Wie die Frösche

Aufklärung Was erzählt man einer Achtjährigen über Sex? Und was macht man, wenn das Kind einfach nicht aufhören will weiterzufragen?

Eines Abends saßen meine damals achtjährige Tochter Mulan und ich bei unserem Lieblings-Thai. In diesem Restaurant kannten wir den Küchenchef, der uns diesmal Froschschenkel in Peperoni empfahl. Wir lehnten höflich ab. Mulan begann zu erzählen, in der Schule würden sie Frösche durchnehmen. Sie müsse dazu ein Referat halten: „Also, Mama: Zuerst legen die Frösche Eier in einen Teich. Dann werden die Eier zu Kaulquappen und dann werden die Kaulquappen zu noch mehr Fröschen.“

Ich kniff die Augen zusammen. Biologie zählte nicht zu meinen Stärken. Immer wenn Mulan mir erzählte, was sie gerade im naturwissenschaftlichen Schulunterricht machten, versetzte mich dies in großes Erstaunen. Schließlich nuschelte ich: „Äh ja, ich glaube aber, dass nur die Weibchen Eier legen und die Männchen diese befruchten.“

„Häh? Was heißt denn ‚befruchten‘?“

„Die Männchen haben so eine Flüssigkeit in sich, eine Art Zutat, die Sperma heißt. Sie spritzen sie auf die Eier. So werden diese befruchtet.“ Ich war wirklich stolz auf das Wort Zutat, das war schön neutral.

„Also haben nur die Weibchen Eier?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Und bei den Menschen?“, fragte sie.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich mich immer als aufgeklärte Sex-ist-keine-große-Sache-Mutter betrachtet habe. Auf eine solche Unterhaltung hatte ich mich aber nie wirklich vorbereitet. Ich hatte ein paar Elternratgeber gelesen, die alle empfahlen: „Wenn Ihr Kind beginnt, Fragen zu Sex oder einem anderen vielschichtigen Thema zu stellen, beantworten Sie nur die Frage, die es gestellt hat. Holen Sie nicht weiter aus.“

Also gut. Mulan wollte nur wissen, ob bei den Menschen die Frauen die Eier haben. Die Antwort war eindeutig. „Ja“, antwortete ich und versuchte, mir ein anderes Gesprächsthema auszudenken.

Frauen haben eigenen Teich

„Wo bewahren die Frauen ihre Eier denn auf?“, erkundigte Mulan sich.

„Nun, wir Frauen haben uns so entwickelt, dass wir einen eigenen Teich haben, im Inneren unseres Körpers. In diesen Teich legen wir unsere Eier. Das ist sehr bequem, wenn man es mit den Fröschen vergleicht – wir müssen uns keine Gedanken über andere Eier machen, die mit unseren konkurrieren. Der Teich gehört allein uns.“

„Wo ist der?“, wollte Mulan wissen.

„In unserem Unterleib, unter dem Bauchnabel, über der Vagina.“ Ich hatte es geschafft, konkret und gleichzeitig vollkommen vage zu sein. Perfekt.

„Aber wie werden die Eier befruchtet?“

„Der Mann tut es“, sagte ich. Zum Glück wurde in diesem Augenblick das Essen serviert. Ich schaufelte mir grüne Bohnen mit Chili auf den Teller und hoffte, dass wir nun das Thema wechseln würden. Ich bemerkte, dass meine Augen hin- und herhuschten, was mich an meine Mutter erinnerte. Ich hasste es, wie komisch und verlegen meine Mutter wurde, wenn es um das Thema Sex ging. Ich atmete tief durch.

„Aber wie kommt das Sperma rein, um die Eier zu befruchten?“, fragte Mulan.

„Also, das Sperma kommt aus dem Penis des Mannes und geht in die Vagina der Frau. Das geschieht, wenn die beiden das machen, was man ‚Sex haben‘ nennt. So wird das Ei – davon befindet sich normalerweise eins im Teich der Frau – befruchtet.“ Erst nachdem ich dies ausgesprochen hatte, wurde mir bewusst, dass ich die Worte Penis, Vagina und Sperma in gedämpften Tonfall gesagt hatte. Wie meine Mutter. Ich spürte Selbsthass aufkeimen.

Mulan hatte ihre Gabel aus der Hand gelegt. Ihr Gesicht war vor Ekel verzerrt: „Damit machen Menschen Babys? Damit, womit man auf die Toilette geht? Mama!!“

"Auf Privatheit bedacht"

„Ja“, ich sah mich verschwörerisch um und seufzte: „Ich weiß. Es ist komisch. Daran muss man sich erst mal gewöhnen.“

„Krass,“ sagte Mulan. „Aber wie kann es dazu jemals kommen? Männer und Frauen können doch nie zusammen nackt sein.“

„Nun“, erklärte ich, „wenn die Leute älter sind – viel, viel älter als Kinder – und beide sich unter sehr bestimmten Umständen, zum Beispiel wenn sie ineinander verliebt sind, entschließen, dass sie es wollen, dann können sie zusammen nackt sein.“

„Aber woher wissen sie denn, wann?“, wollte Mulan wissen. „Sagt der Mann ‚Jetzt ist es Zeit, die Hosen auszuziehen‘?“

Wir blickten einander lang in die Augen. „Genau das sagt er“, sagte ich dann.

