Wenn Mütter zu perfekt sind

Emanzipation Frankreich gilt als ein Land, in dem Frauen Kinder und Beruf besonders gut miteinander vereinbaren können. Nun warnt die Philosophin Elisabeth Badinter vor einem Rollback

Für viele sind sie die Superfrauen Europas: Die französischen Mütter, die mit müheloser Coolness Job und Baby unter einen Hut bringen und dazu beitragen, dass Frankreich auf dem ergrauenden Kontinent als Leitstern der Fruchtbarkeit erstrahlt. Doch glaubt man einer der führenden Feministinnen des Landes, dann wird dieses französische Ideal nun in nie dagewesener Weise von einem gefährlichen neuen Denkmodell bedroht, das darauf abzielt, die Frauen am Herd zu halten und zu Sklaven ihrer Kinder zu machen.

Die 65-jährige Autorin und Philosophin Elisabeth Badinter erklärte vergangene Woche, Frankreich befinde sich hinsichtlich der Einstellung zur Emanzipation der Frau
an einem Wendepunkt. Eine neue Koalition aus Ökologen, Verhaltenforschern und Befürwortern des Stillens setze junge Frauen zunehmend unter Druck. Die Frauen bekämen das Gefühl, sie müssten perfekte Mütter sein und bestimmte Regeln strikt befolgen, um richtig für ihre Babys zu sorgen. Sollte diese rückschrittliche Bewegung um sich greifen, so Badinter, dann könnte das den französischen Feminismus um Jahrzehnte zurückwerfen.

Widerstand gegen das Perfekte-Mutter-Modell

„Der Mehrheit der französischen Frauen gelingt es, Mutterschaft und Berufsleben miteinander zu vereinbaren. Viele Mütter arbeiten Vollzeit. Sie widersetzen sich dem Modell von der perfekten Mutter – aber wie lange noch?“, fragte Badinter in einem Interview mit der linksliberalen Tageszeitung Libération.

Es sind solche Ansichten, die in ihrem aktuellen Werk Le Conflit, la Femme et la Mère genauer ausgeführt werden, mit denen sich Elisabeth Badinter in den brodelnden Kessel der zeitgenössischen feministischen Lehre in Frankreich stürzt. Von ihren Kritikern, die ihr vorwerfen, sie habe den Bezug zu der neuen Generation, die sie retten möchte, verloren, lässt sie sich nicht beirren.

Badinter sagt, die neue Vorstellung von der "idealen Muter", die sechs Monate lang stillt, keine Eile hat, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, bei der Geburt auf Schmerzmittel verzichtet, Einwegwindeln ablehnt und ihr Baby ab und zu bei sich im Bett schlafen lässt, stelle an jede Frau, die neben dem Muttersein ein eigenes Leben führen wolle, unerfüllbare Forderungen: "Die 'gute Mutterschaft' bürdet den Frauen, die diesem Ideal nicht entsprechen, neue Schulgefühle auf. Sie widerspricht dem Modell, an dem wir bislang gearbeitet haben, macht die Gleichberechtigung der Geschlechter unmöglich und die Freiheit der Frauen belanglos. Sie ist ein Schritt zurück", so Badinter.

Was ist falsch an Bio-Brokkoli?

Cecilé Duflot, 35 Jahre alt, Mutter von vier Kindern und Vorsitzende der grünen Partei, ist erzürnt über die Idee, dass sie eine rückschrittliche Frau sein soll, weil sie ihren Kindern Bio-Brokkoli zu essen gibt und Windeln wäscht. „Badinter liegt völlig falsch ... Die Beispiele, die sie anführt, gehen komplett am Thema vorbei“, erklärte Duflot in einem Radiointerview.

Sabine Salmon, die Vorsitzende der feministischen Vereinigung Femmes Solidaires, schlug sich hingegen auf Badinters Seite. Ihre Angestellten hätten in den vergangenen zwei Jahren bei Schulbesuchen festgestellt, dass immer mehr französische Schülerinnen den Wunsch äußerten, später zuhause zu bleiben. „Das ist ein deutlicher und besorgniserregender Hinweis“, sagt Salmon.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Frauen in Frankreich immer wieder dazu ermuntert, die Mutterschaft nicht als ihren einzigen Lebensinhalt zu betrachten. Trotzdem liegt die Geburtenrate dort mit 2,0 Kindern pro Frau höher als in Großbritannien (1,8) und Deutschland (1,4).

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Lizzy Davies | The Guardian

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