Vor ein paar Monaten berichtete Chris Stevens – der US-Botschafter in Libyen, der am Dienstag beim Angriff auf die Botschaft in Bengasi ermordet wurde – Freunden in einer Mail, wie sehr sich das Leben in Tripolis im Vergleich zu der Zeit Gaddafis verändert habe. „Die ganze Atmosphäre ist besser geworden“, schrieb er. „Die Leute lächeln öfter und sind zu Ausländern viel offener. Amerikaner, Franzosen und Briten erfreuen sich außergewöhnlicher Beliebtheit. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt!“
Nachdem er zwei Jahrzehnte lang als Diplomat im Nahen Osten und Nordafrika eingesetzt war, befand sich Stevens nun auf einmal in der ungewohnten Situation, in einem Land auf Posten zu sein, in dem viele in der Bevölkerung die Amerikaner feierten und glaubten, sie stünden auf der richtigen Seite – selbst wenn die E-Mail deutlich macht, dass er die Schwierigkeiten, ein neues Libyen aufzubauen, sehr realistisch einschätzte.
Was Freunde und Kollegen als seine persönliche Integrität und seine diplomatischen Fähigkeiten beschreiben, zeigt sich jedoch darin, dass er auch in den Ländern, in denen die Politik der USA die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte, Freunde gewann, die ihm vertrauten, obwohl sie seiner Regierung Misstrauen entgegenbrachten – sei es in Jerusalem, Kairo, Damaskus oder Riad. In Jerusalem war Stevens auch als großzügiger Gastgeber bekannt, der, für einen Diplomaten unüblich, über die Welt der Diplomatie über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis verfügte.
„Als ich von seinem Tod hörte – ich war gerade mit dem Auto unterwegs – fuhr ich rechts ran und weinte“, sagt der israelische Rechtsanwalt Daniel Seidemann, der seit langem gegen die Ungerechtigkeiten der Besatzung kämpft. „Wir nannten ihn den Senator. Er war in der Lage, Israelis und Palästinensern glaubhaft sein Mitgefühl zu versichern, während beide Seiten im gleichen Zimmer saßen, ohne dabei im Geringsten gefühlsduselig oder romantisch zu werden. Das war wirkliche Größe. Er hatte etwas sehr Gradliniges und war bescheiden, ohne dabei unterwürfig zu sein.“
Stevens wurde 52 Jahre alt. Geboren in Kalifornien, studierte er in Berkley und arbeitete kurz als Wirtschaftsanwalt, bevor durch er einen Freiwilligendienst als Englischlehrer im marokkanischen Atlas-Gebirge zur Diplomatie kam.
Oft habe er der Politik seiner Regierung mit Skepsis gegenübergestanden und versucht, auf die Entscheidungen in Washington Einfluss zu nehmen, die USA dabei aber stets als eine positive Kraft in der Welt gesehen. „Er glaubte an das, was er als Vertreter des Auswärtigen Dienstes tat, war aufrichtig interessiert an den Menschen, mit denen er sprach und begegnete allen auf gleicher Augenhöhe“, sagt seine enge Freundin und Kollegin Lara Friedman. „Einer der besten Menschen, die mir begegnet sind. Ein Amerikaner, der die Zwickmühle verstand, in der die Araber sich befinden und sich in sie hineinversetzen konnte“, schrieb der ägyptische Schriftsteller Ezzedine Choukri Fishere, der Stevens aus dessen Zeit als Diplomat in Jerusalem kennt, auf dessen Facebook-Seite.
Manchmal zweifelte er an seinen Dienstherren. Er lehnte es ab, nach Bagdad zu gehen, weil er nicht mit dem Krieg gegen den Irak einverstanden war und den Neokonservativen die Schuld an der Konfrontation gab.
Als die amerikanische Regierung sich dazu entschloss, die libyschen Rebellen zu unterstützen, war sofort klar, dass mit seiner Erfahrung als Diplomat während der Gaddafi-Ära der richtige Mann war, um mit der Opposition in Kontakt zu treten. Stevens traf mitten während des Aufstandes in der Hauptstadt der Rebellen ein. Er schien vom Kampf der Menschen für ihre Befreiung von der Diktatur aufrichtig ergriffen. Als der Bürgerkrieg zu Ende war, wurde er im Mai dieses Jahres zum Botschafter ernannt. Friedman sagt, er habe der Aufgabe mit großer Aufregung entgegengesehen.
