Weder Hure, noch Heilige

Burka-Verbot Keine Kinder Gottes: In einem Video spazieren zwei Französinnen verschleiert und in Minirock auf der Straße und protestieren damit gegen das Burka-Verbot

Gerade dachte man, der Niqab-Affäre wäre nun wirklich nichts Neues mehr hinzuzufügen, da wird sie zum Gegenstand einer Persiflage. Zwei Französinnen meinen, sie müssten ihren Protest gegen das Niqab-Verbot in Frankreich zum Ausdruck bringen, indem sie ihre Gesichter verschleiern, ihre Beine jedoch in Miniröcken zur Schau stellen. Das Duo, das sich NiqaBitch nennt, hat ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie sie den Verkehr aufhalten und die Blicke auf sich ziehen, während sie in Stöckelschuhen durch Paris stolzieren.

Sowohl der Name als auch die Aufmachung vermischen das Heilige mit dem Profanen. Das Filmchen ist sehr ironisch, alles in allem eher typisch französisch. „Wir haben nicht die Absicht, muslimische Fundamentalisten anzugreifen oder herabzuwürdigen, sondern wollen Politiker hinterfragen, die für dieses Gesetz gestimmt haben, das unserer Ansicht nach verfassungswidrig ist“, sagten sie. „Es scheint Aufgabe des Staates geworden zu sein, vorzuschreiben was wir tragen.“



Polizisten wollen ein Foto

Irgendwie ist das plumpe Nebeneinander von Niqab und Minirock nicht so geistlos wie man im ersten Moment vielleicht denken würde. Wie eine gute Werbeanzeige bringt es ein klares, einfaches, starkes Argument. Es umgeht die Unschärfen der Debatte, geht direkt in die Eingeweide und provoziert alle möglichen Reaktionen. Einigen ist aufgefallen, dass die Öffentlichkeit auf die beiden Frauen weniger unfreundlich reagierte, als für gewöhnlich auf Frauen, die einen Niqab tragen, da offensichtlich ist, dass die beiden ihr Gesicht nicht aus religiösen Gründen verschleiern. Dies zeige die islamophobe Dimension der Ablehnung des Niqab. An einer Stelle des Videos bittet eine Polizistin die beiden um ein Foto. Wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird sie gezwungen sein, von ihnen ein Bußgeld zu verlangen. Das Video beweist, dass es also nicht um Vermummung an sich geht, sondern darum, was diese impliziert und welche Werturteile wir auf dieser Basis treffen – eine äußerst dürftige Position, um ein Gesetz gegen irgendeine Form der Kleidung zu erlassen.

Wenn alle Stränge reißen, argumentieren die Gegner des Niqab in der Debatte gerne damit, dass die Vollverschleierung das diametrale Gegenteil von Nacktheit in der Öffentlichkeit sei, und deshalb für beide dieselben Gesetze gelten sollten. Das Video untergräbt dieses Argument, indem es nackte und bedeckte Haut als zwei Seiten einer Medaille zeigt – in diesem Fall ist es jedoch eine Bekundung der Freiheit, sich so zu kleiden, wie man will. Verhöhnt es den Niqab? Ich denke nicht, da es gegen dessen Verbot protestiert. Und wenn es doch so wäre? Mir gefällt der Ikonoklasmus des Videos. Egal ob religiös oder säkular – es würde niemandem schaden, weniger Aufhebens darum zu machen, was Frauen gerne tragen.

Neu ist diese Bildsprache nicht. Sie ist an einen düsteren orientalischen Fetischismus angelehnt: Eine exotische Frau verbirgt ihr Gesicht, zeigt aber ihren Körper freizügig, was sie zu einem Sex-Objekt degradiert – mystifiziert, weil ohne Eigenschaften, gleichzeitig jedoch verfügbar gemacht. Aber das ist vielleicht nur ein persönlicher Vorbehalt meinerseits. Letztlich geht es darum, eine Wahl zu haben.

Burka wird Pop

NiqaBitch sind nicht die einzigen Künstlerinnen, die in Frankreich in den Schlagzeilen sind. Princess Hijab, eine 20-jährige Guerilla-Künstlerin, sprüht in ganz Paris unerkannt Hijabs und Niqabs auf die Fotos von Models auf Werbeplakaten. Sie behauptet, es ginge ihr nicht um ein politisches Statement, sondern darum, die Widersprüche zu untersuchen, die der Mainstream-Kultur innewohnen.

Aber ist es Kunst? Welchen Einfluss können diese Werke nehmen? Unmittelbar vielleicht gar keinen, aber es ist ermutigend, dass das Konzept des Niqab von der Religion losgelöst und in die Populärkultur eingebunden wird und vor dem Hintergrund der Entscheidungsfreiheit, des künstlerischen Ausdrucks, einer Neudefinition von Sexualität und der Intimsphäre untersucht und diskutiert wird. Und das alles auf die unnachahmlich, typisch avantgardistische Art der Franzosen.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Nesrine Malik | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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