Nach der monatelangen Kampagne der westlichen Medien gegen die vermeintlich nichtsnutzigen Griechen war es höchste Zeit, dass zumindest ein paar Intelektuelle wie Amartya Sen oder Jürgen Habermas sowie die Vereinten Nationen aufgewacht sind und erkannt haben, dass die Griechenland aufgezwungen Sparmaßnahmen unzumutbar sind.
Diese Einsicht kam aber nur zustande, weil die griechische Bevölkerung sich zur Wehr setzte und die Demonstranten vom Syntagma-Platz George Papandreou und die Eliten, die Griechenland seit fast 40 Jahren regieren, mit einem eindeutigen Verfallsdatum versehen haben. Papandreous Tage sind gezählt. Er ist ein Regierungschef auf Abruf. Während die meisten Kommentatoren der Ansicht sind, Griechenland müsse seine Insolvenz erklären und über eine beträchtliche Reduzierung seiner Schulden verhandeln, hält die Regierung immer noch daran fest, dass sie jeden einzelnen Cent zurückzahlen werde.
Es fiel leichter, die friedliche, demokratische Revolte auf dem Syntagma-Platz zu beginnen als den Aufruhr in Ägypten, weil man nicht so große Angst vor brutaler Repression haben musste. Sie könnte aber schwerer zu vollenden sein, da sie sich der gewaltigen Macht der EU und des internationalen Finanzkapitals gegenübersieht. Jetzt, da die Empörten die Regeln des politischen Spiels verändern, ist es vielleicht an der Zeit, noch einmal auf einige der Fakten zu sprechen zu kommen, die so schwerwiegend fehlinterpretiert worden sind.
Das Rettungspaket für Griechenland ist kein Geschenk oder Zuschuss, sondern ein Kredit mit hohen Zinsen. Rettungspakete werden nicht geschnürt, damit Löhne und Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst und Renten ausbezahlt werden können, sondern damit deutsche und französische Banken ihre Kredite und Zinsen zurückerhalten. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird Griechenland zwischen 2009 und 2014 131 Milliarden Euro zur Refinanzierung und Tilgung seiner Schulden aufbringen. Das ist weit mehr als die ursprüngliche Kreditsumme von 110 Milliarden Euro. In einem magischen Handstreich werden die deutschen und französischen Arbeiter gezwungen, die Banken ihrer Länder zu retten. Diesmal nicht direkt wie 2008/2009, sondern durch die Vermittlung Griechenlands, das damit unverzüglich zum Gegenstand populistischer Empörung wurde. Auf der anderen Seite zwingt man die griechische Regierung, als Vorbedingung für den Erhalt der Kredite einen ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenbruch zu provozieren, wie er bisher für Westeuropa in Friedenszeiten unvorstellbar war.
Das Familiensilber
Diese beispiellose Betrafung führte zu vergrößerten Schulden und einer verfestigten Rezession. Die EU-Regierungen bieten nun die Zahlung eines weiteren Kredits an, wenn Griechenland eine Reihe sogar noch weiter reichender Maßnahmen billigt und das Familiensilber verkauft. Die Annahme dieser Maßnahmen wurde zur Vorbedingung der Zahlung der fünften Tranche eines eigentlich schon beschlossenen Kredits erhoben. Eine Erpressung, wie sie einem Hinterzimmer-Kredithai zu Ehre gereichen würde. Der Privatisierungsplan umfasst den Verkauf von 17 Prozent des staatlichen Energieunternehmens, um dem Staat das Kontrollinteresse an diesem Wachstumsmotor zu nehmen. Den wichtigsten Ministerien sowie Unternehmen, die in Griechenland mit der Privatisierung öffentlichen Eigentums betraut sind, sollen dem neuen Plan zufolge künftig ausländische Emissäre vorstehen. Der griechischen „Treuhand“ gehören aber 15 Kraftwerke, deren Neubau pro Stück mit 1,3 Milliarden veranschlagt wird: Diese Privatisierung im postsowjetischen Stil würde wertvolle öffentliche Güter in privaten Besitz überführen.
