Wertanlage Wahlplakat

Geschichtslektion Politische Souvenirs sind mehr als eine Geschichtslektion: Jahrzehnte, nachdem sie als Wahlhelfer fungierten, kann man sie im Internet ersteigern

Kann eine politische Karikatur eine Wahl beeinflussen? Am 5. Juli 1945 wurde die Wahltagsausgabe des Daily Mirror mit einer Zeichnung von Philip Zec, dem großartigsten und umstrittensten Karikaturisten des Zweiten Weltkrieges zum Wahlplakat für die Labour-Partei. Die damals 4,5 Millionen Leser des Mirror wurden nicht direkt dazu aufgefordert, Labour zu wählen, aber die Botschaft war dennoch eindeutig: Die Tagline „Here you are, don`t lose it again“ war eine klare Erinnerung an das Versprechen des konservativen Premierministers David Lloyd George, ein Land aufbauen zu wollen, das sich seiner aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrenden Helden würdig erweisen sollte, dann aber im Chaos unterzugehen drohte. Heute befindet sich eine Ausgabe der Zeitung im Besitz von Tim Benson, dem Gründer der Political Cartoon Society. „Nach Ansicht des späteren Mirror-Redakteurs Hugh Cudlipp brachte dieser Cartoon Labour den Wahlsieg.“

Die „Supermac“-Cartoons, die Victor Weisz alias Vicky im Evening Standard veröffentlichte, hatten hingegen den genau entgegengesetzen Effekt. In der Absicht verfasst, den konservativen Premier Harold Macmillan als Comic-Helden zu parodieren, verstand es dieser, die Zeichnungen zu seinem Vorteil zu nutzen und sich ein modernes und wirtschaftlich kompetentes Image zu verpassen, das ihm dabei half, 1959 haushoch gegen den Labour-Kandidaten Hugh Gaitskell zu gewinnen.

Unterbewertete Kunstform

Aber trotz ihres Einflusses und ihrer Beliebtheit erzielen politische Cartoons erstaunlicherweise nur sehr geringe Preise. Benson ersteigerte den Zec 2004 bei einer Auktion für 5.000 Pfund Sterling – ihm zufolge der Rekord für politische Karikaturen. „Diese Kunstform ist enorm unterbewertet. Stellen Sie sich vor, wieviel ein Damien Hirst kosten würde. Karikaturen haben ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. Man bekommt selbst die besten zu erschwinglichen Preisen.“
Seine Internetseite Political Cartoon Society behauptet von sich, die größte Online-Galerie für Originale zu sein, auch wenn in ihr nicht viele „pocket cartoonists“ wie Matt vom Daily Telegraph zu finden sind. Wenn Sie Steve Bell vom Guardian mögen, bekommen Sie hier einige seiner Originale für 850 Pfund Sterling. Garlands erste Karikatur Margaret Thatchers von 1975 ist für 475 Pfund zu haben, einige Arbeiten von Brookes aus der Times für 765 Pfund. Die meisten Cartoonisten haben inzwischen Internetseiten, wie Steve Bells Belltoons, wo man mehrfarbige Cartoons für 850 Pfund kaufen kann.

„Labour isn`t working“, der berüchtigte Slogan der Saatchi-Brüder für die Wahlen 1979 wurde nicht nur mit dem Sturz James Callaghans belohnt, sondern auch zur besten Plakat-Werbung des Jahrhunderts gewählt. Aber anders als in den USA, wo selbst Plakate mit recht hohen Auflagen wie das mit Obamas Hope-Motiv sich für 3.000 Dollar und mehr verkaufen, gibt es in Großbritannien nur einen sehr kleinen Markt für politische Plakate.
Wenn man danach geht, was in Poster-Shops und auf Ebay zum Kauf angeboten wird, schmücken wir unsere eigenen vier Wände am liebsten mit Bildern, auf denen Eisenbahnen aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu sehen sind und für Urlaub in Cornwall geworben wird. „Keep Calm and Carry On“ ist da schon in etwa das Ideologischste, was wir Briten uns an die Wand hängen.

Sammlungen von Wahlplakaten befinden sich fast ausnahmslos in öffentlichen Archiven – die der Labour-Partei im People`s History Museum in Manchester, das erst für 12,5 Millionen Pfund renoviert wurde, die der Konservativen werden in der Bodleian Library in Oxford aufbewahrt. Einmal im Jahr wird laut Museumsdirektor Nick Mansfield das Archivmaterial von vor zehn Jahren aus der Labour-Zentrale ins People’s History Museum überführt. „Es kommt auch immer wieder vor, dass die Leute ein paar Plakate auf dem Dachboden finden und sie zu uns bringen.“ Auch die Gewerkschaften schicken Material. Das Museum verfügt über ein sehr großes Archiv an Vorkriegspostern von Konservativen und Liberalen, die bemerkenswerter Weise von der Kommunistischen Partei in seinen Besitz gelangten. Auch die Donkeyjacke des jüngst verstorbenen Labour-Urgensteins Michael Foot kann hier bewundert werden. „Die Leute sind immer überrascht, wenn sie das Harrods-Label sehen“, sagt Mansfield.

Aufgesetzte Volkstümlichkeit

Die Plakate offenbaren, dass die Konzentration auf eine politische Führungsfigur, die so oft als US-Import bezeichnet wird, bis auf die Geburt der politischen Bildersprache im Vereinigten Königreich zurückreicht. Harold Wilson zeigt sich als Meister der aufgesetzten Volkstümlichkeit. Auf einem Plakat von 1966 ist er mit einer Pfeife in der Hand und dem Slogan „By golly, he does you good“ abgebildet – eine Anspielung auf eine Fernsehwerbung für das Bier Mackeson-Stout.

