Mali Das sagenhafte Timbuktu dämmert vor sich hin. Nicht nur die Wüste rückt immer näher, auch die Al-Qaida- und Tuareg-Rebellen warten auf ihre Stunde
Solange der Grundwasserspiegel nicht fällt, sind Kratergärten Oasen für Timbuktu
Foto: Sean Smith / Guardian
Hamoudi „Jagger“ Baby schlitzt seit 30 Jahren Halsschlagadern auf. Nun wartet er an einer Sanddüne auf seinen nächsten Auftrag. Das Getümmel, das hinter einem Dornenbusch vor sich geht, scheint er gar nicht wahrzunehmen. In gut zehn Metern Entfernung ringt ein Dutzend Teenager ein Tier zu Boden.
Der 45-jährige Schlachter trägt ein blutbespritztes blaues T-Shirt und erzählt nebenher: „Jagger werde ich genannt, weil ich tanze wie ein Rolling Stone. Da ruft schon jemand Jagger!“ Also bewegt er sich durch die Menge in Richtung Vieh – ein Kamel, dessen Hufe zusammengebunden sind. Das Tier ist ganz ruhig, auch die Menschen erwarten das Unaufhaltsame. Jagger kommt herbeigeschlurft, murmelt „Allahu Akbar“ und versetzt dem Tier
dem Tier zwei Messerhiebe in den Nacken. Blut strömt aus dem zuckenden Körper und sammelt sich auf hellem Sand. Ein karmesinroter See entsteht, er füllt sich langsam. „Wir sind nicht stolz darauf“, erzählt Jagger, „Kamele zu töten, auch noch ein junges wie dieses hier. Aber um diese Jahreszeit haben wir zu wenig Rinder, weil es nicht genug regnet. Früher konnte das Vieh hier über das ganze Jahr hinweg grasen. Bis zur großen Dürre von 1973 gab es sogar Bäume“, erinnert er sich und zeigt auf die kahlen Wanderdünen, die über eine nördliche Stadtgrenze hinaus weisen.Timbuktu, die Stadt des Goldes und der Gelehrsamkeit, zerfällt langsam zu Staub. Die Sahara erstickt das Leben. Und die Menschen wissen, wenn ihre Stadt um die pure Existenz fürchten muss, dann sind die Gründe menschengemacht: Krieg, Gier, Unterentwicklung und Korruption sind Mitverschwörer der Desertifikation. Die Stadt wird nicht nur physisch von Sandmassen belagert, auch mental.In besseren Zeiten wurden Besucher, die Timbuktu nach wochenlangem Ritt auf einem Kamel erreichten, von einem Hain aus Mangobäumen begrüßt, die goldene Früchte trugen. Ein Netz aus Kanälen erfrischte die Luft. Schriften aus dem 16. Jahrhundert beschreiben eine Gegend von magischer Anziehungskraft, in der Araber und Afrikaner Salz gegen Gold tauschten. Ehrfurcht und Wohlstand sorgten für sagenhafte Moscheen und ein reges geistiges Leben. Die Stadt wurde in einer kollektiven Vorstellung, die bis nach Europa reichte, zu einem solch außergewöhnlichen Ort, dass viele zweifelten, ob er wirklich existierte.Nachdem Timbuktu 2012 von sezessionistischen Tuareg und al-Qaidanahen Islamisten besetzt und Anfang 2013 von französischen Soldaten (Opération Serval) zurückerobert wurde, wirkt die Stadt wie ein Findling im Gebiet der Rebellen, die darauf warten, wieder vorrücken zu können. Die fast 1.000 Kilometer lange Fahrt von Bamako, Malis Hauptstadt, bis nach Timbuktu birgt denn auch tödliche Risiken. Journalisten wird geraten, mit dem täglichen UN-Flugzeug anzureisen. Aber was tut die Bevölkerung?Sie bleibt, richtet sich auf Sandstürme ein und vertraut auf den Schutz durch die Soldaten der UN-Friedensmission MINUSMA. Etwa 1.200 sind in Timbuktu stationiert und sollen einen Ort schützen, dessen Bevölkerung auf etwa 15.000 Menschen geschrumpft ist. Manchen Besucher lässt das zögern, Timbuktu noch als Stadt zu bezeichnen. Man ist im Hotel La Colombe oft der einzige Gast und abends, wenn der Hotelier nach Hause geht, mit einem Billardtisch in einem riesigen Speisesaal sich selbst überlassen. Heißt