Glückssuche In der Krise klammern sich viele an Jobs, die sie nicht ausfüllen – Hauptsache, Arbeit. Aber auf Dauer kann das nicht gutgehen. Ein Plädoyer für mehr Selbstbestimmung
„Etwas Gutes hat die Rezession“, sagt Alain de Botton, Autor von The Pleasures and Sorrows of Work" target="_blank">The Pleasures and Sorrows of Work. „Wir sind mit der Überzeugung aufgewachsen, dass, wer reich ist, dies auch verdient hat und dass, wer hart arbeitet, Erfolg haben wird. Es herrschte die Vorstellung, dies sei gerecht. Das war das Thatcher’sche Ethos.“ In den vergangenen zwei Jahren sind wir aus diesem Traum aufgewacht, schreibt de Botton: „Wie kann es gerecht sein, dass die Arbeit eines Bankers 350-mal höher entlohnt wird als die einer Krankenschwester?“
Die weit verbreitete Wahrnehmung, dass unzufriedene Arbeiter oder Arbeitslose selbst für ihre missliche Situation verantwortlich sind, hat sich verändert. ̶
iedene Arbeiter oder Arbeitslose selbst für ihre missliche Situation verantwortlich sind, hat sich verändert. „Nun macht man nicht mehr den Einzelnen verantwortlich, sondern das System, das offensichtlich ungerecht ist. Arbeitslosigkeit wird nicht mehr als individuelles Versagen interpretiert.“Dies mag Arbeitslose wohl kaum helfen. Was aber ist mit denjenigen, die noch einen Arbeitsplatz haben? Erfüllung im Beruf zu finden, kann schon schwierig sein, wenn die Geschäfte gut gehen. In Zeiten der Krise mühen sich viele von uns aus Mangel an Alternativen in Jobs ab, die ihnen nicht wirklich Freude bereiten. Aber ist es möglich, im Arbeitsalltag mehr Freude zu empfinden, ohne den Job zu wechseln?Geißel der MenschheitDe Botton weist darauf hin, dass wir nicht immer die Erwartung hatten, die Arbeit möge uns Freude bereiten. Dies ist historisch gesehen ein relativ neues Phänomen. Die Leute arrangierten sich früher mit dem, was der amerikanische Schriftsteller Studs Terkel „eine von Montag bis Freitag dauernde Art zu sterben“ nannte. „Die längste Zeit unserer Geschichte galt Arbeit als Strafe Gottes für die Sünden Adams“, bemerkt de Botton. Im 18. Jahrhundert stellte dann Benjamin Franklin die These auf, aktiv zu sein und hart zu arbeiten, garantiere ein erfülltes Leben – eine These, die durch die Industrialisierung schnell untergraben wurde. „Dies ist einer der Gründe, warum Marx und Engels voller Zorn schrieben, mit der modernen Fabrik werde die Arbeit wieder zu dem, was sie einst war – Not und Pein“, sagt de Botton.Sollten wir uns also von der Vorstellung verabschieden, in der Arbeit Erfüllung finden zu können, unsere Ansprüche zurückschrauben und uns klar machen, dass Unzufriedenheit am Arbeitsplatz in Zeiten der Wirtschaftskrise ein Luxusproblem darstellt? Sollten wir nicht einfach nur dankbar sein, dass wir noch einen Job haben? „Es gibt da das sogenannte Survivor-Syndrom“, meint der Karriere-Coach John Lees, Autor des RatgebersHow to Get a Job You'll Love 2009-2010: A Practical Guide to Unlocking Your Talents and Finding Your Ideal Career">How to Get a Job You Love. „Aber dieses wirkt sich nicht immer so aus, wie man zunächst glauben sollte. Man könnte sich vorstellen, dass der Arbeiter oder Angestellte, überwältigt von Schuldgefühlen und Zukunftsangst, voller Dank hart arbeitet. Viele aber denken stattdessen: 'Mein Chef ist nicht der, den ich in ihm gesehen habe – was gibt es da draußen sonst noch?'