Wir werden wieder aufstehen

Philippinen So groß die Tragödie nach dem Taifun Hayan auch sei – das könne die Menschen nicht entmutigen, ist die philippinische Journalistin Rachel Obordo überzeugt
Wir werden wieder aufstehen

Foto: Dondi Tawatao/ AFP/ Getty Images

Den Nachrichten entnehme ich – es gibt kein sauberes Wasser mehr, keinen Strom, fast nichts zu essen. Die meisten, die das in Europa oder Nordamerika hören, dürften sich nicht darüber im Klaren sein, dass ein solcher Zustand für eine Mehrheit auf den Philippinen die Regel, nicht die Ausnahme ist. Durch ihre Lage auf dem Pazifischen Feuerring sind Naturkatastrophen auf dem philippinischen Archipel nichts Unbekanntes. Die Filipinos sind widerstandsfähig und an Entbehrungen gewöhnt – sie kennen die Not nur allzu gut. 100 Millionen stehen täglich im Wettstreit um Raum und Ressourcen, Überlebenskampf gehört zum Alltag. Und doch, mit Tausenden von Toten und Millionen Obdachlosen hat uns ein Taifun so wehrlos gemacht wie selten zuvor.

Die Philippinen müssen mit etwa 20 Taifunen pro Jahr rechnen. Das heißt, bis zum Jahresende stehen uns wahrscheinlich noch vier weitere Wirbelstürme ins Haus, von Filipinos „bagyo“ genannt. Ich selbst habe einige davon miterlebt und kann mich daran erinnern, wie ich im Alter von acht oder neun Jahren in Antipolo mit meinen Eltern auf der Durchreise war. Man trug mich über von Wasser überflutete Straßen, der Regen prasselte auf die Häuser, und die Leute versuchten, langsam mit ihren Jeeps voranzukommen. Trotz der Gefahr verloren sie nicht die Fassung und blieben ruhig. Auch jetzt zeigen die Fernsehbilder Menschen, die durch schulterhohes Wasser waten, sich gegen heftigen Wind stemmen und versuchen, irgendwie zurecht zu kommen.

Der sicherste Ort

2006 kam es auf Mindanao, der südlichsten Insel des Landes, zum Bürgerkrieg zwischen der islamischen Rebellengruppe Moro Islamic Liberation Front und einer freiwilligen Bürgerwehr. Es kam dazu, nachdem die Guerilla einen Anschlag auf die Fahrzeugkolonne der Provinzregierung verübt hatte.

Trotz einer bald vereinbarten Waffenruhe wurden 4.000 Familien durch die Gefechte vertrieben. Ein Jahr später schaffte es dieser Konflikt durch die Enthauptung von Marines, die einen entführten italienischen Priester suchten, gar in die internationalen Schlagzeilen. Der Geistliche wurde später freigelassen. Obwohl das ganze Land durch diese Vorgänge erschüttert war, trotz der sie antreibenden Hader zwischen Muslimen und Christen, schafften es die Menschen, diesen Konflikt soweit zu beherrschen, dass im Vorjahr ein Friedensvertrag geschlossen werden konnte.

Was will ich damit sagen? Die Filipinos sind ein optimistisches Volk, ihre Stärke besteht im Glauben, dass die eigene Kraft auch schwierigste Zeiten überstehen lässt. Sowohl diese Überzeugung als auch die Fähigkeit, uns einer Mission zu verschreiben, für die es sich zu kämpfen lohnt, werden uns helfen, auch dieses Desaster zu überstehen. Als vor Tagen der Taifun Hayan heran fegte, waren Tausende noch damit beschäftigt, Auswirkungen des Erdbebens zu überwinden, das erst im Oktober mit einer Stärke von 7,2 die Insel Bohol erschüttert hatte. Jahrhundertealte Kirchen wurden zerstört, Straßen unterbrochen, über 200 Menschen kamen ums Leben, viele blieben obdachlos.

Am Wochenende korrespondierte ich über Skype mit meiner Tante, die in Manila lebt. Sie erzählte mir, viele hätten wegen ihrer mutmaßlich großen Erfahrung mit Wirbelstürmen die Warnungen vor Taifun Hayan nicht wirklich ernst genommen. Auch dies beschreibt die psychische Verfassung, in der sich viele meiner Landsleute angesichts einer permanenten Bedrohung befinden.

Auf den Philippinen leben die meisten in Häusern, die sie selbst gebaut haben. Sie wollen dieses Obdach nicht preisgeben, in das sie so viel Mühe gesteckt hatten. Also bleiben sie. Selbst auf die Gefahr hin, ums Leben zu kommen, betrachtet man das eigene Zuhause als den sichersten Ort, den es gibt.

Eine Freundin, die in Leyte lebt, einem Ort in der Provinz Samar, erzählt mir gerade am Telefon, die Zahl der bestätigten Toten liege nun bei 500 – man habe ein Massengrab ausheben müssen. Mein Vater lebt in der Nähe von Leyte – einer der Gegenden, die am stärksten betroffen sind. Ich habe mehrfach versucht, ihn zu erreichen, habe aber bisher nichts von ihm gehört. Die Rettungsmaßnahmen erwiesen sich als schwierig, weil die Regierung vollkommen überfordert sei. Aber die Menschen würden von ganz allein wieder aufstehen und weiterleben, höre ich im Radio.

AUSGABE

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 46/13 vom 14.11.2013

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Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Rachel Obordo | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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