Wenn Kapitalismus auf Politikversagen trifft

Klimakrise Waldbrände hat es in Griechenland schon immer gegeben. Dass sie zuletzt so katastrophale Ausmaße angenommen haben, hat auch mit der Austeritätspolitik der EU zu tun
Die Klimakrise trifft auf ein kaputtgespartes Land – und hinterlässt Tragödien
Die Klimakrise trifft auf ein kaputtgespartes Land – und hinterlässt Tragödien

Foto: Angelos Tzotzinis/AFP via Getty Images

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten Griechenlands ländliche Regionen zwei lähmende Bevölkerungsbewegungen – erst eine Abwanderung seiner Dorfbewohner:innen, dann eine eigenartige Invasion an ihren Randgebieten. Diese beiden Wellen, unterstützt durch einen schwachen Staat und verstärkt durch die Klimakrise, haben das an und für sich überschaubare Drama der natürlich vorkommenden Waldbrände in die erschütternde Katastrophe dieses Sommers verwandelt. Nach beispiellos langen Hitzewellen haben die Waldbrände in den Sommermonaten bisher mehr als 100.000 Hektar alter Pinienwälder zerstört. Sie verkohlten weite Teile der Region Attika, verbrannten Teile des antiken Olympia und vernichteten die großartigen Wälder im Norden der Insel Euböa. Dort verlor die Landbevölkerung ihre Häuser, ganz zu schweigen von ihrer Lebensgrundlage und ihrer Landschaft.

Um zu verstehen, warum das passiert, muss man sich die Geschichte urbaner und ländlicher Entwicklung in Griechenland vor Augen halten. Krieg und Armut lösten Ende der 1940er eine massenhafte Landflucht aus. Dorfbewohner, die nicht in Länder wie Deutschland, Kanada oder Australien migrierten, strömten in die Hauptstadt Athen. Kombiniert mit mangelnder Stadtplanung verwandelte diese Zuwanderungswelle den Großraum Athen schnell in einen Beton-Dschungel. In den 1960er und 1970ern dann träumten die gleichen Menschen von einer teilweisen Rückkehr aufs Land, von einem Sommerhaus im Schatten einiger Pinien, in der Nähe von Athen und möglichst in der Nähe des Meeres. Zu diesen kleinbürgerlichen einfachen Häusern, die in den 1980ern über ganz Attika verstreut entstanden, kamen Mitte der 1990er die Mittelschichtsvorstädte hinzu. Nach und nach eroberten Villen und Einkaufszentren die bewaldeten Gebiete, die an Athen grenzen. Das Tempo, mit dem das geschah, spiegelt das Wirtschaftswachstum wider, das mit von den EU-Banken geliehenen oder aus EU-Strukturfonds stammenden Geldern angekurbelt wurde.

Es ist, als hätten wir Ärger gesucht. Feuer ist ein natürlicher Verbündeter der mediterranen Pinienwälder. Es hilft, den Waldboden von alten Bäumen zu befreien, damit die jüngeren Bäume gedeihen können. Früher holten die Landbwohner:innen täglich Holz aus dem Wald und legten im Frühjahr taktische Brände. Dadurch verhinderten sie ein blindes Wüten der Waldbrände. Leider zwangen die Umstände die Dorfbewohner nicht nur dazu, die Wälder zu verlassen: Als sie und ihre Nachkommen schließlich als vereinzelte Städter zurückkehrten, um ihre Sommerhäuser in den verwilderten Wäldern zu bauen, fehlten aber das traditionelle Gemeinschaftswissen und die dazugehörigen Praktiken.

Spiegel des maroden Kapitalismus

Europas bekannte Nord-Süd-Wirtschaftsgefälle hat sein Gegenstück in Griechenlands Wäldern. In Ländern wie Schweden oder Deutschland wurden die Wälder intensiv kommerziell genutzt. Das bedeutete zwar den Niedergang uralter Wälder, die durch karge Plantagen, Ackerland oder Weideflächen ersetzt wurden, aber wenigstens wurde das Land nicht so sehr sich selbst überlassen wie in Griechenland. In gewisser Weise spiegeln der traurige Zustand der griechischen ländlichen Gebiete, die schnelle und ungeregelte Urbanisierung sowie unser schwacher und korrupter Staat den maroden Kapitalismus im Land.

Die griechischen Regierungen waren sich der fehlenden Nachhaltigkeit unseres Landnutzungsmodels bewusst, seit die Waldbrände in den 1970ern begannen, sich an uns zu rächen. Tief drinnen wussten die Regierungen: Wir hatten kollektiv die Natur verletzt und jetzt forderte die Natur ihren lang andauernden Tribut. Aber sie waren überzeugt, dass ihre Wiederwahlchancen ruiniert wären, wenn sie es wagten, die Wähler:innen aufzufordern, den Traum von einer Hütte im Wald und die Suburbanisierung der Wälder aufzugeben. Daher wählten die Regierungen den einfachen Weg: Sie gaben warmen Winden, bösartigen Brandstiftern, Unglück und sogar dem ein oder anderen türkischen Saboteur die Schuld.

