Wenn ich Ihnen sage, dass Leute wie Model und Sängerin Katie Price ihre Bücher womöglich gar nicht selbst schreiben, ist das nichts Neues. Von Akademikern würde ich schon etwas mehr erwarten, doch nun hat die Justiz erneut einen Stapel an Dokumenten ans Licht befördert, die uns neue Einblicke in das merkwürdige Phänomen des medizinischen Ghostwriting eröffnen.
Wenn sich jemand helfen lässt und dies dann auch vermerkt, ist das die eine Sache. Hier liegt der Fall allerdings anders. Ein kommerzielles Unternehmen für die Abfassung medizinischer Texte wird von einem Pharmaunternehmen damit beauftragt, Texte für die Publikation in medizinischen Fachzeitschriften zu verfassen, um auf diese Weise eine Marke aufzubauen. Nachdem Werbetexter in Zusammenarbeit mit dem Pharmaunternehmen die Artikel geschrieben haben, findet das Ghostwriting-Unternehmen Akademiker, die dazu bereit sind, ihre Namen unter die Texte zu setzen, nachdem sie vielleicht noch die ein- oder andere Kleinigkeit geändert haben.
Die jüngsten Dokumente stammen von einem Prozess, der von ungefähr 14.000 Patientinnen gegen den Pharmahersteller Wyeth angestrengt wurde. Bei ihnen entwickelte sich während der Einnahme der Hormontherapie Blutkrebs. Das Open-Access-Magazin PLoS Medicine, das mit der New York Times zusammenarbeitete, setzte vor Gericht durch, dass die 1.500 Dokumente, die im einzelnen über das Ghostwriting Auskunft geben, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, weil sie Informationen über eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Gesundheit enthalten. PLoS hat nun die ersten wissenschaftlichen Analysen dieser Dokumente frei zugänglich ins Internet gestellt.
Die Hormontherapie hat eine steinige Geschichte. Zunächst als Allheilmittel gehandelt, zeigte 1998 die HERS-Studie, dass sie die Herzkranzgefäße schädigen kann. Im Jahr 2002 wies die Women’s Health Initiative schließlich nach, dass die Therapie das Risiko für Brustkrebs und Herzinfarkte erhöht. Wie wir inzwischen wissen, erhöht sie auch das Risiko für Demenz und Inkontinenz erhöht.
Umfragen zeigen, dass viele Gynäkologen die Wirksamkeit der Hormontherapie selbst heute noch überbewerten.
Und wenn man liest, wie die Literatur manipuliert wurde, wundert einen dies nicht mehr.
Fachliteratur als Marketinginstrument
Die Pharma-Kommunikationsagentur DesignWrite prahlt damit, sie habe in den vergangenen zwölf Jahren „hunderte von beratenden Gremien, tausend Abstracts und Poster, 500 klinische Paper, über 100.000 Programme für Sprecherbüros, mehr als 200 Satelliten-Symposien, 60 internationale Programme, Dutzende Internetseiten und eine breite Palette gedruckter oder elektronischer Hilfsmittel geplant, erstellt oder gemanagt“. Sie schlug Wyeth ein „geplantes Publikationsprogramm“ aus in Magazinen veröffentlichten Artikeln, Fallstudien, Briefen, Editorials, Kommentaren und einigem mehr vor, bei dem die medizinische Literatur als Marketing-Instrument genutzt werden sollte.
DesignWrite verfasste die ersten Entwürfe und schickte sie zu Wyeth, die bei der Erstellung einer zweiten Fassung ihre Anweisungen gaben. Erst dann wurde das Paper dem Wissenschaftler zugesandt, der als „Autor“ fungieren sollte. Die Wissenschaftler erhielten zwar kein Geld für ihre Dienste, man half ihnen aber dabei, den Text in einem wissenschaftlichen Journal unterzubringen, was Forscher für ihren Lebenslauf ziemlich gut gebrauchen können. Und war der Publikationsprozess erst einmal im Gange, sorgte der Kollege aus der Marketing-Abteilung von Wyeth für Kommentare und stand den vermeintlichen Autoren mit guten Ratschlägen zur Seite, wie sie auf die Kommentare von Kollegen reagieren sollten.
Die PLoS-Dokumente zeigen, dass DesignWrite Wyeth über 50 von Fachleuten überprüfte Magazin-Artikel für die HRT und die gleiche Zahl an Konferenzpostern, Dia-Präsentationen, Symposien und Magazin-Beilagen verkauft hat. Adriane Fugh-Berman vom Physiologischen Institut am Georgetown University Medical Center in Washington D.C., analysierte die Dokumente und fand heraus, dass sie nicht bewiesene und unverbriefte Vorteile von Wyeths HRT-Medikament behaupteten, Konkurrenten diskreditierten und schädliche Nebenwirkungen herunterspielten.
Komplizienschaft der Forscher
Es gibt keine Regeln, die dies verhindern könnten. Es gibt Traditionen, Vertrauen und durchlässige Bestimmungen. So ist es zum Beispiel illegal, ein Medikament für den zweckentfremdeten Einsatz zu empfehlen, das heißt, es zum Zwecke einer Behandlung zu verkaufen, für die es gar nicht zugelassen ist. So dürfte Wyeths HRT-Medikament zum Beispiel nicht als Schutz vor Alzheimer, Parkinson oder Falten angepriesen werden. Fugh-Bermans Analyse ergab aber, dass viele Artikel das Medikament exakt gegen diese Krankheiten empfohlen. Da aber Publikationen in Wissenschaftsjournalen nicht als Werbetätigkeit angesehen werden, war die Sache legal.
Das Schlimmste ist die Komplizenschaft der Wissenschaftler. Sie konnten sich unmöglich einreden, dass das, was sie taten, in Ordnung sei. „Untersuchungen zeigen, dass viele Ärzte Artikeln in Fachmagazinen in Hinblick auf die Produktinformationen vertrauen“, heißt es bei DesignWrite. Und sie haben recht: Wenn man ein wissenschaftliches Paper liest, vertraut man darauf, dass es von demjenigen geschrieben wurde, mit dessen Namen es versehen ist.
Das Problem könnte leicht aus der Welt geschafft werden: Wenn ein bezahlter Schreiber im Auftrag eines Pharmaunternehmens ein Paper schreibt, sollten sein und der Name des Unternehmens auf dem Paper stehen. Wenn diejenigen, die auf einem Paper als Autoren aufgeführt werden, es nicht selbst verfasst oder angeleitet haben, sollten sie dies zugeben. Universitäten könnten mit gutem Beispiel vorangehen, tun dies aber nicht. Diese Probleme werden also weiter bestehen, weil sie kompliziert sind und vor der Überwachung durch die Öffentlichkeit verborgen sind. Darum sollte man in PLoS über sie lesen, sich am Kinn kratzen und sich wundern. Niemand von denen, die etwas dagegen unternehmen könnten, interessiert sich dafür. Unsere einzige Hoffnung ruht auf der Macht der Schande.
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