Ikonen der Jugend und Schönheit sollen nicht altern. Schon gar nicht in Würde. Sie sollen wild leben und jung sterben oder mit Treuebrüchen und Schönheits-OPs gegen das Erlöschen ihres Glanzes ankämpfen. Es ist also ganz und gar nicht selbstverständlich, dass Twiggy am 19. September 60 Jahre alt geworden und immer noch schön ist. Auch wenn die Kulleraugen nun von feinen Fältchen umrandet werden, statt von drei Paaren Kunstwimpern, wie sie sie als „Gesicht des Jahres 1966“ trug. Dass sie heute immer noch als Model arbeitet und nicht jene Überempfindlichkeit zeigt, die viele in der Öffentlichkeit stehenden Frauen beim Thema Älterwerden an den Tag legen.
Ich treffe sie kurz zum Tee in ihrer Londoner Wohnung, in der sie gemeinsam mit dem Schauspieler Leigh Lawson lebt, mit dem sie seit 21 Jahren verheiratet ist. Ihre Kinder sind längst erwachsen. Die „Shabby Chic“-Einrichtung der Wohnung mit türkischen Teppichen und Skulpturen aus Bali verströmt einen Bohemien-Charme, der eher an die Ikone der Sixties erinnert als an das heutige Model, das die gediegene Mode der Kaufhauskette Marks Spencer präsentiert. Die Wände sind mit bunt zusammengewürfelten Bildern behängt, üppige Zimmerpflanzen wuchern, eine faule Katze räkelt sich auf einem Teppich, ein Klavier ist mit silbergerahmten Familienfotos vollgestellt.
Wenn einem die sechzigjährige Twiggy persönlich gegenüber steht, denkt man sofort, dass sie der lebende Beweis dafür ist, dass schlanke Beine und schöne Wangenknochen Gaben sind, die man von einer guten Fee mit Blick für das Langfristige geschenkt bekommt. Sie trägt schwarze Leggins und ein kurzes schwarzes Seidenkleid mit silberfarbenem Aufdruck von Stella McCartney, für die ihre Tochter Carly als Designerin arbeitet. An ihren Beinen lässt sich immer noch erkennen, warum sie, die eigentlich Lesley Hornby heißt, als Kind den Spitznamen Twiggy (von twig, dürrer Zweig) verpasst bekam, unter dem sie die ganze Welt kennt.
Sie sagt: „Ich war viel zu dünn“
Als sie Mitte der sechziger Jahre zu modeln begann, wog sie nur 41 Kilogramm. „Viel zu dünn“, sagt Twiggy heute entschieden. „Ich hatte wohl einen Look, aber ich finde nicht, dass ich hübsch war.“ Obwohl sie genug Falten hat, um glaubhaft versichern zu können, dass sie bislang weder zu Botox gegriffen, noch sich unter das Messer begeben hat, sind ihre Gesichtszüge nur ein wenig schlaffer geworden.
Sie kickt ihre Schuhe fort und lässt sich auf dem Sofa nieder, auf dem auch ich sitze. Die Katze gesellt sich ebenfalls zu uns. Sehr gemütlich. Irgendwie hatte ich mir Twiggy damenhaft vorgestellt, doch in den folgenden eineinhalb Stunden stellt sich das als völlig falsch heraus. Als ich später die Aufzeichnung unserer Unterhaltung abhöre, fällt mir auf, dass sie vor dem Antworten nie eine Pause macht – wenn sie ihre Gedanken überhaupt filtert, dann mit enormer Geschwindigkeit. Oft ist ihr kehliges, raues Lachen zu hören, bei dem sie sich vorlehnt und mich am Unterarm packt. Sie wirkt wie die Art Frau, die sich auf der Straße bei einem unterhaken würde, wenn man mit ihr befreundet wäre. In der zarten Statur ist aber auch ein harter Kern zu erahnen. Sie selbst sagt: „Ich verstehe mich gern gut mit Leuten. Ich laufe nicht herum und bin fies. Aber wenn jemand mir dumm kommt, kann ich zurückschlagen.“
Zusammen mit dem Bild, das die Beatles beim Überqueren der Abbey Road zeigt, sind es die frühen Aufnahmen von Twiggy – einer erschreckend dünnen, sommersprossigen, kurzhaarigen Kindfrau von gerade mal 16 Jahren –, die beim Betrachter sofort das London der Sixties auferstehen lassen. Die Geschichte ihrer Entdeckung als Model erzählt vom Schicksal oder auch vom glücklichen Zufall, je nachdem, wie man es sehen will.