Private Sammler von Wahlplakaten oder anderen Polit-Souvenirs sind oft Politiker oder Gewerkschaftsführer. Laut Mansfield dürfte Lord Kenneth Baker die bedeutendste Sammlung von Plakaten der Konservativen haben und auch Clive Jenkins habe in seiner Zeit als Gewerkschaftsführer in den 1970ern und 80ern eine große Sammlung zusammengetragen. Sein Name steht für den Versuch, mit Hilfe von Plakatwänden die Mittelschichten zu erreichen.

Es sei nahezu unmöglich, politische Originalplakate zu finden und zu kaufen, sagt Chris Burgess, der im Auftrag der Universität von Nottingham und dem People’s History Museum die Geschichte des Wahlplakats erforscht. „Ich habe noch nie gesehen, dass jemand eines zum Kauf angeboten hätte.“

„Ich denke, ich habe die weltweit größte Sammlung an Saddam-Hussein-Uhren“, sagt Photograph Martin Parr, dessen Kuriositäten-Kabinett eine Faszination für diejenigen Figuren der jüngeren politischen Geschichte offenbart, die gleichzeitig gefürchtet und vergöttert werden. Es begann 1983, als er eine Anzeige für Margaret-Thatcher-Fanartikel sah. „Ich mochte Margaret Thatcher und ihre Politik nicht, aber ich wusste, dass sie Kult-Status erlangen würde, also holte ich einmal tief Luft und stellte einen Scheck an die Konservative Partei aus“, sagte er 2008. Seine neueste Errungenschaft ist ein T-Shirt mit dem Konterfei Robert Mugabes und dem Schriftzug der Afrikanischen Nationalunion Simbabwes. Er gesteht, er habe eine Schwäche dafür, im Internet einzukaufen. „Ich sehe viele Margaret-Thatcher-Sachen auf Ebay, aber das meiste davon habe ich bereits. Vor drei oder vier Jahren gab es jede Menge Saddam-Uhren, heute sind sie recht selten geworden und die Preise sind entsprechend gestiegen.“

Für ihn ist auch die Photographie eine Art des Sammelns, in den Souvenirs sieht er Symbole der jeweiligen Periode. Der Großteil seiner Sammlung war im vergangenen Jahr im Rahmen der Parrworld-Ausstellung in der Baltic Gallery in Gateshead zu sehen. Die anstehenden britischen Parlamentswahlen reizen ihn nicht. „Bestimmt gibt es da draußen irgendwo eine Gordon-Brown-Tasse oder etwas ähnliches, aber das interessiert mich nicht. Leute wie Brown oder Cameron sammle ich nicht, ich habe noch nicht einmal einen Tony Blair. Die haben einfach nicht die gleiche Strahlkraft wie Thatcher.“ Zu der Parrworld-Ausstellung gehörte auch seine Sammlung zum Streik der britischen Bergarbeiter der Jahre 1983/84 und er bedauert, dass er bei der Kampagne gegen den Irakkrieg nichts gesammelt hat.

In den USA existiert eine regelrechte kleine Industrie aus Händlern, Sammlern, Internetseiten und selbst landesweite Messen für Wahlkampf-Andenken, auf denen alte Autoaufkleber, politische Abzeichen, Einladungen zur Amtseinführung und Weihnachtskarten der Präsidenten Spitzenpreise erzielen. Eine Karte Jimmy Carters von 1977 an den Elektriker des Weißen Hauses mit Original-Unterschrift wird für 90 US-Dollar gehandelt. Die Unterschrift eines Premierministers ist in Großbritannien weit weniger wert. Ein „seltenes handsigniertes Autogramm Gordon Browns“ dessen Authentizität wir nicht verbürgen können, wurde auf Ebay vor kurzem für 2,99 Pfund feilgeboten – niemand wollte es haben.

Was wird auf Ebay in zehn Jahren versteigert werden?

Wenn Sie nach Werbeartikeln der kommenden Wahl suchen, die eines Tages begehrt sein könnten, ist die Auswahl äußerst beschränkt. Da gibt es die Labour-Tasse mit der Aufschrift „A Future Fair For All“ für sechs und den Anstecker mit dem gleichen Slogan für zwei Pfund. Wer mehr ausgeben will, kann 17 Pfund für eine rote Parteikrawatte ausgeben. Die Tories beweisen da auf ihrer Seite mit „Future Prime Minister“-Babystramplern (denen einige der Mitglieder des Schattenkabinetts erst unlängst entwachsen sind) und T-Shirts mit der Aufschrift „Big Government = Big Problems“ in blau, grün und rot, „Honk for Change“-Autoaufklebern und „People Power“-Kühlschrankmagneten schon etwas mehr Kreativität. Die Liberaldemokraten können auf das breiteste Angebot verweisen: Von Taschen, Flaggen und Luftballons mit walisischen Slogans. Aber ehrlich gesagt fällt es schwer, sich vorzustellen, dass diese Dinge irgendwann einmal einen Markt auf Ebay finden werden.

Ein von der traditionell Tory-freundlichen britischen Brauindustrie gegen Harold Wilson gerichteter Bierdeckel aus dem Jahr 1966 gehört zu den persönlichen Favoriten Mr. Mansfields vom People`s History Museum. Lord Tylers ganzer Stolz hingegen ist eine Tasse von der Wahl 1974 mit den Unterschriften aller 14 liberaldemokratischen Abgeordneten, einschließlich der des skandalumwitterten Jeremy Thorpes. Er benutzt sie heute noch. „Das ist ein klassische Fall von liberalem Durchhaltevermögen“, sagt er.

Der digitale Freitag

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Übersetzung aus dem Englischen: Holger Hutt
Geschrieben von

Patrick Collinson | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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