Wir waren die Neuen

Modern Painters Wie David Bowie mir half, einen Kunstwelt-Schwindel durchzuziehen und wofür er griechische Zeitungen kaufte

Die entsetzliche Nachricht von David Bowies zu frühem Tod veranlasste mich, mein Tagebuch herauszukramen und nach dem Tag zu suchen, an dem wir uns das erste Mal begegneten. Es stellte sich heraus, dass es der 22. Februar 1994 war, und zwar bei einem Dinner der Chefredaktion des Kunstmagazins Modern Painters. Hier mein damaliger Eintrag:

„Abendessen der Zeitschrift Modern Painters – rund ein Dutzend Menschen, darunter David Bowie. Ich sprach mehrere Male mit ihm. Er trinkt nicht, aber er rauchte sehr viel. Er war nett, schien sich aber ein wenig unbehaglich zu fühlen. Er wird eben etwas nervös gewesen sein – ich war es in jedem Fall – unter den üblichen Akademikern und Kunstkritikern. Der Kunstbetrieb ist eine Welt für sich – und sie sind davon vollkommen absorbiert. Jemand erzählte mir, Bowie habe einen Freund mitbringen wollen, als Geleitschutz, aber er hatte dann doch davon abgesehen. Er trug einen dünnen Spitzbart. Von Nahem sah sein Gesicht ganz schön faltig aus und er hat Tränensäcke. Er ist furchtbar dünn – er ist jetzt beinahe 50. Wenn ich an die Uni denke, und wie oft wir dort seine frühen Alben auflegten – die Welt ist schon verrückt.“

Es sind solche Momente, in denen wir merken, dass es sich lohnt, Tagebücher aufzubewahren. Bowie liebte die Kunstwelt. Als Intellektueller war er Autodidakt, ein so eifriger wie leidenschaftlicher Leser. Das erfuhr ich jedoch erst später, als ich ihn etwas besser kennenlernen sollte. Wenn ich mir heute diesen Tagebucheintrag ansehe, kommt mir auch Paul Klee in den Sinn – noch so ein Autodidakt – und Klees Konzept loser Verbindungen oder Kontinuitäten, wie ich es nennen würde. Klee versuchte sich die vagen Muster, zufälligen Begegnungen und scheinbar nebensächlichen Berührungspunkte zu erklären, die wir erst später im Nachhinein erkennen. Wenn man so will, ist es eine Art chronologische Variante der Theorie, dass wir mit jedem Menschen auf diesem Planeten über maximal fünf Ecken verbunden sind.

Verleger Bowie

Was meine Studienzeit betraf, so war mein Tagebuch korrekt: 1971 hörte ich in meiner ollen Studentenbude Bowies Album Hunky Dory wieder und wieder wie hypnotisiert. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich ihn später (ein wenig) kennenlernen würde, hätte ich ihn nur ausgelacht. Doch dann wurde ich in die Redaktion von Modern Painters berufen, wo ich ihn bei diesem ersten Abendessen an meiner Seite fand, neugierig und offensichtlich überwältigt musterte er den anderen Neuzugang im Impressum.

Bei den folgenden Abendessen der Chefredaktion suchten wir bewusst die Nähe des anderen, da wir die Neuen waren und im Laufe der folgenden Jahre sah ich ihn dann recht häufig. Unsere lose Bekanntschaft wurde enger, als er mein Verleger wurde. Bowie hatte den kleinen Verlag 21 gegründet, um Kunstbücher zu veröffentlichen. 1998 brachte er meine gefälschte Künstlerbiografie heraus: Nat Tate: Ein amerikanischer Künstler. 1928 – 1960 (in deutscher Übersetzung ist das Buch 2010 im Berlin Verlag erschienen). Den Klappentext hatte Bowie verfasst.

