Wie eine Verschwörung

Nordirland Seit der Stadtrat von Belfast entschieden hat, die britische Flagge nicht mehr ständig über dem Rathaus zu hissen, kommt es zu Ausschreitungen probritischer Loyalisten
Für die britische Flagge hat eine Standortsuche in Belfast begonnen, Bushäuschen sind beliebt
Für die britische Flagge hat eine Standortsuche in Belfast begonnen, Bushäuschen sind beliebt

Foto: Peter Muhly / AFP

Es fliegen Molotowcocktails, Feuerwerkskörper und andere Geschosse. Die Polizei reagiert mit Wasserwerfern und Plastikkugeln. Das gleiche Bild seit Tagen. Die Randalierer geben zu verstehen, dass sie für die unionistischen Politiker, die behaupten, ihre Ansichten zu repräsentieren, nicht mehr viel übrig haben. Sie schenken auch den Anführern paramilitärischer Verbände wie der Ulster Defence Associaton (UDA) oder der Ulster Volunteer Force (UVF) kein Gehör, wenn die zur Besinnung aufrufen.

Werden die Demonstranten durch TV- oder Hörfunk-Reporter interviewt, hört man immer wieder, sie fühlten sich an den Rand gedrängt. Sie würden im Friedensprozess, wie er mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 begann, gegenüber der katholischen Bevölkerung den Kürzeren ziehen. Doch dafür fehlt jeder Beweis. Sicher, die Arbeitslosigkeit unter den Katholiken ist in den zurückliegenden zehn Jahren gesunken, was an einer auf Gleichheit zwischen den Bevölkerungsgruppen achtenden Gesetzgebung, aber auch daran liegt, dass junge Katholiken in der Regel ein höheres Bildungsniveau genießen als junge Protestanten. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit im katholischen Westen von Belfast weiter erheblich höher als im protestantischen Osten der Stadt.

Jede Menge Jobs

Das wirkliche Problem ist ideologischer und sozialer Natur. Zwischen den Politikern, die vorgeben, die Loyalisten bzw. Protestanten zu repräsentieren und den Menschen, um die es geht, öffnet sich eine wachsende Kluft. Die unionistischen Parteien des Mainstreams – ob nun die Ulster Unionist Party (UUP) oder die Democratic Unionist Party (DUP) – scheinen sich nicht wirklich für die Interessen ihrer Wähler einzusetzen. Insgeheim formen sie mit den Lippen weiter Slogans der Vergangenheit: No surrender! etwa. Oder sie weigern sich, den historischen Kompromiss zu akzeptieren, den Unionisten und Nationalisten 1998 eingegangen sind. Anders als die Parteien haben ihre politischen Führer den Wert des Friedensprozesses und einer mit Nationalisten und Republikanern geteilten Macht längst anerkannt.

Hinzu kommt das Problem der sozialen Spaltung. Die Kluft zwischen den unionistischen Politikern und denen, die ihnen zu Hunderttausenden bei Wahlen ihre Stimme geben, war weniger von Belang, als es noch jede Menge Jobs für die protestantische Arbeiterklasse gab. Damals hatten die auch noch das Sagen über ihre katholischen Nachbarn.

Unzufriedene Unionisten

Bei den Nationalisten bzw. Katholiken sieht es ganz anders aus. Die im Arbeitermilieu entstandene Sinn Fein-Partei unterstützte stets Führungspersönlichkeiten, die sich bemüht haben, ihre Wurzeln in den traditionellen Gemeinschaften zu pflegen. So ist es Sinn Fein gelungen, den engen Kontakt zu ihrer Wählerschaft aufrechtzuerhalten, auch wenn noch ein paar Unzufriedene weiterhin auf Splittergruppen hören. Immer größere Wahlerfolge der Partei und Stimmeinbußen, die es zuletzt für die eher in der Mittelschicht angesiedelte Social Democratic and Labour Party (SDLP) gab, unterstreichen das.

Ironischerweise sind es ausgerechnet die Loyalisten, die auf den Zusammenhalt unter den Nationalisten verweisen und klagen, bei ihnen herrsche bei weitem nicht die gleich interne Disziplin. Sie erkennen das Positive, halten es aber für eine Art Verschwörung, die darauf ziele, sie zu schwächen und langfristig ein vereintes Irland zu schaffen.

Unbestreitbar ist die Tatsache, dass es in den protestantischen Gebieten im Osten und Norden Belfasts an politischer Bildung mangelt. David Erwine, einst paramilitärische Führer und Gründer der Progressive Unionist Party (PUP), hätte das möglicherweise ändern können. Doch er verstarb 2007.

Abgehen davon genießt die PUP keinen großen Respekt. Viele Protestanten haben für die paramilitärischen loyalistischen Gruppen wegen der Beteiligung an Drogengeschäften und Schutzgelderpressungen nicht viel übrig.

Letztlich lässt sich kaum abschätzen, wie viele Unterstützer die jetzigen „Flaggenproteste“ wirklich haben. Möglich, dass es eher ein paar hundert sind als ein paar tausend. Soll es wirklich Fortschritte geben beim Aufbau von Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen in Nordirland, muss es den unionistischen Politikern gelingen, jene protestantischen Bürger wieder mitzunehmen, die glauben, der Friedensprozess bringe nur den Republikanern Gutes.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Roy Greenslade | The Guardian

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