“Es gibt also auch am Arbeitsplatz neben der ökonomischen noch eine Vertrauenskrise. Laut einer kürzlich vom Unternehmensberater McKinsey durchgeführten internationalen Umfrage, glauben 85 Prozent aller Führungskräfte, das Vertrauen in Unternehmen sei geschwunden. „Das wieder herzustellen, braucht Zeit. Die Unternehmen werden in Zukunft anders denken und kommunizieren müssen“, sagt Tom O`Byrne, Direktor des Great Place To Work Institute UK.Einige Arbeitnehmer warten nicht darauf, bis das geschieht. „Portfolio-Karrieren – das Arbeiten in einer Reihe verschiedener Unternehmen – werden zunehmend attraktiver, weil sich durch sie das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zugunsten der ersteren verschiebt. Ein sicherer Arbeitsplatz ist eine attraktive Sache, aber das kann schließlich nicht alles sein“, sagt Karriereberater Lees. Wenn es um ein glückliches und erfülltes Leben geht, sicherlich nicht. „In jedem steckt zumindest ein kreativer Funke. Wenn der sich nicht ausdrücken kann, fühlen wir uns halb tot. Das kann ganz wörtlich zutreffen: Bei britischen Beamten verstopfen bei denjenigen, die die größte Routine in ihrer Arbeit haben, am schnellsten die Arterien“, schreibt der Ökonom Richard Layard in seinem Buch Happiness: Lessons from a New Science">Happiness: Lessons From A New Science.Die These von der Hierarchie der Bedürfnisse, die in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von dem amerikanischen Psychologen Abrahm Maslow vertreten wurde, geht von fünf grundsätzlichen Bedürfnissen aus: Existenz- und Sicherheitsbedürfnis; das Bedürfnis, geliebt zu werden und uns zugehörig zu fühlen und schließlich dem für die Arbeit relevanten Bedürfnis nach Respekt und Selbstverwirklichung. Unter letzterem verstand er, dass jeder das Bedürfnis hat, das zu tun, wofür er geboren wurde: „Ein Musiker muss Musik machen, ein Künstler muss malen und ein Schriftsteller muss schreiben.“Kann man mit Zwangsenteignungen glücklich werden? Können solche Theorien aber auf die moderne Arbeitswelt angewendet werden? Kann jemand, der mit Zwangsenteignungen sein Geld verdient oder ein Briefträger wirklich den gleichen Grad an Befriedigung erfahren wie ein Mozart oder ein Shakespeare? Was verleiht unserer Arbeit in der Welt der modernen Unternehmen Sinn?Um dies herauszufinden, befragte der Soziologe Richard Sennett arbeitslos gewordene Wall-Street-Banker danach, wie sie darauf reagieren, dass das kapitalistische System, an das sie aus ganzem Herzen geglaubt hatten, sie nun einfach aussortiert und weggeschmissen hat. Sennett ist der Ansicht, das, was ihnen widerfahren sei, könne dem Verständnis dienen, welche Erfüllung wir von unserer Arbeit erwarten.Sennett hatte sich zwei Strategien überlegt, um eine Reaktion von den Bankern zu provozieren. „Die eine besteht darin, den Leuten das Waren- und Lifestyle-Magazin der Financial Times 'How To Spend It' in die Hand zu drücken. Das gibt ihnen oft das Übelkeit auslösende Gefühl, dass dies der Schrott ist, um den es ihnen ging.“ Und die zweite? „Ich fordere sie auf auszurechnen, wieviel Zeit sie bei der Arbeit verbracht haben. Oft wird ihnen schmerzlich bewusst, dass dies zwölf und mehr Stunden am Tag waren.