft führt. Bereits jetzt kommt es zu ethnischen Racheakten wie der jüngsten Ermordung von Schiiten in Saida Zeinab.
Auch die Situation der Kurden im Nordosten Syriens ist beispielhaft. Bislang kam es dort zu wesentlich weniger zu Gewalt. Jetzt aber bilden sich kurdische Milizen gebildet, deren Forderungen nach Selbstbestimmung schwer mit dem Ruf nach einem geeinten Syrien mit gleichen Rechten für alle unter einen Hut zu bringen sein werden.
Den Übergang planen
Das Genfer Abkommen zu Syrien vom 30. Juni hätte den Konfrontationskurs der Großmächte eigentlich beenden und den Druck auf die Regionalmächte erhöhen sollen, einen reibungsarmen Übergang zu ermöglichen. Aber erstaunlicherweise haben sich die USA für eine Eskalation entschlossen und einen Tag nach der Tötung der Sicherheitschefs in Damaskus im Sicherheitsrat die Verhängung von Sanktionen nach Kapitel VII gefordert, obwohl der syrische Staat bereits dabei ist zu kollabieren. Und klar war, dass der Antrag keine Chance hatte, angenommen zu werden und China und Russland ihr Veto einlegen würden.
Natürlich könnte die russische Position so verstanden werden, dass man Syrien lieber als Verbündeten verliert, als den Eindruck zu erwecken, man lasse es fallen. Sie könnte aber auch bedeuten, dass man sich in Moskau eine entscheidende Rolle im Rahmen einer internationalen Friedenstruppe ausrechnet. Die könnte notwendig sein, um zu verhindern, dass es nach dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen zu einem Bürgerkrieg kommt. Die Russen wissen ebenso gut wie die Amerikaner, dass die Tage des syrischen Regimes gezählt sind und Assad gehen muss. Die politische Opposition war sich darin auf der Konferenz einig, die jüngst in Kairo stattfand. Die Frage ist jetzt: Was kommt danach?
Sind die USA wirklich an einem stabilen und vereinten Syrien interessiert und wenn ja, verfügen sie über die Mittel, durch die Regionalmächte Katar, Saudi Arabien und die Türkei auf einen solchen Zustand hinzuwirken? Ein großer Teil der Bevölkerung hat mit Assad gebrochen. Mittlerweile sind sogar Forderungen vorstellbar, die Türkei oder Israel solle helfen, um Assad endlich los zu werden, während der Iran und die Hisbollah in den Köpfen der Menschen aus strategischen Verbündeten zu Feinden geworden sind.
Werden sich aber die Emire in Katar und Saudi Arabien sowie die AKP in der Türkei mit dem Abgang Assads zufrieden geben? Oder wollen sie mehr? Könnten sie ein vereintes Syrien akteptieren, das nur auf der Grundlage eines säkularen Staates mit gleichen Staatsbürgerrechten für alle möglich wäre? Würden sie einen solchen Staat akzeptieren, stark, demokratisch und frei, auch wenn dazu eine lange Phase des Übergangs notwendig wäre? Das bleibt nach wie vor unklar.
Samir Aita ist Chefredakteur der arabischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique.
Kommentare 24
Schon bemerkenswert, daß der Autor mit keiner Silbe auf die Situation der Christen in Syrien eingeht.
Aufstand in Syrien: Christen in Todesangst
http://www.spiegel.de/fotostrecke/aufstand-in-syrien-christen-in-todesangst-fotostrecke-85196.html
Was nach Assad kommt? Nach was bisher überall kam: Radikalisierung, Islamisierung, Chaos, Bürgerkrieg. Und Schuld ist der Westen.
Was nach Assad droht zeigt die Situation im Irak, zeigen Libyen und die Ergebnisse der "Friedens-, Freiheits- und Aufbaumission" von UNO und NATO in Afghanistan, zeigt der Kosovo und Ex-Jugoslawien undsoweiter undsofort. Syrien droht "anhaltende Freiheit" nach westlichen Vorgaben, falls die "Rebellen" mit Hilfe des Westens gewinnen sollten ...
Wenn die innern und äußeren Gegner von Bashar al-Assad die Frage "Könnten sie ein vereintes Syrien akteptieren, das nur auf der Grundlage eines säkularen Staates mit gleichen Staatsbürgerrechten für alle möglich wäre?" ernsthaft positiv beantworten wollten, müssten sie keinen verdekcten und offenen Krieg führen.
Auch dieser Beitrag schreibt etwas herbei, was sich der Westen wünscht und immer noch nicht der Fall ist, nämlich dass "der syrische Staat bereits dabei ist zu kollabieren". Noch ist es nicht so weit wie vereinzelte unabhängige Berichte zeigen. Und noch ist das Völkerrecht nicht vollständig auf dem Müllhaufen geschmissen, ist es noch kein Total-Kollateralschaden der westlichen Menschenrechtskrieger, die ihre neokolonialen und -imperialistischen Kriege humanitär tarnen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt ...