Zu meiner Erleichterung schien Mulans Wissensdurst gestillt und wir unterhielten uns über andere Dinge. Auf der Heimfahrt wirkte sie ungewöhnlich still. Ich sah von Zeit zu Zeit durch den Rückspiegel zu ihr hin. Sie starrte aus dem Fenster. Die Bürgersteige waren voller Menschen.

Plötzlich lachte Mulan. „Was ist los?“, erkundigte ich mich. „Mama, du wirst lachen! Es ist so lustig. Ich dachte, du hättest gesagt, dass der Mann seinen Penis in die Vagina der Frau steckt. Ist das nicht witzig?“

Pause.

„Das habe ich auch gesagt.“

„Oh“, Mulans Gesichtsausdruck wurde ernst. Dann war es lange still.

„Was wäre, wenn zwei Leute einfach auf der Straße aufeinander zugehen und es tun würden?“ Unsere Augen trafen sich im Spiegel. Sie löste sich von meinem Blick und sah einige auf der Straße stehende Leute an. An diesem Punkt entschied ich, die beste Art, diesen Fragen zu begegnen, bestehe darin, so zu tun, als sei ich ein Anthropologe, der über das Paarungsverhalten einer Gattung spricht, der er selbst nicht angehört: „Die menschliche Art ist sehr auf Privatheit bedacht, wenn es um Sex geht. Menschen sind in dieser Hinsicht ungewöhnlich. Sie haben im Privaten Sex.“

Es gibt keine Sex-Partys!

„Was wäre, wenn auf einer Party eine Gruppe Männer und Frauen wären und sie alle anfingen, es zu machen? Kann das passieren?“ „Nein“, log ich, „weil Menschen so privat sind.“ Mein Rücken versteifte sich.

„Mama,“ fragte Mulan, „hast du das schon mal gemacht?“ „Ja“, entgegnete ich knapp.

„Aber Mama, wie funktioniert das? Ich meine, wo tun die Leute ihre Beine hin. Es kann doch nicht jeder einen Spagat.“ Aha, die Sichtweise der stolzen Turnerin. Sie fixierte sich auf die Rolle der Beine. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie das rein physikalisch funktionierte. „Mulan, die Leute kriegen das mit den Beinen schon hin. Sie machen es einfach.“

Als wir zu Hause aus dem Auto stiegen, saß unsere Katze im Vorgarten. „Wie ist es mit Katzen?“ „Im Grunde genauso“, war meine Antwort. „Aber was machen die mit ihren Beinen?“ hakte sie nach. „Ich denke, das Männchen steht hinter dem Weibchen und ... und ... sie machen es einfach.“

Ich war des Themas inzwischen ziemlich überdrüssig. „Vielleicht können wir bei Wikipedia oder so nachgucken und es uns ansehen.“ Also konsultierten wir das Internet. Ich gab die Suchbegriffe „paarende Katzen“ ein. Und selbstverständlich gab es bei YouTube Tausende Videos. Mulan war fasziniert. Ihr Gesicht rückte immer näher an den Monitor. „Und Hunde?“, fragte sie. Also sahen wir uns ein paar Hundevideos an. Mulan legte ihre Hand auf meinen Arm. Und dann erlebte ich einen dieser Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen scheint: „Mama, glaubst du, im Internet gibt es auch Videos, in denen sich Menschen paaren?“

Ich bin ein Monster. Ein unfähiges Monster von Mutter. „Nein,“ sagte ich streng lächelnd. „So etwas gibt es auf keinen Fall. Weil Menschen so privat sind.“ Und dann: „Hey, wie wär’s mit ein bisschen Eis?“ Womit ich ihr also beigebracht hatte, dass Essen die wahre Antwort ist, wenn es in Sexfragen heikel wird.

Etwas später hatte Mulan eine neue Frage: „Was ist mit Roger und Don – wie machen die es?“ „Ich... ich weiß es nicht.“ Okay, ich war am Ende. Ich hatte angenommen, zwischen Fröschen und gleichgeschlechtlichem Verkehr würde mir mehr Zeit zur Verfügung stehen. Mulan ging ins Badezimmer. Es dauerte ein bisschen länger als sonst, bis sie wieder herauskam. Beiläufig sagte sie: „Ich glaube, ich weiß, wie Roger und Don es machen.“

„Oh wirklich?“

„Ja, Mama, da unten ist noch ein anderes Loch, mit dem man auch auf die Toilette geht. Vielleicht benutzen sie das.“

Das ist mein Mädchen, meine Mulan. Acht Jahre alt und erfindet Analsex. Schlau, wissbegierig, unerschrocken. „Möglich“, sagte ich und zuckte mit den Schultern, um zu zeigen, wie entspannt ich doch war.

Julia Sweeney ist eine US-amerikanische Komikerin, die auch für den Guardian schreibt.

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Übersetzung der gekürzten Fassung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Julia Sweeney | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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