Zu Beginn des Jahres 1966 – ihr war gerade gesagt worden, mit einer Größe von 1,70 Metern sei sie zu klein zum Modeln – ließ Twiggy sich ihr schulterlanges Haar in Londons angesagtestem Frisiersalon „House of Leonard“ für Probe-Portraitaufnahmen stylen. Dabei fiel sie Leonard persönlich auf, der gerade auf der Suche nach einem Model für seinen neuen Kurzhaarschnitt war. Also kamen die Haare ab und es wurden Fotos gemacht. Twiggy ging am nächsten Tag wieder in die Schule. Hier hätte die Geschichte zu Ende sein können, doch ein paar Tage später entdeckte die Moderedakteurin des Daily Express, Deidre McSharry, in Leonards Salon das Bild des knabenhaften Mädchens mit dem damals gewagten Haarschnitt. Sie fragte nach dem Namen, rief Twiggy an und bat um ein Treffen.
Das Gesicht des Jahres 66
Man trank gemeinsam Tee, weitere Fotos wurden gemacht und Twiggy ging wieder zurück nach Hause. Am nächsten Morgen kaufte ihr Vater den Express, doch es war nichts von seiner Tochter darin. Am darauffolgenden Tag durchsuchte er das Blatt wieder. So vergingen beinahe drei Wochen, bis er eines Morgens mit einer aufgeschlagenen Zeitung in das Zimmer der 16-Jährigen stürmte. „Twiggy – das Gesicht des Jahres 66“ lautete die Überschrift. Im folgenden Monat hatte Twiggy das erste Shooting für die Vogue.
Als sie ein Jahr später nach New York flog, um zum ersten Mal mit dem Star-Fotografen Richard Avedon zu arbeiten, war sie bereits in 13 verschiedenen internationalen Vogue-Ausgaben zu sehen gewesen. Sie wurde am Flughafen von einer Horde Paparazzi und Fans begrüßt. 1967 berichteten Life, Newsweek und der New Yorker über das Twiggy-Phänomen – letzterer gar auf einer Strecke von beinahe hundert Seiten.
Twiggy: A Life in Photographs lautet der Titel einer Ausstellung in der Londoner National Portrait Gallery, eines Buches und einer Foto-Biographie anlässlich ihres Geburtstages. Die Geburt eines Stars wird hier anhand früher Bilder dokumentiert, die Ikonenstatus erreichten: Twiggy auf dem Fahrrad, fotografiert von Ronald Traeger; Aufnahmen vom berühmten „Everyone wants to be Twiggy“-Shoot, bei dem Fotograf Melvin Sokolsky das Problem mit herumstehenden Schaulustigen löste, indem er ihnen allen Twiggymasken gab und sie so zu Statisten machte; ein legeres Portrait, aufgenommen von ihrer Freundin Linda McCartney, das 1969 entstand.
Aus den siebziger und achtziger Jahren, als Twiggy mehr in der Musik-, Theater- und Filmbranche arbeitete, gibt es weniger Bilder. Eines von Norman Parkinson, zeigt sie schwanger; auf einigen ist sie bei Promo-Terminen für ihr erstes Album zu sehen. Es sind aber auch neuere Bilder darunter: Von Steven Meisel, der Twiggy 1993 überredete, wieder mit dem Modeln anzufangen, von Annie Leibovitz, von Solve Sundsbo, die sie gemeinsam mit Kate Moss ablichtete und von Bryan Adams, dem fotografierenden Rockstar.
