Wie Wolodymyr Selenskyj zu Hollywoods Mann der Stunde wurde
Ukraine Von Ben Stiller bis Jessica Chastain: Prominente haben den ukrainischen Präsidenten mit offenen Armen empfangen. Für die Helden von der Leinwand ist Wolodymyr Selenskyj ein Held des wahren Lebens
Ben Stiller, der Held von der Leinwand, trifft Wolodymyr Selenskyj, seinen Helden im wahren Leben
Foto: Imago / ZUMA Press
Als Ben Stiller im Juni das Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj betrat, umarmte er den Kriegsführer mit den Worten: „Du bist mein Held.“ Stiller gehört zu einer Reihe von Stars aus der Unterhaltungsbranche, die die lange Reise nach Kiew auf sich genommen haben, um Selenskyj – selbst ein ehemaliger Schauspieler und Komiker – zu treffen. Eine Reise, die mit einer Nachtzugfahrt von Polen aus verbunden ist, da kommerzielle Flüge – ganz zu schweigen von Privatjets – aus Sicherheitsgründen nicht in den ukrainischen Luftraum einfliegen dürfen.
Vor Stiller kam der Schauspieler Sean Penn, der das Land seit der Invasion dreimal besucht hat und derzeit einen Dokumentarfilm über den Krieg dreht, in dem Selensk
em Selenskyj zweifellos mitspielen wird. Bei seinem letzten Besuch schenkte Penn Selenskyj einen seiner Oscars, den er bis nach dem Sieg der Ukraine aufbewahren sollte. Damit wollte Penn zeigen, wie sehr er daran glaubt, dass der Präsident und das Land diesen Krieg überleben werden. „Ich fühle mich schrecklich. Das ist für dich. Es ist nur eine symbolische, dumme Sache, aber wenn ich weiß, dass das hier bei dir ist, dann fühle ich mich besser und stärker für den Kampf“, sagte Penn im November zu Selenskyj.Zu den weiteren von Selenskyj empfangenen Stars gehören der britische Abenteurer Bear Grylls, der Virgin-Gründer Richard Branson, die Schauspielerin Jessica Chastain, Bono von U2, der Fernsehmoderator David Letterman, der spanisch-amerikanische Starkoch José Andrés und der Historiker Timothy Snyder. Angelina Jolie und der Actionstar der 1980er Jahre, Jean-Claude Van Damme, der vor zwei Jahren in Kiew für eine Netflix-Produktion drehte, haben die Ukraine ebenfalls besucht, um Flüchtlinge und Soldaten zu treffen. Van Damme posierte im Dezember für Videos mit ukrainischen Soldaten und gab dabei den traditionellen ukrainischen Kriegsruf „Ruhm der Ukraine, Ruhm den Helden“ zum Besten.Und es gibt noch viele weitere Prominente, die noch nicht in die Ukraine gereist sind, aber ihre Plattformen nutzen, um Spenden zu sammeln. Die in der Ukraine geborene Schauspielerin Mila Kunis und ihr Ehemann Ashton Kutcher, die vor dem Krieg mit den Selenskyjs befreundet waren, sammelten zu Beginn des Krieges mehr als 30 Millionen US-Dollar. Der Star-Wars-Schauspieler Mark Hamill, der sich freiwillig bereit erklärt hat, eines der Gesichter für United24, die Spendenplattform der Selenskyjs, zu werden, ist soeben die englischsprachige Stimme der ukrainischen App für das Luftangriffswarnsystem geworden.Wolodymyr Selenskyj ist in Hollywood ein echter HeldNach Ansicht derjenigen, die Selenskyjs Kommunikationsbemühungen verfolgt haben und an ihnen beteiligt waren, war es der Präsident, der Hollywood auch nach dem Abflauen des anfänglichen Medienrummels am Ball hielt. „Wegen seines beruflichen Hintergrunds ist er ein Naturtalent im Reden“, sagte Nikki Fowler, die Präsidentin der Hollywood Critics Association, die ebenfalls Halb-Ukrainerin ist. „Ich glaube, das kommt bei vielen Prominenten gut an.“Hollywood „respektiert“ Selenskyj, weil er für sie ein echter Held ist, so Fowler. „Wenn man Zugang zu einem echten Helden hat, den man nicht in Filmen sieht, wer würde das nicht unterstützen wollen?“ Selenskyjs Reise sei „Leben, das Kunst imitiert“ gewesen und habe nicht nur Hollywood, sondern die USA im Allgemeinen fasziniert, so Fowler. Der Journalist Etan Vlessing vom Hollywood Reporter sagte, Selenskyjs Fähigkeit, „den 24-Stunden-Nachrichtenzyklus mithilfe von sozialen Medien und Videoansprachen zu beherrschen, hat ihm in Hollywood mehr Respekt und Ansehen eingebracht als flüchtigen Ruhm.