Medienereignis Twitterer, bloggende Aktivisten und Interessengruppen werden beim Klimagipfel die Zahl der traditionellen Medienvertreter weit übertreffen. Ein gutes Gegengewicht!
In den kommenden vierzehn Tagen werden 5.000 Journalisten aus 180 Ländern nach Kopenhagen reisen, um über den Weltklimagipfel zu berichten. Es hätten weit mehr werden können, doch vor zwei Wochen musste die UN zum ersten Mal im Vorfeld eines Gipfels die Akkreditierungsliste schließen, da das Bella Center nur 15.000 Teilnehmer fassen kann. "COP 15", so der offizielle Name des Gipfels, wird, abgesehen von den Olympischen Spielen 2008 und dem US-Wahlkampf, eines der bisher größten internationalen Medienereignisse werden.
Wenn man die Zahlen mit denen der letzten UN-Umweltshow in Rio de Janeiro 1992 vergleicht, die nur 1.000 Print- und Fernsehjournalisten anzog, obwohl der Austragungsort wesentlich attraktiver war, dann wird deutlich, wie weit das Thema Umwelt
ema Umweltschutz auf der weltweiten Agenda nach oben gerückt ist. 1992, als die politische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel noch in den Kinderschuhen steckte und es nur wenige erbitterte Leugner aus dem wissenschaftlichen Lager gab, schickten die Zeitungen und Fernsehsender in der Regel einen Korrespondenten zum Weltklimagipfel. Damals wurde der Guardian für besonders waghalsig gehalten, weil er zwei Experten aus Großbritannien nach Rio schickte, um dem brasilianischen Korrespondenten vor Ort zur Seite zu stehen, und einen weiteren Autor aus den USA zusammen mit Präsident George Bush Senior einfliegen ließ. Die Nachrichtenredaktion des Guardian, die wenig Ahnung davon hatte, was man sich unter Emissionen überhaupt vorstellen soll, veröffentlichte tapfer vier bis fünf Texte pro Tag, bis etwa am siebten Tag des Gipfels kollektives Unverständnis einsetzte.Legionen von BloggernDer diesjährige Gipfel, der von den Medien zur wichtigste Versammlung der vergangenen 30 Jahre hochgejubelt wird, ist eine multimediale Angelegenheit. Die BBC entsendet 35 Leute, der Guardian ein achtköpfiges Team, darunter Korrespondenten mit dem Schwerpunkt Umwelt aus Peking und Washington (deren Emissionen gebührend ausgeglichen werden). Und jede Zeitung entsendet Online-Journalisten, Blogger, Video- und Audio-Journalisten, Produzenten, Analysten und Twitterer.Zum ersten Mal werden auch die Entwicklungsländer in großer Zahl Journalisten zum Gipfel schicken. Bislang waren sie von Medienereignissen wie diesem allein durch die bloßen Kosten ausgeschlossen. Dieses Mal werden einige Hundert Autoren und Filmemacher aus den Ländern, die an vorderster Front unter dem Klimawandel leiden, von Regierungen, Medienstiftungen, und Entwicklungshilfegruppen wie Panos finanziell unterstützt, um über die Verhandlungen zu berichten. Die drei größten Schwellenländer, China, Indien und Brasilien, schicken an die 300 Journalisten nach Kopenhagen.Auf der Liste der UN sind die Journalisten der traditionellen Verlagshäuser und Sendeanstalten allerdings in der Minderheit. Die Mehrzahl der 5.000 Akkreditierten arbeitet für Publikationen gemeinnütziger Organisationen, Pressuregroups und Nichtregierungsorganisationen oder für Publikationen, die wirtschaftliche Interessen verfolgen. Kirchen, Geldgeber, Betreiber von Windfarmen, die Ölindustrie und sogar Emissionshändler haben Akkreditierungen erworben, um ihre Lobbyarbeit auszubauen. Neu sind die Legionen an jungen Aktivisten aus der ganzen Welt, die in einem Ausmaß bloggen werden, das man bei einem internationalen politischen Gipfel so noch nicht gesehen hat.Dabei muss man mit den etablierten Medien Mitleid haben. Sie haben die Qual der Wahl: Entweder sie bleiben draußen vor dem Bella Centre, wo es eiskalt ist und die Tasse Tee etwa sieben Euro kostet, und berichten über Massenkundgebungen, Demonstrationen und Treffen am Rande des Gipfels, oder sie bleiben drinnen, zahlen etwa acht Euro für eine Tasse Tee und ersticken an der heißen, giftigen Luft, die eine Armee von Diplomaten und NGO-Vertretern produziert.Medienereignis ohne PromisWas für alle, die zum ersten Mal über den UN-Klima-Prozess berichten, irritierend sein muss, ist die Tatsache, dass Kopenhagen das erste Medienereignis der Geschichte sein wird, das weder eine offizielle