es nicht in den Geschichtsbüchern, Timbuktu habe im 12. Jahrhundert eine der ersten Universitäten weltweit und bis zu 25.000 Studenten beherbergt?Moskitos und MalariaHeute liegt alles so stumm und verlassen da, als hätten der Sand und die trockene Hitze von über 40 Grad jeden Klang verschluckt. Timbuktu ruht in sich, es gibt keine Ampeln, so gut wie keine Autos, dafür Esel en masse. Öffentlicher Nahverkehr beschränkt sich auf ein Dutzend Landrover, die mit schiefen Radachsen zwischen der Stadt und dem ein paar Kilometer weiter südlich beginnenden Niger hin und her pendeln. Der Kanal, der sich dort entlangzieht, hat letztmalig 1955 ein ganzes Jahr über Wasser geführt.Als der Graben austrocknete und die Passatwinde nur Staub statt Wasser brachten, grub Mahamane Alphadys Vater ein Loch. Gleiches taten andere Gemüsebauern, sodass Dutzende Krater entstanden, die vom versiegenden Grundwasser gespeist wurden und an deren Seitenwänden Gemüse wuchs. Dann aber musste Jahr für Jahr tiefer gegraben werden – 1973 gab Alphadys Vater auf. „Er sagte mir, ich soll mir einen Job suchen“, erinnert sich der heute 51-jährige Mahame. „Ich habe dann als Straßenreiniger gearbeitet, obwohl unser Loch das letzte war, in dem sich noch etwas anbauen ließ. Wir hätten nie gedacht, dass irgendwann mal das Grundwasser wieder steigt.“Es ist geschehen, der Garten ringsherum bringt wieder Erdnüsse, Kartoffeln, Hirse, Wassermelonen, Minze und Tomaten hervor. „Eigentlich alles, was wir uns wünschen.“ Mahame verkauft einen Teil davon auf dem Markt. Doch wird es nur eine Gnadenfrist sein, die der Familie durch die Natur gewährt ist.Haoussa Tandina will nicht schon wieder über den Klimawandel reden: „Es ist Gottes Wille“, zuckt sie mit den Schultern. „Wir sind Wüstenmenschen und können uns anpassen. Wir mögen die Hitze, weiter im Süden haben sie Feuchtigkeit, Moskitos und Malaria.“ Die 35-jährige Haoussa muss allein für den Unterhalt ihrer Familie aufkommen. Ihr Mann Oumar „Jex“ verlor seinen Job als Concierge in einem Hotel, als statt der Touristen die Dschihadisten kamen. Das Paar hat fünf Kinder. Mit Hilfe der 17-jährigen Tochter Tata füllt Haoussa am einzigen Wasserhahn ihres Hauses kleine, durchsichtige Plastiktüten mit Wasser und knotet sie zu. Sie stellt Eis her, einer ihrer vielen Jobs neben dem Handel mit Stoff und Kleidern.Im Moment ist das Stadtzentrum rings um ihr Haus mit der wuchtigen Sandsteinterrasse sicher. Doch Haoussa ist überzeugt, die Tuareg-Rebellen seien weiter auf dem Sprung und warteten ab. Die Checkpoints, die zwischen sechs Uhr abends und sieben Uhr früh den dünnen Verkehr kontrollieren, seien wirkungslos.Als Haoussa im Juli mit Einkäufen aus Bamako zurückkehren wollte, wurde ihr Bus auf halbem Weg angehalten. „Es war ungefähr acht Uhr abends. Die Banditen versperrten die Straße mit einem Jeep. Alle mussten aussteigen, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen, die Hände auf den Rücken halten. Sie nahmen mir alles, meine Vorräte, mein Telefon, meinen Koffer und eine silberne Halskette, die ich mir gekauft hatte.“Eis und EukalyptusAls Rebellen die Stadt besetzt hielten – von April 2012 bis Januar 2013 –, war Haoussa in den Süden geflohen. „Zunächst hatte es den Anschein, diese Leute seien gar nicht so übel“, erinnert sie sich. „Sie sorgten für Recht und Ordnung. Sie haben einem mutmaßlichen Dieb die Hand abgehackt, den Alkohol verboten und durchgesetzt, dass die Einbahnstraßen respektiert wurden. Vieles veränderte sich, und wir hatten nichts dagegen. Wir hatten die Korruption und Vetternwirtschaft unserer Behörden einfach satt. Eines Tages kam einer mit seiner Waffe in unser Haus spaziert und behauptete, meine Tochter Tata sei nicht angemessen angezogen. Er versuchte, sie mit ins Gefängnis zu nehmen – wir wussten, dass die Mädchen dort ausgepeitscht wurden. Danach hatten wir keine andere Wahl, als in den Süden zu fliehen. Leider musste ich in jener Zeit viele Schulden machen.