Pakistan Die Kämpfe zwischen Armee und Taliban in der Nordwestregion haben Hunderttausende in die Flucht getrieben. Viele retten sich zu Verwandten, doch die Lage spitzt sich zu
Zwei Autostunden vom Stadtkern Islamabads mit seinen begrünten Alleen, gepflegten Parks und gehobenen Restaurants entfernt markiert eine zerklüftete Bergkette in der Nordwest-Grenzprovinz die Front zwischen Pakistans Armee und den Taliban. Unterhalb dieses Höhenzuges ergießt sich eine Flut von Flüchtlingen aus der immer wieder von Artillerieeinschlägen aufgeschreckten Buner-Region. Fast jeder, der ein Refugium sucht, ist ein Kronzeuge für Blutvergießen und Zerstörung, Angst und Vertreibung. Viele sind empört über die pakistanischen Soldaten, die Häuser und Straßen beschießen, die Zivilisten umbringen, die einfach keine Rücksicht kennen. „Nachts wurden wir von schwerer Artillerie beschossen, tagsüber aus H
s Hubschraubern“, erzählt der Bauer Mohammed Saleh und gestikuliert dabei wild mit den Armen. Er sei aus dem Dorf Nawgali geflohen, denn dort gerate man ständig ins Kreuzfeuer. Wie zum Beweis zeigt er instinktiv auf einen Jungen mit bandagiertem Arm. Der Ärmste sei durch Granaten der Armee verwundet worden. „Sie sollten wenigstens leichtere Waffen verwenden. Aber sie schießen lieber mit Kanonen auf Spatzen.“Islamabad außer GefahrAuf der Flucht ist auch der 30-jährige Lehrer Abdul Aziz, der Direktor einer Oberschule in Nawagai. Man habe von einem Helikopter aus auf sein Auto geschossen, als er sich gerade auf dem Heimweg befand. „Ich hatte drei Leute mit im Wagen – alle überlebten sie diesen Angriff nicht. Im Fernsehen hieß es später, wir seien Opfer eines Selbstmordattentäters geworden, als hätte es den Hubschrauber nicht gegeben. Warum geben sie jetzt nicht einmal die Leichname frei?“Andere Flüchtlinge stellen sich trotz des hohen Blutzolls hinter die Regierung. Der 22-jährige Zakir, der in einem Computer-Geschäft in Swari arbeitet, meint, sein Dorf leide jetzt zwar unter ständig knapper werdenden Lebensmitteln und der 24-stündigen Ausgangssperre. Aber das Leben unter den Taliban sei schlimmer gewesen. Nachdem sie vor einem Monat den Ort unter ihre Kontrolle gebracht hätten, raubten sie zwei Banken aus, schlossen einen Friseur-Salon, verboten das Abspielen von Musik und zwangen die Leute, ihre Satelliten-Schüsseln unbrauchbar zu machen. Da ab sofort die Scharia gelten sollte, wurde damit gedroht, einen Mann öffentlich auszupeitschen, dem sie vorwarfen, er habe sich einem anderen Mann in sexueller Absicht genähert. Dabei wisse man doch, der Islam sei nicht nur gegen Gewalt, er verbiete sie, ist Zakir überzeugt.Die Provinzregierung schätzt, dass man wegen der Kämpfe mit 500.000 Flüchtlingen aus dem Swat-Tal rechnen müsse. Zählt man die 550.000 dazu, die während der vergangenen zwei Jahre bereits aus den Stammesregionen an der Grenze vertrieben wurden, erlebt das Gebiet einen Exodus, wie man ihn ansonsten nur aus dem sudanesischen Darfur kenne.Viele der Flüchtlinge werden in der Stadt Buner von al-Khidmat willkommen geheißen, der Wohltätigkeitsorganisation von Jamaat-e-Islami (JI), der größten religiösen Partei des Landes. Die Ankömmlinge werden nicht nur mit Lebensmitteln und Getränken versorgt, auch mit islamisch gefärbten Lageberichten. „Man hätte diese Operation nie beginnen, stattdessen auf Verhandlungen vertrauen sollen“, sagt Ghuluam Mustafa, Jamaat-e-Islami-Mitglied und Vize-Parteichef im Bezirk Buner.Weiter nördlich entlang der Grenze zu Afghanistan, am Rande des Kampfgebietes, gibt es keine Flüchtlinge. In Rustum allerdings, wo die Armee schwere Artillerie in Stellung gebracht hat, um die Linien der Taliban entlang des Ambela-Passes zu beschießen, gibt es heftige Gefechte und für die hier lebenden Menschen die Erfahrung, wie schnell man zwischen den Fronten klemmen kann.Rustum scheint ein toter, ausgestorbener Ort zu sein, die Straßen leer, die meisten Geschäfte verschlossen. Allein die Tür des Uhrmachers Muhammad Javed steht offen. Der von einem nahe gelegenen Feld herüber dringende Gefechtslärm lasse ihn nachts nicht schlafen, klagt er. Das schreckliche Regierungssystem in diesem Land sei an allem schuld. Sein Nachbar, der Lehrer Khalid Khan, glaubt, mit den Kämpfen entscheide sich Pakistans Zukunft. Die Befürchtungen der Amerikaner, die Taliban könnten im viel weiter südlich gelegenen Islamabad schon bald die Macht übernehmen, hält er für völlig absurd. „Die Vorstellung, demnächst werde eine organisierte Armee auf die Hauptstadt vorrücken, ist schlicht und ergreifend falsch.“Auf Dauer nicht zu ertragenDie Zunahme der vorübergehend heimatlos Gewordenen bedeutet nicht notwendigerweise ausufernde Flüchtlingscamps, wie man sie aus afrikanischen Krisenzonen kennt. Die für ihre Gastfreundschaft bekannten Paschtunen haben die Last des Zustroms bislang willig getragen. Etwa 90.000 Menschen müssen in Lagern aushalten, die übrigen haben sich ihrer Familien besonnen und leben überwiegend bei Verwandten. Von den 145.000 Flüchtlingen nach ähnlichen Kämpfen im vergangenen Jahr mussten letzten Endes nur 45 Familien in Zelten unterkommen. „Diese Leute sind für uns keine Flüchtlinge, das sind unsere Cousins. Deshalb gab es hier bislang auch keine große humanitäre Krise“, sagt Javed Hassan, stellvertretender Bezirksvorsteher von Mardan. Doch das schiere Ausmaß der jetzigen Flüchtlingsströme dürfte selbst erprobte Bande der Gastfreundschaft strapazieren. Bislang haben sich 3.000 Menschen aus Swat, Dir und Buner in Lagern registrieren lassen, die Zahlen steigen schnell, Stunde um Stunde.Auch Dilawar Khan gehört nunmehr dazu, er arbeitete in einem Museum im Swat-Tal, an dessen Pforte die Taliban vor einem Jahr eine Bombe zündeten. „Sie müssten das tun, erklärten sie mir, denn die in unserem Haus gezeigten Kunstwerke seien unislamisch“, erinnert er sich. Nach diesem Anschlag wurden die buddhistischen Artefakte ausnahmslos nach Islamabad gebracht. Khan lebt seitdem mit 45 anderen in einem Haus mit vier Zimmern. Auf Dauer sei das nicht zu ertragen, jetzt habe er sich deswegen um einen Platz in einem Lager beworben. „Es ist nicht mehr schön hier. Lange können wir so nicht mehr leben in diesem Land.“
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