Entgegen mancher Erwartung hat der gegen die Russische Föderation geführte Wirtschaftskrieg dem Land keinen K.-o.-Schlag versetzt. Das sollte nicht groß überraschen. Seit jeher ist die Erfolgsquote derartiger Strafmaßnahmen nicht überzeugend. Ohne Zweifel spürt Russland deren Auswirkungen, aber das gilt auch für den Westen. Ein Grund für die überzogene Behauptung, die russische Wirtschaft stehe kurz vor dem Kollaps, ist das Wissen westlicher Politiker um Folgeschäden für die eigene Wählerschaft, die mit teurer Energie und hohen Lebensmittelpreisen kämpfen muss. Die vergangenen 15 Monate haben gezeigt, wie schwierig die wirtschaftliche Belagerung eines Landes ist, das sich so gut mit Rohstoffen und Technologieexperten aus
ausgestattet findet wie Russland.Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF), nach denen Russlands Wirtschaft 2022 um 8,5 Prozent schrumpft, mussten inzwischen auf das tatsächliche Minus von 2,5 Prozent korrigiert werden. Für dieses Jahr rechnet der IWF mit einem Wachstum um 0,7 Prozent. Im September 2022 veröffentlichte die Russische Akademie der Wissenschaften einen Bericht, in dem eingeräumt wurde, dass der Sanktionsschock praktisch alle Teile der Wirtschaft erfasst habe. Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Einzel- und Ersatzteilen zählten zu den akuten Problemen. Wörtlich hieß es: „Trotz der äußerst ernsten Probleme gelang es der Regierung, den Inflationsschub relativ schnell zu stoppen, eine Bankenpanik zu vermeiden, das Funktionieren des Zahlungsverkehrs zu sichern und den Rubel nicht nur auf den vorherigen Wechselkurs zurückzuführen, sondern darüber hinauszugehen.“Käufer in China und IndienDer Glaube des Westens, der Wirtschaftskrieg würde schnell zum Ziel führen, geht von drei fragwürdigen Annahmen aus. Die erste: Russland verliert zu viel Geld, es wird daher auf Dauer nicht in der Lage sein, seinen Krieg zu finanzieren. In der Realität jedoch haben sich das Energieembargo und das Einfrieren russischer Gelder durch westliche Zentralbanken als weniger effektiv erwiesen als geplant. Während die Menge an russischen Öl- und Gasexporten abnahm, führten höhere Preise dazu, dass der Exportwert erhalten blieb. Moskau bot zudem diese Rohstoffe zu einem reduzierten Preis an und fand bereitwillige Käufer vorrangig in China und Indien, aber nicht nur dort, sodass bisher Rücklagen gar nicht erst in Anspruch genommen wurden.Die zweite Annahme war, dass die internationale Gemeinschaft vereint handeln würde. Das hat sich als zu zweckoptimistisch herausgestellt. Viele Länder in Afrika und Asien weigern sich, Russland wegen des Krieges zu verurteilen, und enthalten sich bei UN-Voten der Stimme. Das Fehlen einer universellen Unterstützung für die Ukraine ermöglichte es Russland, die Sanktionen zu umgehen. So stieg etwa die Ausfuhr deutscher Autos nach Kasachstan zwischen 2021 und 2022 um 507 Prozent, der Export chemischer Produkte nach Armenien in der gleichen Zeit um 110 Prozent und der Verkauf von Computern in dasselbe Land um 343 Prozent.Umwege über Kasachstan und ArmenienEs wäre natürlich möglich, dass Kasachstan und Armenien einen Wirtschaftsboom erleben, der einen solchen Anstieg von Einfuhren auslöst, nur ist es wahrscheinlicher, dass Fahrzeuge, Chemikalien und Elektronik einen Umweg nehmen, um nach Russland zu gelangen. Die dritte Annahme: Russland 2023 unterscheide sich nicht von der Sowjetunion um 1980. Es sei ein hoffnungsloser Fall, der unter dem Druck des überlegenen Wirtschaftsmodells des Westens untergehen werde. Wie der US-Ökonom James Galbraith in einem jüngst erschienenen Aufsatz feststellte, verfügt das heutige Russland über ein ausgezeichnetes Bildungssystem, viel technisches Knowhow und Fabriken, die seit dem Ende des Kalten Krieges von westlichen Unternehmen gebaut wurden. Die Sanktionen seien überdies ein Anreiz, westliche Importe durch eigene Produktion zu ersetzen. „Zwar müssen noch manche Techniken gemeistert werden, aber es fehlt Russland nicht an Nahrungsmitteln, Treibstoff, Material und wissenschaftlichen Talenten“, so Galbraith. „Ob die Wirtschaftsführer des Landes das Kaliber haben, diese Ressourcen effektiv einzusetzen, ist eine offene Frage. Aber bisher gibt es keine zwingenden Hinweise auf das Gegenteil.“