Ihr Lieblingsfoto ist jenes, auf dem sie schwanger ist. Es ist das einzige, auf dem sie Kurven hat. „Wie ich aussah, als ich anfing zu modeln! Ich war ein dürres Schulmädchen, das sich Taschentücher in den BH stopfte. Ich tat nichts dafür, so dünn zu sein, ich war völlig gesund. Der Look ist für Frauen über 20 absolut unmöglich. Die Mode muss sich heute einige Fragen gefallen lassen, nicht wahr?“
„Erstaunlich, dass ich nicht völlig durchgedreht bin“
Allerdings. Doch sind solche Themen eigentlich nicht Twiggys Ding. Sie liebt es, Spaß zu haben. Das spricht auch aus den Komplimenten, die sie verteilt: Kate Moss ist „so witzig“, Tyra Banks, mit der sie gemeinsam in der Jury von America‘s Next Topmodel saß, „so schlau, so lustig, so verdammt clever.“ Wer bei Twiggy an puppenhafte Sixties-Ästhetik denkt, für den kann es ein Schock sein, festzustellen, dass sie im echten Leben eher etwas Rockstarhaftes hat.
Twiggy wird für die meisten immer die Unschuld mit Minirock und falschen Wimpern bleiben – ganz egal, wie oft sie heute für Marks Spencer in einer vernünftigen, langen Strickjacke und braven Stiefeln mit mittelhohen Absätzen fotografiert wird. Das ist ihr auch selbst bewusst: „Ich werde das, was mir in den Sechzigern passiert ist, nie übertreffen können. Das ist mir schon vor langem klar geworden. Dabei bin ich auf meine Arbeit am Broadway viel stolzer.“
Für das Musical My One and Only, in dem sie in den frühen Achtzigern eine Hauptrolle spielte, wurde sie für einen Tony Award als beste Schauspielerin nominiert. „Acht Shows pro Woche sind harte Arbeit. Das war wirklich eine Leistung. Die Sachen davor sind mir einfach zugestoßen.“ Ist es merkwürdig, wenn man die Zeit, die das eigene Leben bestimmt, in so jungen Jahren erlebt? Sie zuckt mit den Schultern: „Die Sache ist, dass man sich mit 16 nicht jung fühlt, sondern sich für ziemlich erwachsen hält“, sagt sie. „Erst viel später, als meine eigene Tochter 16 wurde, dachte ich: ‚Oh Gott, so jung warst du damals.‘ Es ist schon erstaunlich, dass ich nicht völlig durchgedreht bin.“
Was glaubt sie, woran das liegt? „Ich war so jung, dass ich da gar nicht hinterher kam. Ich war einfach so naiv.“ Für ihren Umgang mit jungen Models erntet die Modeindustrie immer wieder herbe Kritik. Twiggy aber sagt, sie sei immer gut behandelt worden: „Ich hatte Glück, dass alles so schnell passierte, dass ich niemals versuchen musste, die Leiter zu erklimmen. Wenn man versucht, den Durchbruch zu schaffen, dann ist man verletzlich.“
In solch ruhigen Bahnen hat sich allerdings nicht ihr gesamtes Leben abgespielt. 1977 heiratete sie den amerikanischen Schauspieler Michael Whitney, 1978 wurde ihre Tochter Carly geboren. Whitneys Alkoholsucht zerstörte die Ehe, auf einem Ausflug zu Carlys fünftem Geburtstag brach er zusammen und starb. Aus ihrer zweiten Ehe mit Lawson, der aus einer früheren Beziehung seinen Sohn Jason mitbrachte, scheint hingegen eine glückliche Patch-Work-Familie geworden zu sein.