“In diesem Jahr erhielt Selenskyj für seine Rede in Cannes stehende Ovationen. Das Time Magazine, Politico und die Financial Times wählten ihn zur Person des Jahres.Vor dem ukrainischen Parlament schuf Selenskyj, vielleicht in Anspielung auf seine Vergangenheit als Schauspieler, einen ukrainischen Walk of Fame. Diejenigen, die als die größten Unterstützer:innen der Ukraine gelten, wurden mit einer Plakette geehrt. Penn und Andrés sind neben Politiker:innen wie dem Briten Boris Johnson, der während seiner Amtszeit in der Ukraine zu einer Berühmtheit wurde, sowie den Staats- und Regierungschefs Polens, Lettlands, der Tschechischen Republik, Sloweniens und der EU zu sehen.Placeholder image-1„Als ehemaliger Schauspieler weiß Selenskyj die Macht von Schauspieler:innen, insbesondere aus Hollywood, zu schätzen“, so seine frühere Pressesprecherin Iuliia Mendel, die Autorin des Buches Der Kampf unseres Lebens. „Das hat die Ukraine [weltweit] populärer gemacht.“ Mendel gehörte zu denjenigen, die dabei halfen, Kommunikationskanäle mit Prominenten zu organisieren, darunter Elon Musk, der zunächst ein begeisterter Unterstützer der Ukraine war, bevor er eine Position einnahm, die manche als eher prorussisch ansahen.Die Ukraine als Partner zeigenWas die erfolgreiche Kommunikation mit dem Westen betrifft, so hat Selenskyj seine Bemühungen darauf gerichtet, den Menschen, einschließlich der Stars, und nicht den Politiker:innen, verständlich zu machen, was in der Ukraine vor sich geht, so Mendel. „Am Anfang war Selenskyj ziemlich aggressiv, aber er drückte die kollektiven Gedanken und Gefühle vieler Ukrainer aus“, sagte Mendel und verwies auf die Rede des Präsidenten im März. Damals sagte er der Nato, sie sei schwach und trage die Verantwortung für jede:n tote:n Ukrainer:in. „Er befürchtete, dass der Westen nur die Bürokratie oder innenpolitische Probleme ausnutzen würde, um Handlungen zu verzögern.“Seit den jüngsten Erfolgen der ukrainischen Armee mit westlicher Hilfe ist Selenskyjs Rhetorik milder geworden. „Er will die Ukraine als Partner zeigen“, sagte Mendel.Für den Cornell-Professor Grant Farred, den Autor des Buches The Zelensky Method, liegt der Reiz des Präsidenten darin, dass er den Westen dazu drängt, seine eigenen Werte zu befolgen. „Europa beginnt auf der Krim, und ich glaube, Selenskyj hat das verstanden“, sagte Farred und bezog sich dabei auf die Grundsätze des Völkerrechts. Selenskyj begann ein neues europäisches Projekt, das nun über ihn als Person hinausgeht und die Ukraine als Ganzes betrifft, so Farred.In der Ukraine ist Generalstabschef Walerij Saluschnyj populär„Selenskyj ist eine Art Verkörperung einer europäischen Führungspersönlichkeit, die aus einem Land kommt, das nicht an der Spitze Europas stehen sollte“, sagte Farred. Doch während Selenskyj zu internationalem Ruhm aufgestiegen ist und in Hollywood fast schon legendären Status erlangt hat, gilt der ukrainische Generalstabschef Walerij Saluschnyj in seiner Heimat als populärer – obwohl er seit Kriegsbeginn nur eine Handvoll Interviews gegeben hat. Die Ukrainer schreiben dem Militär und damit auch Saluschnyj die Erfolge des Krieges zu.In diesem Sommer wurde Selenskyjs Ansehen im Lande beeinträchtigt, als er in einem Interview sagte, er habe aus Angst um die Wirtschaft beschlossen, eine bevorstehende russische Invasion nicht zu verkünden – etwas, das einige Ukrainer nur schwer verzeihen können.Saluschnyjs Popularität hat Selenskyjs Team „verunsichert“, heißt es in einem seltenen Profil von Saluschnyj im Economist. Über Selenskyjs regelmäßige Besuche an der Front wird viel berichtet, aber dem Magazin zufolge hat das Team des Präsidenten Saluschnyj daran gehindert, dorthin zu reisen, während es gleichzeitig vor Journalisten schnell darauf hinwies, dass Saluschnyj dies nicht getan habe.Die Ukrainer:innen unterstützen weiterhin Selenskyj, dessen Popularität die Aufmerksamkeit auf ihre Sache lenkt und dessen prominente Besuche laut Mendel auch für die Ukrainer:innen eine „große Sache“ sind.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.