Eröffnung noch ein offizielles Ende hat. Es wird keine echten Prominenten geben, keinen festen Ablaufplan, wohl kaum ein Ergebnis und vermutlich auch keinen klaren Gewinner oder Verlierer. Kopenhagen ist eine Art Kricket-Testspiel: Die Regeln des diplomatischen Spiels sind sehr vielschichtig, die meisten Treffen äußerst langweilig, tagelang wird vermutlich recht wenig passieren und dann ist da noch der unverständliche UN-Sprech.Das Problem wird sein, der Wahrheit in irgendeiner Form nahe zu kommen. Die meisten Länder führen die wichtigen diplomatischen Verhandlungen privat und werden keinen wissen lassen, schon gar nicht die Presse, was dort besprochen wird. Hinzu kommt, dass es bei den meisten Gesprächen um technische Details geht, die kaum einer versteht, selbst wenn sie erklärt werden. Darüber hinaus sind die meisten Treffen geschlossene Veranstaltungen, alle Entscheidungen hängen von Externen ab und werden im Geheimen getroffen, das UN-Sekretariat ist undurchschaubar, die Diplomaten und Unterhändler legen niemandem Rechenschaft ab und sprechen verklausuliert. Aufgrund der irren Komplexität der Verhandlungen wird vermutlich nur eine handvoll Leute überhaupt verstehen, was die ganze Zeit über passiert. Am Schluss, wenn die Mächtigen der Welt den Kuhhandel eröffnen, wird es zwar dramatisch werden, aber niemand wird dabei sein, wenn das Drama über die Bühne geht.Für diese Undurchsichtigkeit und das Informationsdefizit ist zum Teil die UN verantwortlich. Pressekonferenzen, bei denen die Interessengruppen der Länder den Verlauf der Konferenz beurteilen, finden nur unregelmäßig statt und sie sind auf ein paar wenige kurze Fragen beschränkt; viele Länder haben keine Medienerfahrung; jeder sagt gegen jeden aus und es gibt kaum objektive Fakten, denn Diplomaten sind bekanntermaßen parteiisch und werden dafür bezahlt, dass sie im Interesse ihres Landes lügen.Nichts von alledem wird verhindern, dass Tonnen von Material ihren Weg zurück in die Redaktionen finden. Es wird genügend Standardszenen, Nebenveranstaltungen, und Phototermine geben. Und vielleicht wird es ja doch noch etwas Action geben. Die ärmsten Länder der Welt könnten den Gipfel aus Protest verlassen, sollten die Gespräche nicht nach Plan verlaufen; das dänische Model Helena Christensen könnte die Hüllen fallen lassen und in der Ostsee schwimmen. Und die Klimaaktivisten haben so ihre eigenen Pläne.Leugner auf einsamem PostenWahrscheinlicher ist, dass die britischen und amerikanischen Leugner des Klimawandels diese einzigartige Bühne benutzen werden, um die wissenschaftlichen Belege für den Klimawandel anzugreifen. Nick Griffin von der British National Party wird dort sein, dasselbe gilt für einige widerspenstige US-Senatoren.Allerdings glaubt die große Mehrheit der Blogger und der Delegierten, dass der durch den Menschen verursachte Klimawandel eine Tatsache ist. Die Leugner kämpfen am Rande der Halle auf einsamem Posten. Auf der anderen Seite stehen die Sherpas der Wissenschaftsgemeinde, die bezeugen werden, wie weit die Veränderungen im Himalaya fortgeschritten sind, oder Präsident Nasheed von den Malediven, der erklären wird, dass sein Land bald untergeht, und Aktivisten, die fest entschlossen sind, die Bühne zu erobern.Der Umweltjournalismus hat einen langen Weg zurückgelegt, sei Geoffrey Lean sich 1975, damals für den Observer, heute für den Telegraph, als erster Korrespondent diesem Thema verschrieb. Bis dahin war Umweltjournalismus vor allem Aufgabe der Korrespondenten gewesen, die über das Landwirtschaftsministerium berichteten. Heutzutage gehören Berichte über Hochwasser, Kartoffeln und Bäume zwar immer noch dazu, aber den Kernbereich machen wissenschaftliche Aspekte, internationale Entwicklungen sowie Politik, Energie, Technologie, Wirtschaft, Berühmtheiten und Lifestyle, Wirtschaft, Handel und Proteste aus. Und weil der Umweltjournalismus so viele klassische Ressortgrenzen überschreitet, ist er ein Expertengebiet geworden, auf dem sich Generalisten gerne betätigen. Umgekehrt gibt es kaum einen Experten für Politik oder Wirtschaft, der inzwischen nicht regelmäßig über Umweltthemen schreibt. Um Al Gore frei zu zitieren: Wir sind nun alle Umweltjournalisten.
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