Der Verlust der wirtschaftlichen Souveränität geht mit beispiellosen Angriffen auf die politische und juristische Integrität des Landes einher. Inspektoren von IWF und EU statten dem Land regelmäßig Besuche ab, prüfen die Bilanzen und diktieren die Politik. Es genügt noch nicht einmal, dass die Regierung kapituliert: Alle politischen Parteien müssen die neuen Sparmaßnahmen akzeptieren, bevor die nächste Tranche fließt. So entsteht klammheimlich eine neue Form des Kolonialismus, in dem die Brüsseler Eliten den europäischen Süden wie einen armen, rechtlosen Bittsteller behandeln.
Obwohl es sich um ein kleines Land am Rande Europas handelt, kam Griechenland von Anfand an eine symbolische Bedeutung für das europäische Projekt zu. Das Wort Europa ist Griechisch; in der klassischen Polis der Antike entstanden Demokratie, Wissenschaft und Philosophie, hier erhielt die Politik ihren Namen. Die symbolische Bedeutung spielte 1981 bei der Entscheidung, Griechenland trotz seiner im Vergleich zu den nördlichen Kernsaaten geringen Wirtschaftsleistung in die EU aufzunehmen, eine große Rolle. Aber die damalige Vision von europäischer Solidarität und Wohlstand für alle ist einer Vision der neokolonialen Disziplinierung der Bevölkerungen gewichen.
Iphigenie hat überlebt
Die griechische Bevölkerung und Demokratie erinnern stark an die Heldin in Euripides' Iphigenie in Aulis, die von ihrem Vater Agamemnon geopfert werden muss, um die ihm zürnenden Götter zu besänftigen und seiner Flotte den Aufbruch zu ermöglichen. Augenblicklich werden die gierigen Götter von den Anleihemärkten gegeben, die Rating-Agenturen spielen deren dunkle Priester. Sie müssen besänftigt werden, um die Banken retten zu können.
Iphigenie hat am Ende überlebt. Sie wurde wie durch ein Wunder von einer mysteriösen Wolke gerettet. In der modernen griechischen Tragödie kann die Rettung nur durch die magische „Wolke“ des Massenprotestes kommen, der den Syntagma-Platz seit einem Monat besetzt hält. Die Multitude von Syntagma ist zum Parlament der kleinen Leute geworden, das sich dem paralysierten Oberhaus entgegenstellt und das im Scheitern begriffene Modell der repräsentativen Demokratie durch die Beteiligung der Bürger ergänzt.
Ein zweitägiger Generalstreik könnte in dieser Woche das Parlament davon überzeugen, die neuen Maßnahmen nicht in Gesetzesform zu gießen. Wie auch immer die Abstimmung ausgehen wird: Die direkte Demokratie ist an den Ort ihrer Geburt zurückgekehrt und dabei, die Bedeutung von Politik zu verändern. Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass eine Multitude freier und entschlossener Bürger selbst den größten Mächten erfolgreich Widerstand leisten kann. Hierin liegen das Versprechen und die Hoffnung, die Athen Dublin, Lissabon und London geben kann.
Costas Douzinas ist Juraprofessor an der University of London. Er hat unter anderem die Bücher The End of Human Rights und Human Rights and Empire geschrieben.
Petros Papaconstantinou ist Kolumnist bei der Athener Tagezeitung Kathimerini.
Kommentare 8
Neokolonialismus ist in der "ersten Welt" angekommen und wird bei Griechenland nicht halt machen; schlimmstenfalls ein Exempel statuieren wollen.
Makaber, aber Standard bei Millionen von amerikanischen Eigenheimern. "Under Water", wenn die noch offenen Hypotheken incl. Zinsen den (momentanen) Marktwert der Immobilie überschreiten; und mit erwartbar weiter steigender Tendenz in der Differenz.
Dann sieht das "drüben" so aus:
www.notina.com/?q=node/33
Nur, die Banken haben "gelernt", nehmen nun gleich ganze Gesellschaften in Geiselhaft...
Vielleicht etwas zu groß, die geschwungene Keule? Da muss man schon aufpassen, nicht mitgerissen zu werden.
Wunderbar, klarer kann ein Artikel die Situation nicht beschreiben.
Ich möchte mich hier nicht weiter auslassen, sondern nur auf kluge Leute wie Dr. Flassbeck und andere verweisen.
Der größte Störenfried, der eigentlich die EU-Finanzwelt zerstört ist und bleibt die BRD.
Eigentlich sollte man sich dazu durchringen, die BRD aus dem Euroraum heraus zu nehmen.