Privilegiert, aber relativ normal – so klingt Twiggys Leben heute. Neben der Wohnung besitzt sie noch ein Haus in der Grafschaft Suffolk an der Ostküste Englands. Hier machen ihr Mann und sie lange Spaziergänge bei jedem Wetter. Sie trägt heute gern Sachen von Stella McCartney, nennt sich ansonsten aber ein „Highstreet-Girl“, eine die von der Stange kauft. Sie kocht häufig, achtet inzwischen aber auch auf ihr Gewicht. Wie die meisten Menschen, habe sie „mit Mitte Vierzig zugelegt“, sagt sie. „Ich ernähre mich gesund, esse nichts Frittiertes und habe das Glück, mit jemandem verheiratet zu sein, der keine Süßspeisen mag. Also habe ich lediglich eine Tafel Schokolade im Kühlschrank, für den Fall, dass mich mal das Schokoverlangen packt.“
Seit zehn Jahren bringt sie nun 53 Kilogramm auf die Waage. Sie ist entschiedene Botox-Gegnerin, weil ihr „nicht gefällt, wie es einen aussehen lässt und weil es mir nicht geheuer ist – immerhin handelt es sich dabei um Gift.“ Einen kleinen Schnitt hier oder da, „wenn alles abzusacken beginnt,“ würde sie allerdings nicht ausschließen. „Ein paar Mal im Jahr“ gönnt sie sich eine kosmetische Gesichtsbehandlung und sie geht zur Maniküre. „So verwöhne ich mich selbst,“ sagt sie mit zufriedenem Blick auf ihre Finger.
Wieder ein Zufall
Im Winter vor fünf Jahren machten sie und ihr Mann nach einem Strandspaziergang in einem Pub Halt. Der Zufall wollte es, dass Steve Sharp, der bei Marks Spencer im Marketing arbeitet, gerade ebenfalls da war. Sharp erkannte Twiggy und hatte die Idee, sie für eine Kampagne zu buchen. „Ich bin so froh, dass ich in diesen Pub gegangen bin. Lustig, so oft war ich wegen eines Jobs verabredet und habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was ich anziehen soll und habe mich vorher eine Millionen Mal umgezogen. Dann stehe ich eines Tages mit Wollmütze und Anorak in einem Pub und Steve entdeckt mich. Das sagt doch alles. Wer hätte gedacht, dass es in meinem Alter noch mal so was wie die M für mich geben würde?“ Es klingt dankbar. Welches Model hat mit 60 noch Arbeit?
Twiggy spricht mit der positiven Einstellung eines Menschen, der die Kräfte des Schicksals für grundsätzlich wohlgesonnen hält. „Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass ich 60 werde. Ich sage immer, dass es keinen Sinn hat, sich übers Älterwerden zu beschweren, wo man doch nichts ändern kann. Komisch finde ich es aber trotzdem immer noch. Ich schaue mir die Zahl 60 an und denke: Wirklich? Ich?“
Übersetzung der gekürzten Fassung: Zilla Hofman
Twiggys Bedeutung: Androgynität und Selbstbewusstsein
Das Vermächtnis von Twiggy, der teuersten Bohnenstange der Welt, ist mehr als die aktuelle Diskussion um Magermodels auf den Laufstegen der Welt. Zwar löste mit dem Erfolg von Twiggy eine schmale Silhouette proppere Rundungen als Schönheitsideal dauerhaft ab, doch vor allem ebnete das ungewöhnliche Aussehen der Britin den Weg für ein neues Frauenbild in Mode und Gesellschaft. Die Kindsfrau mit den Kulleraugen war der Gegenentwurf zu üppigen Männerträumen und dem Modediktat der fünfziger Jahre. Die Weiblichkeit einer Marilyn Monroe galt bis zu Twiggys Entdeckung als Idealbild der Frau. Die damals 16-Jährige jedoch war mit Kurzhaarschnitt und ohne Kurven kaum als Frau zu erkennen. Dass eine Schönheit nun aussehen durfte wie ein Junge, gab die Laufstege frei für mehr Experimentierfreude und Individualität. Der androgyne Look führte aber nicht zu weniger Weiblichkeit in der Mode. Der Abschied vom züchtigen Kleidungsstil der Fünfziger wurde durch einen Streifen Stoff besiegelt, der mehr von der Frau zeigte: der Minirock. Twiggy trug das Kleidungsstück der Modeschöpferin Mary Quandt in die ganze Welt. Die zunächst als skandalös empfundene Beinfreiheit traf den Nerv der Zeit: Der Mini entwickelte sich schnell zum Symbol eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins. Mehr modische Freiheit und mehr Selbstbewusstsein für dünne Frauen. Twiggys Erfolg bewirkte für diese, dass sie sich endlich als ganze Frau fühlen durften. So war der Effekt des mageren Mädchens, zumindest zunächst, ein sehr schöner. tb
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