Ich habe ja nichts gegen engagierte Diskussion, mit Kopf und Herz, aber ein wenig mehr Niveau tut der Sache gut und besser ...
Ich muss mich doch sehr über Ihren verbalen Angriff, für den es keinen Grund gibt, wundern. Sie sollten niemanden beleidigen, vor allem nicht grundlos. Das hat vor allem auch nichts mit dem Thema zu tun.
Das waren meine ersten und letzten Worte an Sie.
Da haben Sie allerdings Recht, von wegen der begrenzten Länge.
Herrje, wer kann wissen, wer oder was nach Assad kommt - und vor allem: wann? In ein paar Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren?
Samir Aita hat in etwa so viel Ahnung wie der hier kommentierende Experte "Klartext". ("In Syrien beschleunigt sich der Lauf der Ereignisse. Die Frage ist nur: In welche Richtung?") So so.
So was ist in etwa auf dem Niveau des neuerdings vor- und zuzückrudernden ARD-Korresondenten Jörg Armbruster, der täglich von Kairo aus die Kräfteverhältnisse in Syrien einschätzt. Also nichtsnutzig.
http://www.worldpolicyconference.com/pdf/en/guest/Aita.pdf
Beim Thema Syrien unterschreitet der Freitag bisher seine journalistische Kompetenz, finde ich.
"Gelbe Karte" an Klartext.
Weinsztein,
Deine Aussage "Beim Thema Syrien unterschreitet der Freitag bisher seine journalistische Kompetenz, finde ich." stimmt grundsätzlich. Zum Glück gibt es mit den Beiträgen von Lutz Herden zu Syrien auch hier eine Ausnahme. Aber die kennst Du sicher.
Was kommt nach Assad?
Heute nun ein undifferenzierter Artikel im Tagesspiegel über ´Demokratisierungsmaßnahmen´ für die FSA in Deutschland. Es ist kaum zu glauben, aber mit Hilfe von Crash-Kursen im Rahmen von Workshops soll Demokratie vermittelt werden & mit einem Fingerschnipp wird sie entsprechende Umsetzung finden, so das hiesige Wunschdenken… Eine derartige Sicht- & Handlungsweise ist, wohlwollend ausgedrückt, derart einfältig, dass sie mit weiteren Worten schlicht & ergreifend nicht zu beschreiben ist, ohne ausfallender zu werden…
http://www.tagesspiegel.de/politik/assad-gegner-das-neue-syrien-kommt-aus-wilmersdorf/6920722.html
Als Gegenpol ein differenzierterer Bericht in der ´Zeit´ zum Thema Einfältigkeit…
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/syrien-und-ihr-denkt-es-geht-um-einen-diktator-11830492.html
Danke für die Hinweise.
Der Tagesspiegel-Bericht zeigt, was von dem Bekenntnis der Bundesregierung zum Annan-Friedensplan zu halten ist. Er ist ein Beleg für die Heuchelei. Darauf wird ja auch hingewiesen: "Solange Deutschland noch an Assad und seine Paten in Moskau und Peking appellierte, wäre es kontraproduktiv gewesen, konkrete Planungen für ein freies Syrien offenzulegen." Die Stiftung Wissenschaft & Politik (SWP), bei der die syrischen "Rebellen" ausgebildet werden in Demokratie-Crash-Kursen, wird ja von der Bundesregierung bezahlt. SWP-Direktor Perthes schrieb im Januar 2012: "Spätestens seit Ende des Sommers ist klar, dass Assad nicht mehr gewinnen kann." Passt ja, Und SWP-Mitarbeiter Heiko Wimmen erklärte im März in Berlin bei einer Veranstaltung zu Syrien, dass die NATO doch helfen solle - beim regimewechsel, was er so nicht sagte. Wimmen wollte Flugverbotszonen und Angriffe auf die syrische Armee usw.
Das United States Institute of Peace, mit dem die SWP da zusammenarbeit, wurde von Ronald Reagan ins Leben gerufen. Das Institut arbeitet wiederum mit der CIA zusammen und bildet ebenfalls syrische "Oppositionelle" aus. Lauter Granten für Demokratie und Freiheit ...
Ja, und der FAZ-beitrag ist klasse. Der Inhalt könnte teilweise fast von mir stammen: "Den Amerikanern und der westlichen Seite geht es nicht oder nicht vorrangig darum, der bedauernswerten syrischen Bevölkerung zu helfen, sondern um Einflussnahme auf die Neugestaltung des Landes nach einem voraussichtlichen Sturz des derzeitigen Regimes, obwohl man mit diesem bisher stets gut zusammenarbeiten konnte. Mehrere, seit längerem geplante, für den Westen wichtige Öl- und Gaspipelines stehen auf dem Spiel, die Saudi-Arabien und Qatar mit dem östlichen Mittelmeerraum und der Türkei verbinden und deshalb partiell durch syrisches Gebiet führen sollen." Aber ich will mich gar nicht mit fremden Federn schmücken, sondern würde gern wissen, was jene dazu meinen, die immer ganz schnell die Verschwörungstheorie-Keule schwingen, wenn auf solche Hintergründe hingewiesen wird. Die FAZ als neuer Hort der Verschwörungstheorie ... Klasse.
pardon, natürlich nicht die Zeit, aber widernatürlich die FAZ...
