Wie ein Kinderspiel

Kriegsopfer Gott hatte keine Gnade mit den Kindern von Gaza, die israelische Armee auch nicht. Ein Drittel der Opfer dieses Krieges sind Kinder. Mehr als 340, um genau zu sein

Piloten bombardieren ungehindert ganze Stadtviertel, als ob es ein Manöver wäre. Kampftruppen zerstörten ganze Straßen aus ihren Fahrzeugen, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen. Eine große Armee kämpfte gegen eine hilflose Bevölkerung und eine schwache, in sich zerrissene Organisation, die aus den Kampfzonen geflohen war und noch nie einen solchen Kampf durchgefochten hatte. Verglichen mit den vorangegangenen Nahost-Kriegen war die Schlacht am Gaza ein Kinderspiel, das muss offen gesagt werden, bevor wir damit beginnen, über unser Heldentum und unseren Sieg zu frohlocken.
Dieser Krieg war auch ein Kinderspiel wegen seiner Opfer, denn ein Drittel der Kriegstoten waren Kinder gewesen – 345 nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums, 270 nach denen der B’tselem-Menschenrechtsgruppe. Auch etwa 1.550 der 4.500 teilweise Schwerverletzten sind Kinder. Nach jedem humanitären oder ethischen Standard eine unglaubliche Zahl. Es genügt, sich nur die Bilder anzusehen, die aus dem Al-Shifa-Hospital kamen: verbrannte, verblutende, sterbende Kinder.

Gott hatte keine Gnade mit den Kindern von Gaza, die israelischen „Verteidigungs“-Kräfte auch nicht. So geht es, wenn Kriege in dicht bevölkerten Gebieten geführt werden, mitten in einer Bevölkerung, die mit Kindern gesegnet ist, denn etwa die Hälfte der Bevölkerung von Gaza ist unter 15 Jahre alt.
Kein Pilot oder Soldat geht in einen Krieg, um Kinder zu töten. Keiner unter ihnen beabsichtigt, Kinder zu töten. Aber ist es nicht auch so, dass keiner beabsichtigt, sie nicht zu töten? Die schockierende Gleichgültigkeit, mit der unsere Öffentlichkeit diese Zahlen aufnimmt, ist atemberaubend. Tausend Propagandisten und Apologeten können dieses kriminelle Töten nicht entschuldigen. Man kann der Hamas die Schuld am Tod der Kinder geben, aber kein vernünftiger Menschen weltweit, wird dieses lächerliche Argument annehmen, wenn er auch nur einen Blick auf die Bilder aus Gaza geworfen hat.

Man kann sagen, Hamas verstecke sich unter der zivilen Bevölkerung, als ob das Verteidigungsministerium in Tel Aviv nicht auch mitten in einem zivilen Wohnquartier stehen würde. Als ob es in Gaza Orte gäbe, an denen keine zivile Bevölkerung lebt. Man kann auch behaupten, dass die Hamas Kinder als menschliche Schutzschilde benützen würde, als ob jüdischen Organisationen in jener Zeit, in der sie für den Aufbau des Landes kämpften, nicht auch Kinder rekrutiert hätten.

Eine bedeutsame Mehrheit der getöteten Kinder im Gazastreifen starb nicht, weil sie als menschliche Schutzschilde benutzt wurden oder für die Hamas arbeitete. Sie wurden getötet, weil die Armee Granaten auf sie, ihre Familien und ihre Häuser abfeuerte. Deshalb klebt das Blut dieser Kinder an unsern Händen und nicht an denen von Hamas – und wir werden nie in der Lage sein, uns aus dieser Verantwortung wegzustehlen. Die Kinder von Gaza, die diesen Krieg überleben, werden sich immer daran erinnern. Es genügt, sich den wunderbaren Film Arnas Kinder des in Nazareth geborenen Juliano Mer Khanis anzusehen, um zu verstehen, was unter Blut und Ruinen gedeiht, die wir ihnen hinterlassen. Der Film zeigt die Kinder von Jenin, die weniger Horror gesehen haben als jene von Gaza. Sie wuchsen heran und wurden Kämpfer und Selbstmordattentäter. Ein Kind, das gesehen hat, wie sein Haus zerstört wurde, wie sein Bruder getötet und sein Vater gedemütigt wurde, wird nicht vergeben.



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Geschrieben von

Gideon Levy, The Guardian | The Guardian

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