“Als der 19-jährige Verkäufer Sidi Maiga vorbeikommt, um Eis abzuholen, erzählt er, erst vor Tagen sei die Straße zum Airport mit Haubitzen beschossen worden. „Sie wollen den Franzosen Angst machen, und sie wollen Timbuktu immer noch vom Rest des Landes abtrennen“, glaubt Haoussa. Wer sind diese Rebellen, überwiegend Al-Qaida-Leute? „Nicht nur, auch Tuareg von der MNLA, dem Mouvement National pour la Libération de l’Azawad, vielleicht auch AQIM-Leute, das ist die Al-Qaida im Islamischen Maghreb. Die verfolgen zwar nicht alle die gleichen Ziele, aber wenn es um Schmuggel geht, um Nahrungsmittel, Waffen, Menschen und Kokain, verstehen sich alle prächtig.“Die Tuareg sind einst so brutal vertrieben worden, dass man schon von ethnischer Säuberung sprechen musste. Etwa 130.000 flohen nach Niger, Burkina Faso und Mauretanien, weil sie fürchteten, von der malischen Armee getötet zu werden. Wen wundert’s, wenn sie zurückkehren? Und sich unversöhnlich geben?Die Straße zum Kanal mündet in eine kühle Eukalyptus-Allee, die vor zehn Jahren angepflanzt wurde, um das Vordringen der Wüste zu verlangsamen. Hinter den hoch aufgeschossenen Bäumen warten Reisfelder darauf, überflutet zu werden, sobald der Niger wieder steigt.Kokain und Zigaretten„Die Reisbauern“, erzählt Haoussa Tandina, „haben mit den Dschihadisten sympathisiert, denn die haben Dünger und Benzin verteilt, die die Regierungsbeamten für ihre Günstlinge zur Seite geschafft hatten.“ Noch sind die Märkte von Timbuktu ein wichtiger Umschlagplatz für den Handel mit dem Süden. An mehreren Ständen werden Salzblöcke verkauft – die Produkte eines früheren Klimawandels, als sich vor Millionen Jahren das Meer zurückzog. Daneben gibt es Decken, Matratzen, Teppiche und Gardinenstoffe, die aus Mauretanien geschmuggelt sind. Mehl, Milchpulver, Kekse und Nudeln aus Algerien werden zu unschlagbaren Preisen angeboten. Eine Packung Spaghetti kostet umgerechnet 45 Cent. Wer diese Parallelwirtschaft betreibt, sorgt dafür, dass die Bevölkerung nicht hungert.Ein 20-Liter-Fass Speiseöl aus dem UN-Welternährungsprogramm wird für 12.500 CFA-Francs (19 Euro) angeboten. „Darüber bin ich sehr unglücklich“, sagt der jugendlich wirkende Maouloud „Bouna“ Sidi Mohamed, der einer Familiendynastie arabischer Händler entstammt. „Wenn sie Hilfsprodukte verkaufen, unterbieten die Händler das Öl, das wir aus Mauretanien beziehen. Wegen meiner Fixkosten kann ich diese Ware nicht unter 13.500 CFA-Francs abgeben. Nur, wer nimmt sie dann?“ Maouloud schickt Zehntonner auf die Tour zwischen Algerien, Mauretanien und Timbuktu, um Stoffe, Diesel, Zigaretten und die begehrten algerischen Kühlschränke zu transportieren, die in Timbuktu für gut 250 Euro Abnehmer finden. Gefahren wird nachts, wenn der Sand hart ist und die Fahrer sich an den Sternen orientieren können. Aufgetankt werden die Trucks an Depots, die entlang der Strecke unter der Erde liegen. Die Tour in den Süden Algeriens dauert sechs Tage und gilt als einfache Strecke. Verirren möchte sich in der Wüste niemand. Placeholder authorbio-1Übersetzung: Zilla Hofman / Holger Hutt
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