Hören wir genau auf den Großanleger Worren Buffet, der einen Klassenkampf von Reich gegen Arm angekündigt hat und Wooren weiß auch, wer diesen Klassenkampf gewinnt, natürlich die Reichen.
Man muss sich das einmal vorstellen, Geld ist haufenweise vorhanden, es wird in den USA und auch in der BRD massenweise gedruckt. Der Ertrag des Geldes sind stets die Zinsen, die sind aber im Keller, weil zuviel Geld da ist.
Nur von den Griechen verlangt man bis zu 28% Zinsen, für mich einfach nur balla, balla und ein Fall fürs Irrenhaus.
Na ja, leg`dem guten Heiner Flassbeck bitte keine Sachen in den Mund, die er so nicht gesagt hat.
Ein bißchen komplizierter ist die Sachlage schon noch....
@Skepsis
Ich habe Herrn Flassbeck überhaupt nichts in den Mund gelegt.
Selbstverständlich ist es kompliziert, dass die BRD aber der größte Störenfried ist und viele Dinge mehr, stammt aber von ihm.
Ich habe Flassbeck gelesen und kennen seinen berechtigten Groll gegen die unsinnigen Machenschaften von Merkel und Co.
Dass der Herr Professor unparteiisch ist, glaubt ja wohl niemand hier. Dass er dämliche griechische Ster,eotype zum besten gibt, macht ihn nur wenig glaubwürdiger. Die griechische Demokratie war die Pest am Arsch des Propheten: Sie kostete Sokrates das Leben und sie opferte vollkommen ohne Not die griechische Vormachtstellung dem Demagogen Alkibiades, der die griechischen Großmachtträume in Syrakus auf immer beerdigte.
Die Römer waren erstaunt über den Eifer der griechischen Stadtstaaten -trotz römischer Besetzung- übereinander herzufallen. Gewissermaßen der Balkan der Antike, nur gebildeter. Auch schrieb Plinius: "Griechenland ist ein armes Land lauter reicher Leute."
Die Rhetorik der deutschen Medienlandschaft ist genauso verdreht wie die der armen griechischen Opfer. Beide Seiten haben Schuld. Der EU war von Anfang an klar, dass die Griechen gemogelt haben, dass es kracht um in die Eurozone aufgenommen zu werden.
Sie haben aber schlicht den griechischen Einfluss auf den Euro unterschätzt -zumindest die Symbolwirkung, die er haben würde. Ein bisschen wie das gallische Dorf, dass sich den Römern widersetzt.
Beides ist richtig: Der Euro verhindert die fiskalische Anpassung wirtschaftlich weniger leistungsstarker Staaten. Aber auch: Das griechische Gemurkse ist unerträglich.
Beides zusammen führt dann eben in die Katastrophe.
Und Griechenland wird sich vielleicht bald rühmen können, der Auslöser der nächsten Weltwirtschaftskrise und der Anfang vom Ende der Eurozone zu sein. Besser als Lehmann-Brothers.
Eben ein Land der Superlativen!
Hatte etwa wirklich jemand geglaubt das die "Hilfen" FÜR "die Griechen" gewährt würden? Natürlich ist das ein verdecktes Bailout für diejenigen, die mit dem Wissen, das die Kredite nicht zurück gezahlt würden, nun mit Geld aus diesen "Hilfen" den "Kauf" vom "Tafelsilber", also Energie, Wasser und Land, finanzieren um ihren Griff für noch mehr Kontrolle über diesen EU-Mitgliedsstaat zu festigen. Kredit ist eben immer Mist, aber auch im restlichen Europa verdienen die Banken schließlich nur an den ärmeren Bürgern die ihre Kredite von ihrem kärglichen Löhnen abstottern.
"Nur von den Griechen verlangt man bis zu 28% Zinsen, für mich einfach nur balla, balla und ein Fall fürs Irrenhaus."
Keine Ahnung, aber dafür immerhin eine klare Meinung. Du wirst es nocht weit bringen.
Niemand verlangt von Griechenland 10%, 20% oder gar 30% Zinsen. Die aktuellen Hilfszahlungen gibt es für 5% - wobei das können die Griechen natürlich auch nicht aus eigener Kraft bezahlen.
Empfehlung: Mach dir mal den Unterschied zwischen nominaler Verzinsung (bezogen auf den Nennwert einer Anleihe) und denn effektiven Zinssatz (bezogen auf deren aktuellen Marktwert) klar.