Ruhe bewahren

Brüssel Wenn man den Terror wirklich bekämpfen will, darf man nicht in alte Muster verfallen. Gerade jetzt gilt es mehr denn je, besonnen zu reagieren
Man sollte sich in Zurückhaltung üben
Man sollte sich in Zurückhaltung üben

Bild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

Sinn und Zweck des Terrorismus ist es nicht, etwas zu zerstören oder zu töten. Vielmehr strebt er danach, seine politischen Ziele durch die massive Medienpräsenz zu erreichen, die mit den Attacken einhergeht. Die heutigen Anschläge von Brüssel, die vermutlich mit den Anschlägen von Paris und der Festnahme von Salah Abdeslam zusammenhängen, zielen wieder exakt darauf ab. Das Töten von Passanten an sich dient noch nicht dazu, ein kriegerisches Ziel zu erreichen. Seine explosive Wirkung zieht der Anschlag erst aus unseren Reaktionen – und aus den Reaktionen der Politik. Publicity und Gegenschlag bleiben des Terroristen „nützliche Idioten“.

Es gibt nach wie vor keine Möglichkeit für eine Gesellschaft, sich wirksam gegen Terror zu schützen – geschweige denn, immun gegen ihn zu sein. Gerade weil er so willkürlich ist, ist kein Kraut gegen ihn gewachsen. Weder ein Mehr an Polizei, Überwachung oder Militär – ganz zu schweigen von Raketen oder Atombomben – wird uns je vor ihm schützen können. Wie sehr auch immer Geheimdienste sich strecken, die Attentäter werden immer einen Weg finden, ihnen durchs Netz zu gehen.

Politischer Terror ist so alt wie der Krieg selbst. Von marodierenden römischen Legionen bis hin zur RAF gehörte es immer zum Standardreportoire, die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Die viel zitierte Redewendung vom "Kampf gegen den Terror" ergibt am langen Ende in etwa so viel Sinn wie ein "Kampf gegen Waffen".

Was allerdings durchaus Sinn ergibt, ist der Versuch, die Wut, die hinter den Terrorakten steckt, zu lindern, statt sie weiter anzufachen. Und die Wirkung des Anschlags an sich zu dämpfen. Ersteres erfordert eine wesentlich weisere Außenpolitik des Westens gegenüber der muslimischen Welt, weiser als wir sie in den vergangenen Jahrzehnten erfahren durften. Zweiteres dürfte gar noch schwieriger zu bewerkstelligen sein: Wir müssen Ruhe bewahren und uns in Zurückhaltung üben, wenn es darum geht, über Anschläge zu berichten und auf sie zu reagieren.

Der größte Teil der Medienberichterstattung über Terror nimmt darauf aber keine Rücksicht. Schließlich „müssen“ die Medien berichten. Aber ebenso müssen sie gerade eben nicht völlig durchdrehen und sich in den Bildern der Gewalt suhlen, wie es vor allem im Falle der Schilderungen der Brutalität des IS geschah. Das wäre zumindest ein Anfang.

Das Ziel der Terroristen ist es, unsere Gesellschaft zu destabilisieren, Demokratie als Heuchelei zu entlarven und Treibjagden auf Muslime heraufzubeschwören. Und genau das ist bis dato die immer gleichbleibende Reaktion der Sicherheitsapologeten auf Vorfälle dieser Art. Von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt, fällt es ihnen sichtlich schwer, sich auch nur ansatzweise einzugestehen, dass es Dinge gibt, vor denen sie uns schlicht nicht beschützen können. In Situationen wie der heutigen fordern sie daher reflexartig mehr Geld und Macht. Wenn man die Ursachen des Terrors wirklich bekämpfen will, darf ihnen beides nicht gegeben werden.

Sir Simon Jenkins ist ein englischer Journalist und Kolumnist, der zurzeit für den Guardian arbeitet. Neben vielen anderen Auszeichnungen wurde Jenkins 2004 in Anerkennung seiner Verdienste für den Journalismus als ehemaliger Times-Herausgeber von der britischen Königin Elisabeth II. zum Ritter geschlagen

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Übersetzung: Jan Jasper Kosok
Geschrieben von

Simon Jenkins | The Guardian

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