Die kollektive Verantwortung war das erste Opfer eines jeden Flammeninfernos. Am 23. Juli 2018 verbrannte in der nördlich von Athen am Meer gelegenen Siedlung Mati ein schrecklicher Feuerball innerhalb von Minuten 103 Menschen – darunter ein Freund von mir. Die Ursache war offensichtlich für jeden, der bereit war, einen neutralen Blick darauf zu werfen, wie die dichte Siedlung in einen alternden Pinienwald hineingebaut war – mit engen Straßen, die keine realistische Chance für ein Entkommen vor einem unvermeidlichen irgendwann kommenden Feuer boten.

Weder die Regierung noch die Opposition wagten das Offensichtliche zuzugeben: dass es nie hätte erlaubt werden dürfen, diese Siedlung zu bauen. Stattdessen schrien sie sich ohne Ende gegenseitig an und schoben sich auf eine Weise gegenseitig die Schuld in die Schuhe, die weder Opfer, die Gesellschaft noch die Natur nicht respektierte.

Selbst als Regierungen versuchten, ihre Praktiken zu modernisieren, machten sie die Dinge nur noch schlimmer. Im Zuge der Professionalisierung der Brandbekämpfung wurde 1998 die (bis dahin von der Forstbehörde geleitete) Einheit für Buschbrandbekämpfung aufgelöst und in die Feuerwehr eingegliedert. Aber die Einsparungen hatten ihren Preis, nämlich das Ende der großangelegten Waldaufräumarbeiten, die die Buschfeuerwehr jeden Winter und jeden Frühling unternommen hatte.

Dem natürlichen Instinkt städtischer Bürokratie folgend, Hightech-Lösungen vorzuziehen und auf traditionelle Praktiken herabzuschauen, zog sich die zusammengelegte Feuerbrigade praktisch aus den Wäldern zurück. Sie konzentrierte sich stattdessen darauf, Brandmauern um bebaute Gebiete zu errichten, während sie die Brände im Wald aus der Luft bekämpfte – mit Flugzeugen, die in der Mehrzahl der Fälle wegen schlechter Flugbedingen nicht eingesetzt werden können.

Tausende Feuerwehrleute wurden entlassen

Anfang 2010 dann kam der unerklärte Bankrott des griechischen Staates. Bald darauf trafen Dutzende von EU- und IWF-Beamten – die berüchtigte Troika – in Athen ein, um die härteste Sparpolitik der Welt durchzusetzen. Alle Haushalte wurden rücksichtslos zusammengestrichen, auch die für den Schutz von Bürgern und Natur. Tausende von Ärzten, Krankenschwestern und, ja, Feuerwehrleuten wurden entlassen. Im Jahr 2011 wurde das Gesamtbudget der Feuerwehr um 20 Prozent gekürzt.

Im Frühjahr 2015 erklärte mir ein leitender Feuerwehroffizier, dass mindestens weitere 5.000 Feuerwehrleute gebraucht würden, um im kommenden Sommer grundlegende Sicherheit zu gewährleisten. Als Griechenlands damaliger Finanzminister entwickelte ich Pläne, um Geld aus anderen Teilen des Haushalts abzuzweigen, um eine überschaubare Zahl an Feuerwehrleuten und Ärzten wieder einzustellen (insgesamt 2.000). Als die Troika davon erfuhr, verurteilte sie mich sofort für einen angeblichen „Rückzieher“ und warnte deutlich, dass, würde ich darauf bestehen, die Verhandlungen in der Eurogruppe beendet würden: in Kurzform die Ankündigung der Schließung der griechischen Banken.

Das Einzige, was sich seither wirklich verändert hat, war der stetige Anstieg der Temperaturen wegen der sich beschleunigenden Klimakrise. Der Feuersturm dieses Sommers war vollständig vorhersehbar – genau wie die Unfähigkeit unseres Staates, effektiv mit ihr umzugehen. Und die EU? Schickte sie Dutzende Mitarbeiter:innen, um die Lage vor Ort zu mikromanagen, wie sie es bei der Verhängung der Sparpolitik tat? Im Gegensatz zur Unterstützung, die Griechenland von einzelnen europäischen Regierungen erhielt, darunter auch Post-Brexit-Großbritannien, glänzten die EU-Institutionen durch Abwesenheit.

Die erschreckende Frage ist: Was kommt als Nächstes? Das Gespenst einer neuen Bedrohung der griechischen Wälder hängt über dem Land. Die aktuelle rechtspopulistische Regierung will die Wiederaufforstung an private multinationale Subunternehmen vergeben. Auf der Jagd nach einem schnellen Geschäft gehen sie mit rasch wachsenden, gentechnisch veränderten Bäumen hausieren, die im Mittelmeerraum nichts zu suchen haben und unserer Flora, Fauna und traditionellen Landschaft schaden. Im Gegensatz zu den schrecklichen Folgen des Staatsbankrotts für unsere Bevölkerung, die wir in Zukunft hoffentlich umkehren können, wird dieser Angriff auf unsere heimischen Wälder nicht mehr rückgängig zu machen sein.

Yanis Varoufakis ist Mitbegründer von DiEM25 (Bewegung Demokratie in Europa) und ehemaliger Finanzminister von Griechenland. Zuetzt ist von ihm das Buch Das Euro-Paradox: Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann erschienen

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Geschrieben von

Yanis Varoufakis | The Guardian

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