„Er hat den ganzen Krieg miterlebt. Er wusste, wie kompliziert die politische Lage ist und wie schwierig die Zukunft sein wird, aber er war davon überzeugt, dass er dort für die Menschen und die Rolle Amerikas etwas bewirken kann.“ Doch trotz dieser Hoffnungen habe er nie den Sinn für die Gefahren und Herausforderungen verloren, so Seidmann: „Er wusste ganz genau, wohin er ging, als er den Posten in Libyen annahm. Er machte sich da keine Illusionen. Er wusste, dass er sich in Gefahr brachte. Aber dennoch zögerte er keinen Augenblick.“
Kommentare 6
Na prima. Ein weiterer Beitrag, der zur neuen Linie des FREITAG passt.
Das war sicher ein durch und durch menschenfreundlicher US-Diplomat, ganz anders als die anderen US-Diplomaten, der nur das Interesse Libyens im Sinne hatte (so wie sie sich den US-Interessen anzupassen haben) ...
Interessant ist, was der ehemalige CIA-Direktor Michael Hayden dazu sagte: "Violent protests in Libya that claimed the life of the U.S. ambassador were the result of President Obama’s decision to intervene in the Libyan revolt without a “deep appreciation” for what would follow, former CIA Director Michael Hayden tells Newsmax. ... “The U.N. Security Council resolution on Libya was bait and switch. It was never just humanitarian assistance, it was to overthrow the regime," added Hayden."
Ich kann es gar nicht recht glauben, sowas hier zu lesen zu bekommen, so dass mir Ironie und Wut durcheinander geraten.
Ich bin grundsätzlich dafür, dass kein Mensch aus politischen Gründen sterben muss. Aber was wurndern wir uns den über solche Ereignisse nach all der Vorgeschichte? Was ist das Wundersame daran, dass der Vertreter des Landes, dass den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Libyen mit angeführt hat, nun in Folge desselben zu Tode kommt?
Der Krieg der USA gegen unbotmäßige Staaten bleibt doch nicht ohne "asymetrische" Gegenschläge. Interessant ist ja auch, wer da mit Stevens gestorben ist z.B.: "Glen Doherty, Security Officer Killed In Libya Attack, Fought Religious Proselytizing In Military" Alles nichts als Friedensengel, die nur an Demokratie und Menschenrechte denken.
Sorry, das Hayden-Zitat sollte eigentlich am Schluss meines Kommentars stehen. Da habe ich zu schnell geklickt.
Für Hilary Clinton ist einer wie Doherty natürlich ein "Kriegsheld".
Der Tod von Stevens kann auch anders gesehen werden: " Christopher Stevens came ... Stevens had already served two tours in Libya, including running the office in Benghazi during the NATO's war in Libya. Last year Chris Stevens was very active in helping the Salafist rabble from Benghazi to overthrow the Libyan government: Chris Stevens, a former U.S. Embassy official in Tripoli and the highest-ranking U.S. representative to travel to Libya since the uprising began, will explore ways to open the funding spigots for an opposition movement that is desperately short of cash and supplies, a State Department spokesman said Tuesday. “We’re well aware that there’s an urgency,” spokesman Mark Toner told reporters. “The Transitional National Council does need funding if it’s to survive, and we’re looking for ways to assist them.” When the job to overthrow and kill Gaddhafi was done Stevens was named U.S. ambassador to Libya. Last night he was killed by exactly those lunatics Gaddhafi had warned of and had kept under control.[*]"
Noch eine andere Sicht: "Attacks on US Cairo and Benghazi diplomatic missions made headlines and ignited rage. Capitol Hill flags were ordered lowered to half mast. US Libyan ambassador Chris Stevens and three members of his staff were killed. Millions of dead Muslims go unnoticed.
Stevens previously was Obama's representative to America's puppet Libyan National Transition Council. It helped Washington and NATO partners ravage the country mercilessly.
They're responsible for killing tens of thousands of civilians, causing widespread destruction, leaving countless numbers homeless, displaced, and impoverished, as well as ending cherished social programs Gaddafi instituted.
According to a New York Times editorial headlined "Murder in Benghazi," Libya's "pro-democracy revolution had no better friend than" Stevens.
