Großbritannien bleibt bis Ende Oktober diesen Jahres in der EU – aber mit reduzierter Macht und Status, wobei für Ende Juni eine Überprüfung seines Verhaltens angsetzt ist. In einer Ehe entspräche das der Verbannung aufs Sofa, wenn nicht gar in den Gartenschuppen.
Die Demütigung von Mittwoch Abend, als 27 andere Nationen über das britische Schicksal entschieden, war ein Vorgeschmack auf eine „Norwegen-Plus“- oder „Binnenmarkt 2.0“-Lösung, bei denen Entscheidungen über Großbritannien in dessen Abwesenheit getroffen werden. Sie offenbarte die Lügen der Brexit-Befürworter und die Unmöglichkeit einer starken und stabilen Position außerhalb der EU. Historiker werden eines Tages festhalten, dass die Briten ihre Macht in Europa so lange nicht wertschätzten, bis sie sie verloren hatten. Auch Theresa May wurde erneut gedemütigt. Aber es scheint keine tiefen Spuren zu hinterlassen, sie besitzt scheinbar kein Schamgefühl. May bleibt davon überzeugt, dass sie im Recht war und ist. Die Schuld liegt bei ihren Kritikern – und nicht bei ihrem Deal oder ihrer politischen Führung.
Die Frage, die unbeantwortet bleibt, ist: Was nun? Die wenigsten führenden EU-Politiker hatten daran geglaubt, dass die Gespräche zwischen Tories und Labour zu einem Deal führen würden, den das Parlament unterstützen könnte. Und das zu Recht. Es ist nicht in Jeremy Corbyns Interesse, die konservative Partei aus einer Krise zu führen, in die sie sich selbst manövriert hat. Und für May hätte jeder für die Labour-Partei akzeptable Deal eine mögliche permanente Spaltung ihrer eigenen Partei zur Folge gehabt, wie es sie seit 1846 und der Abschaffung der Korngesetze nicht gegeben hat.
Aus diesem Grund wurden diese Verhandlungen nie mit guten Absichten geführt – sonst wären die Brexit-Hardliner in der Regierung bereits zurückgetreten. Kabinettsmitglieder von Außenminister Jeremy Hunt bis Geoffrey Cox scheinen nicht in der Lage zu sein, ihre doppelzüngigen Ambitionen zu verheimlichen, indem sie quasi versprechen, dass ein zukünftiger Tory-Chef jeden Deal zunichte machen würde.
Der Abbruch der Gespräche zwischen May und Corbyn ist daher nur eine Frage der Zeit
Aber all das hat eh keine Bedeutung. Selbst wenn May und Corbyn sich auf einen Deal für einen weichen Brexit ohne eine bestätigendes Referendum einigen könnten, würde die Mehrzahl der Tory-Abgeordneten wegen des Inhalts dagegen stimmen und die Labour-Abgeordneten allein schon wegen des Procedere dagegen sein. Wenn May versuchen sollte, Fraktionszwang für ein „Volksreferendum“ durchzusetzen, würde ihre Regierung zerbrechen.
Würden sie hingegen tatsächlich einen Deal aushandeln, könnten sich die Partei-Spitzen in einer Lage wiederfinden, in der die einzigen Abgeordneten, die dafür stimmen, auf den beiden Vorderbänken sitzen. Dieses Vorgehen verzweifelter Unterstützer der Premierministerin hat weder im Parlament, der Tory-Partei oder der Labour-Bewegung große Zugkraft.
Der Abbruch der Gespräche zwischen May und Corbyn ist daher nur eine Frage der Zeit. Höchstwahrscheinlich werden beide Seiten die Fiktion über die sitzungsfreie Zeit hinweg aufrechterhalten, um allen eine Pause zu erlauben – und wer könnte ihnen das verdenken? Tatsächlich werden beide Seiten allein deshalb am Tisch bleiben, um zu vermeiden, ihn als erstes zu verlassen. Man kann davon ausgehen, dass die Schuldzuweisungen demnächst in vollem Gange sein werden.
Aber die Realität ist, dass es für keine Brexitvariante eine parlamentarische Mehrheit gibt, von einem harten No-Deal-Brexit über alle anderen Variationen bis hin zur Aufgabe des Brexit. Das bedeutet, dass als einzige Option rechtliche Verfahren übrig bleiben. Obwohl die Premierministerin weitere Abstimmungsrunden durchführen und noch einen weiteren Versuch unternehmen kann, ihren Deal durchzubringen, wird das keinen Erfolg haben.
Mays Zeit neigt sich dem Ende zu
Doch obwohl es alles andere als zweckdienlich ist, wenn sie in Amt und Würden bleibt, weigert sich May zu gehen. Würde sie Ende Juni zurücktreten, würde sie die Peinlichkeit vermeiden, kürzer im Amt gewesen zu sein als der Labourpolitiker Gordon Brown, aber ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin die Chance geben, sich über den Sommer hin neu zu gruppieren. Illusionen sollte man sich allerdings nicht hingeben: ein neuer Tory-Chef und Premierminister bringt keine neue Lösung für die Krise mit sich. Die parlamentarische Arithmetik bleibt unverändert.
Entweder jetzt oder einige Monate später wird das Parlament zwischen zwei Optionen wählen müssen: entweder dem britischen Volk durch eine erneute Abstimmung in der Brexit-Frage ein weiteres Mal das letzte Wort zu geben – oder Neuwahlen abzuhalten, um ein Parlament zu schaffen, das fähig ist, eine Entscheidung zu treffen. Im Fall von Parlamentswahlen wird die Labour-Partei mit dem Angebot minimaler Neuverhandlungen sowie einem Referendum oder sogar dem Versprechen, Artikel 50 zu widerrufen, in den Wahlkampf gehen. Konfrontiert mit der Entscheidung zwischen einem Referendum unter einer konservativen Regierung oder einem Referendum nach einem möglichen Labour-Wahlsieg, könnten ausreichend viele Tory-Abgeordnete zu dem Schluss kommen, dass es das kleinere Übel ist, jetzt ein neues Referendum zu unterstützen.
In beiden Fällen steht Mays Amtszeit als Premierministerin vor dem Aus – ebenso wie vielleicht das Projekt, unser Land aus der EU zu reißen. Nach Mittwochabend ist Großbritannien ganz unten, nicht draußen.
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