Weiträumiges Umfliegen

Iran Ein Ende des Atomvertrages würde auch dem Tourismus schaden. Dessen Boom war dem theokratischen Establishment eher suspekt
Ausgabe 20/2018
Eigentlich für Reisende erbaut, könnte diese Karawanserei im Norden Irans bald wieder ohne Besucher sein
Eigentlich für Reisende erbaut, könnte diese Karawanserei im Norden Irans bald wieder ohne Besucher sein

Foto: imago/Xinhua

Dank glänzender Moscheen, antiker Ruinen und – ob man es glaubt oder nicht – etlicher Ski-Domänen hat der iranische Fremdenverkehr nach dem Atomabkommen von 2015 einen außergewöhnlichen Aufschwung erlebt. Touristen strömen ins Land, um atemberaubende Gegenden und kulturelle Schätze zu entdecken, die westlichen Augen seit der Islamischen Revolution von 1979 weitgehend verborgen blieben. 22 UNESCO-Welterbe-Stätten sind zu besichtigen. Wer kommt, findet die Lebenshaltungskosten relativ günstig. Donald Trumps Entschluss, vor Wochenfrist den Nuklearvertrag zu canceln, schürt nun die Sorge, dass der Zustrom aus dem Ausland in die einstige Bedeutungslosigkeit zurückfallen wird.

„Nach Barjam (Anm.: persisches Akronym für das Atomabkommen) ist unser Tourismus-Sektor enorm gewachsen. Ich habe über Jahre hinweg als Führer gearbeitet“, erzählt Ali Sheibani, ein 30-jähriger Tour-Guide. Seit 2011 ist er in Isfahan beschäftigt, der wichtigsten Tourismus-Destination des Landes, dazu in Schiras nahe Persepolis, mit seinen Relikten einer stolzen antiken Zivilisation. „Vor dem Deal glaubte man, einem Außerirdischen zu begegnen, wenn man auf einen Touristen traf. Es bildeten sich Menschentrauben um die Besucher, weil alle mit ihnen reden wollten. Ausländische Touristen wurden behandelt wie Prominente. Heute ist es alltäglich geworden, Touristen zu sehen.“

Doch fürchtet Sheibani, dass Trumps Entscheidung diesen Trend wieder umkehren könnte. „Man sollte die psychologische Wirkung nicht unterschätzen. Wenn Iran so wie jetzt in die Weltnachrichten gerät, zögern die Menschen zu reisen. Und was bedeutet die jetzige Situation für iranische Reiseunternehmer, wie sollen sie weiter mit europäischen Partnern zusammenarbeiten, besonders mit Banken, wenn denen Sanktionen drohen?“ Sheibani bleibt hoffnungsvoll – die Amerikaner würden nur einen kleinen Teil der Besucher ausmachen, die meisten kämen aus Asien und Europa. Fast die Hälfte unternehme eine Pilgerreise in die heilige Stadt Maschhad, wo der Schrein des Imams Reza zu finden ist. Im Vorjahr haben sechs Millionen ausländische Touristen Iran besucht, dies sei der höchste Wert seit 40 Jahren, wie die Tehran Times schreibt. „Unser größtes Problem besteht jedoch in den mangelnden Investitionen. Selbst in Isfahan verfügen wir lediglich über zwei Fünfsternehotels“, klagt Sheibani.

Die Stunde der Hardliner

Ali Asghar Mounesan, Chef der nationalen Tourismus-Agentur, meint, sein Land wolle 2025 über 20 Millionen Besucher anziehen, was theoretisch einen Umsatz von 25 Milliarden US-Dollar bedeuten würde. In diesem Jahr wird die Stadt Hamadan, wo seit dem 11. Jahrhundert Ibn Sina (latinisiert: Avicenna), der Vater der modernen Medizin, begraben liegt, die Generalversammlung der Welttourismusorganisation ausrichten.

Navid Yousefian, ein 30-jähriger Unternehmer, ist vor Jahren aus den USA nach Iran gezogen und hat dort unter anderem die Facebook-Gruppe „See You in Iran“ gegründet, die mittlerweile über 145.000 Mitglieder zählt. Er sagt, einer der entscheidendsten Effekte des Iran-Abkommens für den Tourismus-Sektor sei gewesen, dass die reformwillige Regierung sich veranlasst sah, für die Flughäfen des Landes ein Visa-on-Arrival-System einzurichten. Die Einwände gegen eine solche Öffnung, wie sie vom Lager um den Obersten Revolutionsführer Ali Chamenei ausgehen, werden im Augenblick lauter denn je artikuliert. Die Hardliner haben sich immer schon Sorgen wegen einer „Verwestlichung“ der iranischen Kultur gemacht. Die Moderaten dagegen sahen im Tourismus eine Möglichkeit, die ökonomische Misere ein wenig zu kompensieren.

Damit könnte es demnächst vorbei sein, falls es sich die Europäer nicht leisten können, den USA Paroli zu bieten. In diesem Fall werden die gemäßigten Reformer so gut wie überall in der Wirtschaft an Einfluss verlieren. Wenn die Regierung in Teheran der EU eine Frist von 60 Tagen setzt, um das Atomabkommen nach dem US-Ausstieg zu garantieren, denkt man unwillkürlich an die Erklärung von Ali Chamenei nach der Trump-Show am 8. Mai. Darin hieß es, er bezweifle, dass die drei EU-Unterzeichner zu wirklichen Garantien in der Lage seien. Und weiter: „Dann aber können wir nicht so weitermachen wie bisher.“

Ghoncheh Ghavami, die sowohl die britische als auch die iranische Staatsangehörigkeit besitzt, hat in Iran fünf Monate im Gefängnis verbracht, weil sie dafür warb, dass Frauen Volleyballspiele der Männer besuchen dürfen. Sie ist der Meinung, die einfachen Leute müssten den Preis für Trump bezahlen. „Wenn die Spannungen zwischen dem iranischen Establishment und der US-Regierung eskalieren, wird das garantiert innenpolitisch instrumentalisiert, um soziale Forderungen zu unterdrücken. Wir wurden vor ein paar Tagen verhaftet, weil wir Flyer verteilt hatten, auf denen stand, dass Frauen besser geschützt werden müssten. Ein Polizist sagte zu uns: ‚Ihr müsst nach Syrien gehen, wenn ihr wissen wollt, was Sicherheit bedeutet.‘“ Sie fügt noch hinzu: „Die Konservativen bei uns haben immer wieder lautstark verkündet, man könne den USA nicht trauen, jetzt fühlen sie sich natürlich bestätigt.“

Saeed Kamali Dehghan ist der Iran-Korrespondent des Guardian

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Saeed Kamali Dehghan | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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