Wie ich lernte, ein Fahrradkauz zu sein

Werkstatt Radfahrer sind gern unabhängig, vertrauen nur auf ihre Muskelkraft. Doch um wirklich unabhängig zu sein, muss man selbst reparieren, findet Guardian-Autor Rick Williams

Meine Bremsen machten allmählich schlapp. Die Gänge waren locker. Das Vorderrad eierte. Es war nicht zu verleugnen: Mein Rad hatte eine Wartung nötig. Da ich aber gerade erst von London nach Brighton gezogen war und in meiner neuen Stadt noch keinen Fahrradladen meines Vertrauens gefunden hatte, hörte ich mich nach Empfehlungen um. Dabei erhielt ich die üblichen widersprüchlichen Auskünfte: Während einer der Befragten in höchsten Tönen von einer Werkstatt schwärmte, erzählte jemand anderes über dieselbe Adresse, ihm sei in seinem ganzen Leben noch nirgendwo mit solcher Herablassung begegnet worden. Bei keinem einzigen Laden gingen uneingeschränkt alle Daumen hoch. Es war, wie ich es auch in London schon allzu oft erlebt hatte: Je mehr man zahlt, desto besser der Service, desto größer aber auch die Wahrscheinlichkeit, mit Verachtung behandelt zu werden, weil das eigene Fahrrad nicht in Tour-de-France-bereitem Zustand ist.

Um die Wahrheit zu sagen, bin ich in vielen Jahren als Radfahrer noch mit keiner Werkstatt rundum zufrieden gewesen. Das liegt aber weniger an der Arbeit der Zweiradmechaniker, als daran, dass ich das Gefühl habe: "Ich sollte eigentlich in der Lage sein, es selbst zu machen." Einen Teil der Freude am Fahrradfahren besteht in der Unabhängigkeit, die es einem schenkt. Man ist nicht darauf angewiesen, auf den Bus zu warten. Man muss nicht warten, bis ein Parkplatz für das Auto frei wird.

Unabhängig sollte man bloß auch sein, wenn es darum geht, das verdammte Ding wieder fahrtüchtig zu machen. Abgesehen vom Flicken platter Reifen haben meine Reparaturversuche an Bremsen und Gangschaltungen allerdings immer nur zu Verschlechterungen geführt. Nun war die Zeit gekommen, etwas dagegen zu unternehmen.

Wenn ich alles wieder vergesse, ist es auch nicht schlimm

Nach kurzer Internetrecherche stieß ich auf Bike for Life, eine in Brighton ansässige Radfahr-Organisation, die nicht nur Radfahrtraining, sondern auch Wartungs-Kurse anbietet. Ich meldete mich für einen dreistündigen Einzelunterricht an. Der Reparatur-Lehrer und ich sollten während dieser Zeit mein Rad in Stand setzen und uns darüber hinaus anderen interessanten Gebieten der Fahrradreparatur widmen. Die Kosten waren mit 55 Pfund (ca. 66 Euro) genau so hoch wie für eine ganz normale Reparatur. Selbst wenn ich also nichts lernen oder alles sofort wieder vergessen sollte, würde ich am Ende zumindest ein rundum in Stand gesetztes Fahrrad haben. Was hatte ich also zu verlieren?

Ronnie hatte eine fantastische Werkstatt im Keller seines Hauses – vollgestellt mit Tandems, Dreisitzern, antiken Rennrädern, alten Kurbeln und Ersatzteilen. Eindeutig ein Fahrradkauz par exellence. Ich erzählte Ronnie, was ich lernen wollte. Dann legten wir los. Er beschrieb zunächst, wie er bei einer grundlegenden Überholung vorgehen würde. Wir überprüften meinen Lenkkopf, brachten die Scheibenbremsen in Ordnung und justierten die Gangschaltung. Dann beulten wir eine Delle an meinem Hinterrad aus.


Anschließend gingen wir zu den schwierigeren Sachen über. Wir nahmen Kette, Kurbel und die Zahnkränze des Hinterrades ab. Dafür benötigten wir einiges an Spezialwerkzeugen. Ronnie erklärte mir, dass ein gutes Werkzeugset mit den wichtigsten Bestandteilen für 90 Pfund zu haben war. Wir gingen sogar noch mal zu den absoluten Basics zurück und Ronnie verriet mir die allerbeste Weise einen Platten zu reparieren. Es gibt nämlich hundert Arten, den geflickten Reifen wieder auf die Felge zu ziehen. Es war ein bisschen, als würde Jamie Oliver einem vorführen, wie man Pasta kocht. Man hat es schon Millionen Mal gemacht, aber erst mit den kleinen Experten-Tricks wird’s richtig al dente.

Als ich ging, fühlte ich mich – fähiger, unabhängiger, freier. Meine Beziehung zu meinem Fahrrad ist jetzt eine andere. Ich verstehe, wie es funktioniert. Ich weiß, was es braucht. Ich habe mir ein Werkzeugset für 90 Pfund zugelegt. Sogar ein Gratis-Ketten-Reinigungsset war dabei (offenbar sollen Ketten eigentlich silberfarben und nicht schwarz sein).

Ich bin mir jetzt sicher, dass ich selbst in der Lage bin, meinem Untersatz einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Freunde von mir, die ebenfalls Radfahrer sind, haben mich sogar schon halb im Scherz gefragt, ob ich ihres warten würde. Ich sage dann: "Ja, wenn das Kleingeld stimmt." Und ich werde dann versuchen, sie nicht von oben herab zu behandeln.

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Geschrieben von

Rick Williams, The Guardian | The Guardian

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