Zu den bestimmenden Merkmale der westlichen Außenpolitik der letzten zweieinhalb Jahrzehnte zählt die Frage, wann, unter welchen Umständen und wie die internationale Gemeinschaft zu Interventionen schreiten sollte, um gravierende Menschenrechtsverstöße zu verhindern. Die unter dem Kürzel „R2P“ (Responsibility to Protect) bekannte Schutzverantwortungsdoktrin entstand maßgeblich unter dem Eindruck des Blutvergießens nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens. Damals schien die Welt – wie heute – nicht imstande zu sein, sich auf eine Reaktion zu einigen.
Zerstörerische Prüfung
R2P barg einst – trotz der Kritik einiger Länder, die nationale Souveränität sei davon bedroht – ein Versprechen. In den
sei davon bedroht – ein Versprechen. In den vergangenen Jahren ist dieses freilich arg ramponiert worden. Auf einen illegalen, als „Schutznotwendigkeit“ verhüllten Krieg im Irak folgten andere Interventionen, die nach hinten losgingen – nicht zuletzt 2011 in Libyen. Verschiedene Interventionsmodelle sind dabei einer zerstörerischen Prüfung unterzogen worden. Die von den USA angeführten, umfangreichen und immens kostspieligen Engagements für Wiederaufbau und Demokratie haben im Irak und in Afghanistan zu nichts geführt, außer zu einem anhaltenden Kreislauf des Blutvergießens und der Instabilität. Das Modell Intervention light – wie es etwa in Libyen zur Anwendung kam – hat ein Land an der Schwelle zur Anarchie hinterlassen. Und dort, wo die internationale Gemeinschaft jedem spürbaren Druck abgeschworen hat – in Syrien und jetzt in Ägypten – haben die Ereignisse stets eine Wende zum Schlechten genommen. Die einhergehenden Fragestellungen sind deshalb so kompliziert, weil die USA inzwischen jeden Anspruch auf moralische Führung, den sie vielleicht einmal hatten, durch eigens Tun schwer beschädigt haben. Ein außergerichtliches Vorgehen, wie es sich beim Umgang mit den Gefangenen in Guantánamo Bay oder bei den gezielten Tötungen mit Drohnen zeigt, belastet den Ruf der USA in Europa, in Asien und im Nahen Osten. Im UN-Sicherheitsrat, vor allem unter den fünf ständigen Mitgliedern, wächst die Uneinigkeit. Washington und Moskau stehen sich bei Syrien unnachgiebig gegenüber. Nun scheint die Welt am Scheideweg zu stehen. Es gibt überwältigende Hinweise auf umfangreiche Gräueltaten, zu denen auch der dringende Verdacht auf den Einsatz von Chemiewaffen in Damaskus vor Tagen zählt. Gleichzeitig verstärkt sich der Eindruck, eine schwache und gespaltene internationale Gemeinschaft sei machtlos und nicht willens, Verbrechen gegen die Menschheit aufzuhalten. Ein Gefühl der Straflosigkeit nährt Unverfrorenheit und Eskalation. In Damaskus und Kairo, aber auch andernorts, treffen die Akteure gefährliche Entscheidungen, weil sie davon ausgehen, nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden.Schlechte und schlechtere OptionenUnter diesen Umständen ist es das Einfachste, zu sagen, dass es im Fall Syrien nur schlechte Optionen gibt. Das mag stimmen. Zunehmend scheint es aber noch eine schlechtere Option zu geben: Nichts zu tun. Der Observer hat den Forderungen nach einer Militärintervention in Syrien widerstanden. Es bleibt dabei, dass mit einer solchen Intervention eine höchst riskante Route ohne Erfolgsgarantie eingeschlagen würde, die das Risiko mit sich bringt, einen regionalen Krieg auszulösen. Wir scheinen aber einem Wendepunkt immer näher zu kommen. Wichtige Fragen stehen an. Die jüngsten Äußerungen von Außenminister William Hague und US-Präsident Obama haben die Temperatur erhöht und die Wahrscheinlichkeit wachsen lassen, dass es zu irgendeiner Form von Intervention oder Sanktion kommen wird, sollte eindeutig bewiesen werden, dass die syrische Regierung Chemiewaffenangriffe auf ihre Bevölkerung ausführt. Hague hat recht, wenn er sagt, einen Chemiewaffenangriff sei nichts, dass die „zivilisierte Welt ignorieren“ könne. Dennoch. Argumente für eine Militärintervention sind das nicht. Obama scheint aber entschlossen zu sein, sich internationale Zustimmung für eine begrenztere Handlungsoption zu verschaffen – etwa die Sicherstellung chemischer Waffen oder die Neutralisierung von Raketenbasen. Nur wer kann im Blick auf Libyen, den Irak oder Afghanistan mit Sicherheit sagen, das Leben der Syrer würde langfristig besser, wenn diese Route eingeschlagen würde? Je mehr sich die Lage zuspitzt, desto stärker wächst die Verantwortung für alle, sich sinnvoll an dieser Debatte zu beteiligen und die Entscheidungen abzuwägen, die möglicherweise zu treffen sind. Wenn nach reiflicher Überlegung der Entschluss folgt, sich herauszuhalten, wird zumindest größere Klarheit über die Gründe herrschen. Der französische Außenminister Fabius sagte in der vergangenen Woche, im Fall eines Chemiewaffenangriffs sei möglicherweise eine „Reaktion der Stärke“ nötig. Doch welche Art von Stärke meint er? Woher soll sie kommen und was soll damit erreicht werden? Und was dann? Geht Stärke mit politischen Initiativen einher oder nicht? Es muss über die Details geredet werden, statt bloß Rhetorik loszulassen.