The Times not only spurned truth, it blasphemed it. Stevens like all US ambassadors and officials serve imperial Washington's interests. They're contemptuous of democracy and rule of law principles."
auf deutsch: "Die Angriffe auf US-Kairo undBenghazidiplomatischen Missionen haben Schlagzeilen gemachtund Wut gesorgt. Die Fahnen auf dem CapitolHillauf Halbmast gehängt. Der US-Botschafter in Libyen ChrisStevensund dreiseiner Mitarbeiter wurden getötet.Millionen toter Muslime bleiben unbemerkt.Stevenswar zuvorObamasVertreter bei der US-Marionette Libyscher Übergangsrat. Das halfWashingtonund seinen NATO-Partnern, das Land gnadenlos zu verwüsten.Sie sindverantwortlich für die TötungZehntausender vonZivilisten, haben verheerende Zerstörungen angerichtet, mit der Folge vonunzähligenObdachlosen, Vertriebenenund Verarmten, und haben die soziale ProgrammeGaddafis eingestellt.Lautdes New York Times-Leitartikels mit der Überschrift"Murder inBenghazi" hatte Libyens"Pro-Demokratie-Revolution"keinen besseren FreundalsStevens.Die Times verschmäht nicht nur die Wahrheit, sondern sie ist blasphemisch.Stevenswie alleUS-Botschafterund -BeamtedienenimperialenInteressen Washingtons.Sie verachten Demokratie und rechtsstaatliche Prinzipien."Das Schlimmstewäre jetztfür dieVereinigten Staaten, sich vonden Verpflichtungen abzuwenden.mit Libyen zu arbeiten und eine stabile Gesellschaft aufzubauen."Amerikas InteresseistRaub,Ausbeutung undHerrschaft.Eswird Demokratie oderetwas Ähnliches nicht dulden. Das tut es nicht zu Hause oder irgendwoim Ausland."
Mein Beileid gilt der Familie von Stevens, wie allen Angehörigen von Opfern von Kriegen mein Beileid gilt. Aber solche falschen Heroisierungen und Stilisierungen wie durch diesen Guardian-Beitrag halte ich für unangebracht. Stattdessen wäre Analyse der Ursachen solcher Ereignisse angebracht, eben z.B. der US-Außenpolitik, deren treuer Diener Stevens war. Was hat er eigentlich 2006-09 gemacht, als er an der US-Botschaft in Libyen war? Da gab es Gaddafi noch.
Korrektur: Die Angriffe auf die diplomatischen US-Vertretungen in Kairo undBenghazi haben Schlagzeilen gemachtund für Wut gesorgt. Die Fahnen auf dem CapitolHill wurden auf Halbmast gehängt. ...
when will they ever learn...?
nicht nur Nordamerika als (Mit-)Befreier des Schreckens im 2. WK in Europa, auch die Welt hat sich verändert. Veränderungen bedingen neue Perspektiven, neue Blenden für den Fokus & auch ein reflektierendes Denken, dass über den eigenen Horizont hinausgeht. Viele Länder & auch ehemalige grosse Mächte haben sich weiterentwickelt, eines der Modernen scheint rückwärtsgerichtet & hat, seit ihrem ehrenvollen Einwirken in die Geschichte Europas, allerdings in vielen Teilen der Welt in den letzten 60 Jahren durch einseitige Parteinahme & Kriegsförderung für Chaos & etliche Menschenopfer gesorgt. Arroganz, Übermacht, Eigeninteresse _ eine gefährliche Mischung, heute mehr als je zuvor, da inzwischen brachiale Quittungen kommen für Rechnungen, die so nicht aufgehen können & nie aufgingen. Man mag nicht glauben, dass eine ´intelligente Agentur´in diesem Staat, gesponsert mit Mrd von §s zu keinen besseren Ergebnissen kommt, als sie der Regierung empfiehlt. Man mag auch nicht glauben, dass ein Präsident & Friedensnobelpreisträger keine anderen Wege in Betracht zieht, ausser die der Gewalt.
Diese sollte gründlicher betrachtet & bezeichnet werden. Wenn Botschafter & sonstige Angehörige dieses Staates, auch Soldaten, dafür büßen müssen, ist das Geschrei groß & entsprechend der symbolische Aufbau. Es ist leider eine alte Geschichte, dass niemand nachfragt, welche Deppen diese Mörder aufgepeppelt haben, auch nicht dann, wenn sie ihre Ernährer bzw. Erzeuger töten. Die Griechen zumindest konnten das mal in ihren Mythengeschichten für zigjahrhunderte von Generationen überliefern...