Nachtrag: Der Tagesspiegel-Beitrag zeigt auch, warum die Bundesrepublik auf diese Weise das Völkerrecht mißachtet: "Ob die Berliner Transformationskonzepte aber am Ende überhaupt zum Zuge kommen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Hass bis zu Assads erwartbarem Abgang zwischen den syrischen Oppositionsgruppen noch freigesetzt wird. Alle Beteiligten, heißt es, sind sich dessen bewusst. Dass Deutschland sich diesmal aufrichtig bemüht hat, dürften sie aber in jedem Fall nicht vergessen." Da bestätigt, was ich kürzlich schrieb: "Deutsche wollen am Krieg mit verdienen"
Korrektur: ... Garanten für Demokratie ...
"Ob die Berliner Transformationskonzepte aber am Ende überhaupt zum Zuge kommen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Hass bis zu Assads erwartbarem Abgang zwischen den syrischen Oppositionsgruppen noch freigesetzt wird. Alle Beteiligten, heißt es, sind sich dessen bewusst. Dass Deutschland sich diesmal aufrichtig bemüht hat, dürften sie aber in jedem Fall nicht vergessen."
Der Abschnitt am Schluss ist mir auch aufgefallen. Die internen innen- als auch außenpolitischen Zurechtstutzungen aufgrund des deutschen ´Fiasko´ in der Abstimmung um Libyen muss enorm gewesen sein...Wobei einem damals Westerwelle das 1. Mal sympathisch war, aber Wiederhlung ist nun ausgeschlossen, leider ist es diesmal nicht gut so....
leider denke ich schneller als ich schreiben. sorry bez. Grammatik-Fiasko in meinen Kommentaren....
Aber Westerwelles Enthaltung zum Libyen-Krieg war auch nur Heuchelei: "Doch gegen Libyen werden keine Soldaten eingesetzt, behauptete die Bundesregierung – und log. Denn in NATO-Stäben steuern deutsche Soldaten den Krieg gegen Gaddafi an exponierter Stelle."
Kein Problem, es geht den Menschen wie den Leuten ...
Schon klar, die Enthaltung war dennoch ein Affront...das wird durchaus registriert....
Ja, selbst das wurde zum Problem. Das zeigt, wie die herrschenden Kreise des Westens ticken. Da dürfen selbst Politiker wie Westerwelle mal eine enthaltende Meinung haben. Da gibt's Saures aus Washington ...
Das heißt dann Demokratie. Und wir zeigen den Arabern mal, wie das geht ...
vielleicht ist er aber auch nicht ganz mitgekommen, was nicht verwundern würde - so oder so gesehen-, aber Angie war mit Sicherheit mit der Linie dáccord. Vielleicht beide aus Überzeugung oder weil andere europäische Probleme dringlicher waren als die gründliche Auseinandersetzung wozu ein arabischer Frühling taugt, , oder beide wollten auch mal Pazifisten spielen, so wie ihre Vorgänger zu Zeiten der Irak-Invasion, wie dem auch sei. egal was sie tun geht es stets nach hinten los...
Korrektur: ... Da dürfen selbst Politiker wie Westerwelle nicht mal eine enthaltende Meinung haben. ...
Sich Enthalten oder dagegen stimmen dürfen nur die Buh-Staaten, das wird dann so interpretiert, dass sie gegen ´vernünftige, humane & gewaltfreie Lösungen´ & den enstsprechenden in ´diesem Sinne veranstalteten Resolutionen´sind. Der Kapitel VII der Charta der UN, auf die bezogen wird, wird der Bevölkerung nicht inhaltlich verständlich erklärt & wie weit damit gegangen werden kann...
Keiner weiß doch mehr, inwieweit der Bürgerkrieg in Syrien wirklich eine nur inner-syrische Angelegenheit ist oder wie stark von Anfang an Dritte mitgemischt und angeheizt haben. Nun ist die Situation so, dass ein Verbleib Assads tatsächlich kaum noch vorstellbar ist. Das jedoch v.a aufgrund einer in den letzten Monaten maßgeblich auch von außen angeheizten Eskalation. Der Artikel nimmt aber genau die jetzige Situation zum Maßstab und erklärt, Syrien sei durch Dritte - genauer: Nachbarländer und die USA - wieder aufzubauen und herzustellen. Es wird völlig ignoriert, dass wohl außer durch die unmittelbaren Nachbarn (Türkei, Jordanien, Libanon, Irak und nicht zuletzt Israel) von Anbeginn auf keine andere Karte als die Ersetzung Assads gesetzt wurde.
Alles sieht danach aus, dass der Bürgerkrieg von Anfang an von außen angeheizt wurde und dafür die Proteste in Deraa genutzt wurden. Ich hatte das schon merhmals angedeutet. Dazu passt auch das, worauf ich in meinem jüngsten Text hinweise.