“ Er sagt, die Befragungen zeigten eine veränderte Anspruchshaltung. „Bei diesen Leuten handelte es sich zumeist um niederrangige Angestellte, die von ihren Vorgesetzten wie der letzte Dreck behandelt wurden. Aber es fiel ihnen schwer zu sagen: 'Ich will keine leitende Position.' Soziologisch gesprochen wurden sie unterdrückt, aber sie hatte ihre Unterdrückung als Norm verinnerlicht. Sie wollten selbst sein wie ihre Unterdrücker. Das hat sich verändert. Heute will niemand mehr sein wie der Ex-Chef der Royal Bank of Scottland, Fred Goodwin. Die moralische Autorität des Kapitalismus ist in die Krise geraten.“Einen Job um seiner selbst willen machenKönnte also ein Weg, am Arbeitsplatz glücklich zu werden, über die Einsicht führen, dass einige von uns von dem unbewussten Wunsch beherrscht werden, so reich und mächtig zu sein wie der Chef? Sennett zeigt sich skeptisch. „Ob wir am Arbeitsplatz glücklich werden können, ist die falsche Frage. Es geht vielmehr darum, ein würdevolles Leben zu führen und nicht die gleichen Fehler noch einmal zu machen.“ Viele der von Sennett Befragten denken nun darüber nach, sich selbstständig zu machen oder Mathe zu unterrichten. Viele ziehen aus New York weg in kleinere Städte.In seinem Buch Handwerk argumentiert Sennett, der Wunsch, einen Job um seiner selbst Willen gut zu machen, biete eine Vorlage für ein gutes, befriedigendes Leben. Im besten Fall erfährt der Handwerker, der eine befriedigende Fertigkeit erlernt hat, die er gerne ausübt, so viel Respekt und Selbstverwirklichung wie Maslow es sich gewünscht hätte. Laut Sennett kann jeder, ob er sich als Vater oder Mutter um seine Kinder kümmert, ob er Software-Designer oder Briefträger ist, so kunstfertig sein wie ein Goldschmied oder Violinist. „Wir denken bei der Kindererziehung nicht in demselben Sinn von einer Fertigkeit wie etwa bei der Arbeit eines Installateurs, obwohl es einen hohen Grad erlernter Fertigkeiten erfordert, ein Kind gut zu erziehen.“In Lees' Buch trägt ein Kapitel den Titel: "Wie man den Job lieben lernt, den man hat." Hier empfiehlt er, man solle sicherstellen, dass man vom Chef als innovativer Mitarbeiter wahrgenommen wird, seine Verdienste kommuniziert und neue Fähigkeiten erwirbt, um frisch zu bleiben. Sowohl für diejenigen, die in ihrem alten Job bleiben wollen als auch für die, die es vorziehen, sich etwas anderes zu suchen, betont Lees die Bedeutung von Fertigkeiten, die man gern ausführt. Die persönliche Motivation ist für den Erfolg einer Karriere mindestens ebenso wichtig wie alle andere Faktoren.Das Wichtigste: die Kontrolle über das eigene Leben"Das Entscheidende", sagt Lees, "besteht darin, das, was man tut, zu beherrschen, es zu überblicken und Freunde daran zu haben, es gut zu machen. Das ist gesund. Das Schlimmste, was man tun kann, ist, sich jeden Tag zu sagen: 'Es ist stumpf und langweilig, aber es ist bequem. Die Welt da draußen ist mir zu kompliziert und fremd.'" Während eines wirtschaftlichen Abschwungs mag es ratsam erscheinen, sich zumindest eine Weile in einem langweiligen, aber bequemen Job einzurichten. Letzten Endes ist es laut Lees aber unsinnig, sich an einen ungeliebten Job aus Angst vor Arbeitslosigkeit krampfhaft zu klammern, bis man in Rente geht. Wer so denke und handle, gebe die Kontrolle über sein Leben aus der Hand. Der Karriereberater zitiert D.H. Lawrence: „Arbeit ist sinnlos, solange sie uns nicht fesselt wie ein spannendes Spiel.“ Sicher sagt sich dies leichter, wenn man einen Job hat. Man ist aber gut beraten, es immer zu beherzigen – selbst in schwierigen Zeiten wie diesen.
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