Bowies Dasein als Verleger, Kunstkritiker und Autor für die Zeitschrift Modern Painters, als bildender Künstler und Sammler stand unweigerlich im Schatten seines Ruhms und seiner Errungenschaften als Musiker und popkulturelle Ikone. Aber ich glaube, dass es ihm sehr wichtig war, und dass er es genoss, dass diese Tätigkeiten wenig mit seinem Weltruhm zu tun hatten. Bei den Redaktionssitzungen von Modern Painters erlebten wir ihn regelmäßig als angenehmen und bescheidenen Teilnehmer, und als ich dort einmal vorschlug, einen fiktiven Künstler zu erschaffen, war es Bowie, der sagte, der Plan würde sicher am besten aufgehen, wenn es ein Buch dazu gäbe.

Buchpremiere bei Koons

Und so machten wir es. Ich erfand einen toten amerikanischen Künstler, den ich auf den Namen Nat Tate taufte und schrieb seine Biografie. Dann taten sich Leute von Modern Painters und Bowies Verlag 21 zusammen und verwandelten den Text in eine kleine, aufwendig illustrierte Künstlermonografie. Unleugbar war es aber Bowies Beitrag, der dem Schwindel die nötige mediale Aufmerksamkeit gab. Er publizierte das Buch und er organisierte die Buchpremiere (am 1. April 1998) in Jeff Koons Atelier in Manhattan – Koons war ein Freund von Bowie. Und Bowie war es dann auch, der dem anwesenden Who is Who der New Yorker Kunstszene mit ungerührter Miene Auszüge aus dem Buch vorlas. Ein entscheidender Faktor war auch, was er im Klappentext schrieb: "Das kleine Ölgemälde, dass ich auf der Prince Street in New York gekauft habe, muss aus einem der verschollenen Tryptichen stammen. Die große Tragödie dieser leisen und bewegenden Monografie ist, dass die tief sitzende Angst des Künstlers – dass Gott ihn zu einem Künstler gemacht hat, aber nur zu einem mittelmäßigen – im Nachhinein auf Nat Tate sicher nicht zutrifft.“ Wen hätte dieses eloquente Bekenntnis nicht überzeugt?

Als die Zeitschrift Modern Painters 2001 verkauft wurde, entließ der neue Eigentümer nach und nach die Redakteure – auch mich und, irrsinniger Weise, David Bowie. Das Ende der alten Modern Painters bedeutete auch das Ende unserer regelmäßigen Treffen, aber wir blieben über der anhaltenden Resonanz auf den Nat-Tate-Schwindel in Kontakt und ich schickte ihm auch alle Übersetzungen des Buchs zu.

Das Jahrzehnt unserer losen Verbindung endete kurz vor David Bowies 60. Geburtstag in New York. Ich war zu einer Party in einem Hotel in Tribeca eingeladen. Als ich ankam, sah ich wie Bowie aus einem Taxi stieg und den Fahrer bezahlte. Ich war leicht überrascht, dass er dieses Fortbewegungsmittel nutzte und fragte ihn zur Begrüßung, ob er nie Probleme habe, sich einfach so durch die Stadt zu bewegen. Überhaupt nicht, sagte er, er nutze ganz sorglos Taxis und die Ubahn. „Ich habe nur immer das hier dabei“, sagte er, und hielt eine griechische Zeitung hoch. Die Leute denken: das ist David Bowie, oder nicht? Dann sehen sie die Zeitung, und denken, nein, kann ja nicht sein. Ist nur irgendein Grieche, der ihm ähnlich sieht.

Geniale Idee

Eine geniale Idee, fand ich. So simpel wie effizient – und nebenbei ungeheuer lässig und stilvoll: Ein Akt, der für diesen faszinierenden Mann typisch war. So können wir der langen Liste von Bowies Leistungen, die er mit unvergleichlicher Haltung und unvergleichlichem Schwung ausführte, eine weitere Kategorie hinzufügen. Er ist nicht nur ein unvergesslicher Songwriter, Performer und Musiker, Schauspieler, Autor, Verleger und ein Finanzgenie – sondern auch (was niemanden überraschen sollte) ein Meister der Tarnung.

Der schottische Bestesellerautor William Boyd schreibt regelmäßig für den Guardian über Kunst. Zuletzt erschien von ihm der Roman Die Fotografin (Berlin Verlag, 2015)

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William Boyd | The Guardian

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